Alkoholkonsum auch in geringen Mengen nicht gut fürs Herz

Herz und Alkohol-- Das „abendliche Gläschen Wein“ war lange Zeit fast schon ein Synonym für kardiovaskuläre Prävention. Prof. Dr. Bernhard Maisch aus Marburg erklärt im Interview mit Cardio News, warum das nicht mehr gilt und was stattdessen empfohlen wird.

Ein Interview von Dr. Beate Schumacher Veröffentlicht:
Schon zu viel im Glas? Inzwischen geht man von einer linearen Schädigung durch Alkohol aus. Melanie/stock.adobe.com

Schon zu viel im Glas? Inzwischen geht man von einer linearen Schädigung durch Alkohol aus.

© Melanie/stock.adobe.com

Viele Jahre galt Alkohol in Maßen genossen als herzgesund. In einem aktuellen Artikel schreiben Sie nun vom „Ende der Legende“. Was ist da passiert?

Prof. Bernhard Maisch: Es wurde etwas genauer nachgerechnet, was es mit dem sogenannten French Paradox auf sich hat. Gemäß dem French Paradox stellt sich die Beziehung zwischen Alkoholkonsum und langfristiger Mortalität als U-Kurve dar: Bei Alkoholabstinenten wollte man einen gewissen Schaden bezüglich Herzerkrankungen und eine erhöhte Sterbewahrscheinlichkeit gefunden haben. Mit einem Gläschen Wein oder einem Glas Bier pro Tag war die Mortalität etwas niedriger als ganz ohne Alkohol. Erst mit größeren Mengen an Alkohol stieg die Mortalität linear oder logarithmisch an, primär durch Krebserkrankungen, aber eben auch durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Mehrere Forscher, insbesondere Jinhui Zhao von der Universität von Victoria, haben sich die Gruppe der Abstinenten noch einmal vorgenommen und festgestellt, dass ein großer Teil früher Alkohol getrunken hat, was auf eine Vorschädigung hindeutet, die nicht berücksichtigt worden ist. Wenn diese Menschen ausgeschlossen wurden, ergab sich eine lineare Beziehung zwischen Alkoholkonsum und Mortalität.

Gibt es überhaupt noch einen Grenzwert, bis zu dem Alkoholkonsum als sicher angesehen werden kann?

Prof. Bernhard Maisch, ehemaliger Dekan des Fachbereichs Medizin und langjähriger Direktor der Abteilung Innere Medizin, Schwerpunkt Kardiologie, Angiologie und Intensivmedizin, ist Emeritus der Philipps-Universität Marburg Maisch

Prof. Bernhard Maisch, ehemaliger Dekan des Fachbereichs Medizin und langjähriger Direktor der Abteilung Innere Medizin, Schwerpunkt Kardiologie, Angiologie und Intensivmedizin, ist Emeritus der Philipps-Universität Marburg

© Maisch

Verschiedene Fachgesellschaften, wie die American Heart Association und die kanadische Gesellschaft für Medizin und Kardiologie, sprechen von einen Paradigmenwechsel. Das neue Paradigma geht von einer linearen Schädigung durch Alkohol aus, in Bezug auf die Karzinogenese und auch in Bezug auf das Herz. Das heißt: Kein Alkoholkonsum beinhaltet keinen Nachteil für die Gesundheit. Und ein bisschen Alkohol kann tolerabel sein, anders als früher beziehen sich die ein oder zwei Gläschen in Ehren aber nicht mehr auf den Tag, sondern auf die Woche.


Welche Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden durch Alkohol schon bei moderatem Konsum gefördert?

Das ist zum einen die Herzinsuffizienz mit dem Etikett alkoholische Kardiomyopathie. In dieser Hinsicht hat man früher 40 g Alkohol pro Tag für Männer und 20 g für Frauen als Grenzwert angesehen, aber das war aus jetziger Sicht sehr über den Daumen gepeilt. Das zweite sind natürlich Rhythmusstörungen, die durch Alkohol ausgelöst werden können, das sogenannte Holiday Heart Syndrom, hauptsächlich Vorhofflimmern, seltener bei höherem Alkoholkonsum auch Kammertachykardien. Wenn Alkohol als Volumengetränk genossen wird, dann hat er auch eine Blutdruck-erhöhende Wirkung. Alkohol wirkt zwar vasodilatierend, der dadurch erzeugte Blutdruckabfall ist aber sehr gering ausgeprägt, durch den Volumeneffekt und den toxischen Effekt im Sinne der Herzinsuffizienz kann er zu Hypertonie führen. Möglicherweise trägt Alkohol auch durch inflammatorische Reaktionen zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei.

Zwei Gläser Wein über die Woche verteilt oder am Samstagabend: Ist das kardiologisch relevant?

Das ist eine gute Frage – auf die es aus der Literatur aber keine Antwort gibt. Aber unter praktischen Gesichtspunkten würde ich sagen, wenn man am Wochenende seine zwei Gläschen trinkt, hat man keinen Rauscheffekt, sondern nur die beruhigende Wirkung des Alkohols.

Viele Untersuchungen haben sich potenziell kardioprotektiven Wirkstoffen vor allem im Rotwein gewidmet. Macht es einen Unterschied, welches alkoholische Getränk man zu sich nimmt?

Die Lehrmeinung ist, dass es am Schluss der Alkohol allein ist, der zählt. Die hochgelobten Polyphenole finden sich selbst im Rotwein nur in so geringem Ausmaß, dass man für die postulierte Wirkung von Resveratrol 50- bis 100-mal mehr an Rotwein trinken müsste.

Haben Sie den Eindruck, dass die Zusammenhänge zwischen Alkohol und z. B. Bluthochdruck in der Patientenberatung ausreichend zur Sprache kommen?

In meiner Praxis ist das natürlich ein Thema. Aber es kommt schon vor, dass ein Patient sagt: Vor fünf Jahren hat mir der Professor erzählt, ein Gläschen Wein am Abend sei gesund, und jetzt soll es nur noch eines in der Woche sein. Ich glaube, die Praxis ist noch in nicht ausreichendem Maße von dieser neuen Erkenntnis durchdrungen. Anders als die amerikanischen Fachgesellschaften hat die European Society for Cardiology das noch nicht thematisiert. Das Prinzip Nummer eins ist: Weniger an Alkohol ist mehr und nichts ist am besten. Natürlich ist Alkohol ein Genussmittel und ich will ihn nicht verbieten, aber es kommt darauf an, das richtige Maß zu erwischen. Und die Messkelle an der Stelle ist einfach eine andere geworden: Der erlaubte Alkoholkonsum ist nicht mehr zwei Gläschen Wein für Männer oder ein Gläschen für Frauen pro Tag, sondern pro Woche. Ich glaube, das ist das Wichtigste, was wir in die Köpfe unserer Patienten hineinbringen müssen. Auch ich habe früher gerne mal einen Rotwein getrunken, trinke aber seit diesen neuen Erkenntnissen nur ein halbes Gläschen oder ein Gläschen Rotwein am Wochenende.

Können auch mit einem zeitlich beschränkten Alkoholverzicht, etwa während der Fastenzeit, positive kardiovaskuläre Effekte erzielt werden?

Weniger Alkohol ist immer besser als mehr Alkohol. Und eine Auszeit ist auf jeden Fall ein sehr guter Anfang. Man könnte sich natürlich wünschen, dass die Auszeit etwas länger als die Fastenzeit geht. Da haben die Patienten sich ja schon bewiesen, dass sie trotz des Suchtpotenzials von Alkohol dazu in der Lage sind. Das nötigt einem als Arzt immer Respekt ab. Ermahnungen der Ärzte sind an der Stelle leider häufig in den Wind geschrieben.

Vielen Dank für das Gespräch!

Schlagworte: