Bewegung ist das A und O für gesundes Leben

Zwischen Vorsorge und Therapie-- Zweieinhalb Stunden Bewegung in der Woche: mehr muss nicht sein, um präventiv aktiv zu werden. Und doch scheint dies für viele Menschen schon zu anstrengend zu sein – der sonst vielleicht vermeidbare Besuch beim Kardiologen ist offenbar einfacher.

Ein Kommentar von Prof. Tienush Rassaf und Prof. Meinrad Gawaz Veröffentlicht:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

lassen Sie uns mit einer Frage beginnen: Wie hoch ist der Preis, den Sie bereit sind, für ein langes Leben zu zahlen? Überlegen Sie gut und antworten Sie nicht zu schnell ... und: Wie würde Ihre Antwort ausfallen, wenn Sie angenommen 20 Jahre alt wären im Gegensatz zu der Zeit, wenn Sie das 60. Lebensjahr vollendet hätten? Die Antwort ist einfach: 150 Minuten. 150 Minuten körperliche Aktivität ist der Preis.

Prof. Dr. med. Meinrad Gawaz-- Universitätsklinikum Tübingen

Prof. Dr. med. Meinrad Gawaz-- Universitätsklinikum Tübingen

© Gawaz

Prof. Dr. med. Tienush Rassaf-- Universitätsklinikum Essen

Prof. Dr. med. Tienush Rassaf-- Universitätsklinikum Essen

© Rassaf

Das ist die neue Kennzahl für alle, die gesund bleiben wollen und einen langen Lebensabend planen. Das Erfreuliche daran ist, dass 150 Minuten sportliche Aktivität gestückelt oder auch konzentriert werden kann. Gemäß einer jüngst veröffentlichten englischen Kohortenstudie spielt es keine Rolle, ob die sportliche Aktivität über die Woche verteilt wird oder nur am Wochenende stattfindet. Hauptsache ist, dass was für den Körper getan wird. Zu viel für Sie? Zu lang? Mal Hand aufs Herz: wenn Sie das eine oder andere Meeting streichen würden (uns fallen spontan einige ein, die getrost wegfallen könnten), dann kommen Sie schnell auf viele, viele Minuten, die Sie sinnvoller verwenden können.

Früher in Rente – länger gesund?

Eine weitere epidemiologische Studie belegt, dass ein früher Ruhestand zur mehr körperlicher Aktivität führt und mit einem geringeren Risiko für Herzerkrankungen verbunden ist. Also während der beruflichen Lebensphase 150 Minuten pro Woche Sport und ein möglichst früher Beginn der Berentung erhöht die Chance eines langen Lebensabends. Die sogenannten „Babyboomer“ wird das erfreuen. Aber was ist mit der nachfolgenden Generation, welche den langen Lebensabend bezahlen muss, um den Generationenvertrag zu erfüllen?

Wahrscheinlich wird es so ausgehen, dass die Jüngeren mehr „work“ als „life“ leben müssen und die Rentner doch noch arbeiten, weil sie ja gesund bleiben. Oder beide Generationen sich am Erhalt des Bruttosozialproduktes beteiligen. Sonst kann es gesellschaftlich nicht mehr funktionieren.

CCS vs. CCD: anders bezeichnet, aber die gleichen Therapieempfehlungen

Syndrom („syndrome“) oder Erkrankung („disease“)? Welches ist der beste Begriff für eine stabile chronische Koronare Herzerkrankung? Chronic coronary syndrome (CCS in Europa) oder chronic coronary disease (CCD in USA), wie es jetzt die aktuellen amerikanischen Leitlinien empfehlen. Per definitionem ist ein Syndrom ein Krankheitsbild bedingt durch das gemeinsame Auftreten bestimmter charakteristischer Symptome. Eine Erkrankung ist ein Körperzustand, welcher behandlungsbedürftig ist. Nach dieser Auslegung erscheint der Begriff CCD umfassender und präziser zu sein, da die koronare Herzerkrankung generell behandelt wird.

Dies ist sicherlich spitzfindig, weil im Ergebnis sowohl die europäischen als auch die amerikanischen Leitlinien gleiche Behandlungskonzepte empfehlen. Nachvollziehbar ist, dass die Empfehlungen der US-Leitlinien den Einsatz von Betablockern bei CCS/CCD restriktiver bewertet haben, was richtig ist.

Pharmakotherapie der Adipositas

Fettleibigkeit ist eine ernst zu nehmende Entwicklung nicht nur bei uns sondern weltweit. Würden alle Menschen die 150-Minuten-Empfehlung beherzigen hätten wir ohne Zweifel weniger Patienten mit Koronarer Herzerkrankung, Herzinsuffizienz, Diabetes und Vorhofflimmern. Statt anstrengender 150 Minuten ist jedoch für viele Menschen mit Adipositas eine Therapie mit sogenannten Hormonrezeptor-Agonisten (GIP/ GLP-1-Rezeptoragonisten) der einfachere Weg. Dadurch lässt sich ohne Zweifel und mühelos eine relevante Gewichtsreduktion erreichen. Laufende Endpunktstudien, welche kardiovaskuläre Ereignisse betrachten, werden wahrscheinlich auch positive Ergebnisse belegen.

Eigentlich sollten diese Medikamente eine Verbesserung der Behandlungen der Diabetiker erzielen, aber der potenzielle Markt ist sicherlich viel größer, wenn eine mögliche Zulassung für Fettleibigkeit erfolgt. Es dürfen Bedenken geäußert werden, ob es die richtige Richtung ist, statt gesunder Ernährung und bewusster Aktivität eine Pharmakostrategie für Fettleibige zu entwickeln. Wahrscheinlich ist aber, dass sich dieser Trend nicht aufhalten lässt. Aber darf, soll und muss hier das Gesundheitssystem für die Kosten aufkommen? Oder sollte der Patient (Nutzer) nicht besser selbst die Kosten tragen?

Per Revaskularisation die Lebensqualität verbessern

Wenn revaskularisieren, dann komplett bei chronischem Koronarsyndrom. Bei symptomatischer KHK sollte nach jüngster Studienlage ein komplette Revaskularisation angestrebt werden. Unabhängig von der Art der Revaskularisationsstrategie – interventionell oder operativ oder beides im Hybrid-Verfahren. Auch wenn die Bedeutung für die Prognose derzeit nicht eindeutig geklärt ist, erzielt jedoch die komplette Revaskularisierung deutlich bessere Beschwerdefreiheit und Lebensqualität. Der Erfolg der Herzmedizin sollte nicht immer nur an „harten“ Endpunkten gemessen werden, sondern die Lebensqualität gleichwertig betrachten. Hier sollten wir immer wieder einen Blick über den Tellerrand werfen in andere Fachdisziplinen (Onkologie, Neurologie, Orthopädie).

Das Lazarus-Phänomen

Im Johannesevangelium wird berichtet, dass Jesus in Betanien den Grabstein des verstorbenen Lazerus entfernen ließ und ihn von den Toten auferweckt hat. Eine Beobachtungsstudie hat 76 Fälle mit einem spontanen Erwachen nach Abbruch einer erfolglosen Reanimation berichtet. Selbst 4 Stunden nach Reanimation erwachten manche Patienten, ein Drittel der Betroffenen überlebten längere Zeit. Ein Phänomen, das zu denken gibt, aber sicherlich eine Rarität darstellt und naturwissenschaftlich begründet werden kann. Oder doch kein Phänomen?

Netzwerke und Telemedizin in der Kardiologie

Die Welt ist zunehmend vernetzt und auch die Herzmedizin. Eine große Errungenschaft war der Aufbau von Netzwerkstrukturen zur Versorgung von Patienten mit Herzinsuffizienz. Viele Regionen haben sich hier sehr stark entwickelt und die Versorgung von Betroffenen in multidisziplinären Versorgungsprogrammen verbessert, wie in einem Beitrag in der Cardio News am Beispiel des RUHR-HF-Netzwerk veranschaulicht wird. Ein weiterer flächendeckender Ausbau von Herzinsuffizienznetzwerken ist voll im Gange und notwendig. Limitierend ist ein standardisierter Datenaustausch zwischen HFU-Schwerpunktpraxen, HFU-Schwerpunktkliniken und überregionalen HFU-Zentren. Die Möglichkeiten der Digitalisierung müssen hier ernsthaft verbessert und gefördert werden. Ein funktionierende Telemedizin ist unabdingbar für ein Netzwerk, funktioniert aber derzeit nur in Ansätzen.

Neben den technischen Möglichkeiten ist eine große Aufgabe auch personelle Strukturen zu schaffen, die es erlauben, an den jeweiligen Standorten die Telemedizin zu leben und auch wirklich umzusetzen. Wie immer ist dies eine Vergütungssache und auch eine Aufgabe an die Personalentwicklung ausgebildeter „heart failure nurses“, welche gemeinsam die telemetrische Betreuung mit den Ärztinnen und Ärzten übernehmen werden. Hier ist es wichtig, dass wir zunehmend wie von der DGK gefördert wird die Ausbildung des Assistenzpersonal intensivieren.

Was künstliche Intelligenz und ChatGPT über Umweltmedizin wissen

Alle sprechen von Künstlicher Intelligenz aber nur wenige verstehen, wie es funktioniert. Sicher ist, dass die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz unser alltägliches Leben und unseren Berufsalltag verändern wird. Wie alles im Leben wird eine Gratwanderung zwischen Chancen und Gefahren stattfinden.

Spannend ist das vorliegende Interview mit einem Spezialisten für Umweltmedizin. Identische Fragen wurden sowohl an den menschlichen Spezialisten als auch an ChatGPT gestellt. Erstaunlich wirkt, wie informativ die KI-basierten Antworten waren. Sehr sachlich, klar strukturiert und umfassend. Abstriche mussten bei ChatGPT gemacht werden, betrachtet man die Angaben der Referenzliteratur, die ChatGPT automatisch mitlieferte. Die war oft falsch. Aber dies passiert auch in „menschlichen“ Manuskripten.

Wir sind überzeugt, dass die Cardio News wieder sehr lesenswert ist. Aber denken Sie daran, nach der Lektüre einen Teil der 150 Minuten abzuarbeiten ... und lieber ein (oder auch zwei) Meeting(s) zu streichen – es lohnt sich bestimmt

Herzliche Grüße

Tienush Rassaf und Meinrad Gawaz

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