ESC-Kongress

Ist Vollantikoagulation doch nützlich?

COVID-19--Noch immer besteht Unsicherheit, welches antithrombotische Management für kritisch kranke COVID-19-Patientinnen und -Patienten am besten geeignet ist

Von Veronika Schlimpert Veröffentlicht:

Bisherige Studien haben widersprüchliche Ergebnisse hervorgebracht. Etwa haben die 2021 publizierten Ergebnisse des Plattformstudienprogramms REMAP-CAP/ATTACC/ACTIV-4a gezeigt, dass eine Vollantikoagulation bei intensivpflichtigen COVID-Patienten gegenüber einer prophylaktischen Dosis keine Vorteile bringt, sondern sogar von Nachteil ist. Die Leitlinien raten seither von einer pauschalen Vollantikoagulation in dieser Patientengruppe ab.

In diesem Kontext stehen die beim ESC-Kongress vorgestellten und zeitgleich in „Circulation“ publizierten Ergebnisse der COVID-PACT-Studie im Widerspruch zum aktuellen Konsens. In dieser Studie, für die insgesamt 682 COVID-Patienten auf Intensivstation in einem 2 × 2 faktoriellem Design randomisiert wurden, bewirkte eine therapeutische Antikoagulation (in 82 % mit niedermolekularen Heparinen) eine signifikante Reduktion thrombotischer Komplikationen. Im Vergleich zu einer standardmäßigen Prophylaxe war das relative Risiko unter der Vollantikoagulation um 44 % reduziert (9,9 % vs. 15,2 %; p = 0,046), hauptsächlich getrieben durch eine geringere Rate venöser Thromboembolien.

Wenig überraschend verursachte die forschere Antikoagulation mehr Blutungen, vor allem solche moderaten Ausmaßes (Bluttransfusion notwendig, aber ohne hämodynamische Einschränkung) kamen darunter gehäuft vor (11 vs. Fälle). Lebensbedrohliche/tödliche Blutungen waren numerisch, aber nicht signifikant erhöht (4 vs. 1 Fälle). Das seien aber sehr seltene Ereignisse gewesen, machte Studienautor Prof. David Berg, Boston, beim ESC deutlich. Clopidogrel hatte keine Vorteile gebracht gegenüber einem Regime ohne Plättchenhemmer. „Nach Abwägung des Thrombose- und Blutungsrisikos sollte über eine volldosierte Antikoagulation bei ausgewählten kritisch kranken Patienten mit COVID-19 nachgedacht werden, um thrombotische Komplikationen zu verhindern“, folgerte Berg aus diesen Daten. Der Diskutant, Prof. Eduardo Ramacciotti aus São Paulo, teilt die Auffassung, dass angesichts dieser Ergebnisse eine Revision der Leitlinien erforderlich ist. „Ich bin gespannt, welchen Einfluss die Daten auf die Leitlinien haben werden“, fügte er hinzu. Es werde sicher hitzige Diskussionen geben. vsc

Quelle-- ESC-Congress 2022 in Barcelona

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