Brauchen wir in Deutschland TAVI-Mindestmengen?

Pro und Kontra-- In einer Auswertung der Qualitätssicherungsdaten des IQTIG zu elektiven und dringenden transfemoralen TAVI-Prozeduren zeigte sich nach Adjustierung auf Risikofaktoren für 2019 eine signifikante Assoziation zwischen TAVI-Fallzahlen und Verhältnis zwischen beobachtender und erwartbarer Mortalität, für 2018 war kein solcher Zusammenhang nachweisbar. Sind TAVI-Mindestmengen nun sinnvoll oder nicht? Eine Pro- und Kontra-Diskussion.

Ein Kommentar von PD Dr. Marcel Weber und Prof. Volker Schächinger Veröffentlicht:
Brauchen wir in Deutschland TAVI-Mindestmengen?

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Mindestmengen werden zunehmend als Instrument herangezogen, die Versorgung in Deutschland zu steuern. So hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) für die Transkatheter-Aortenklappenimplantation (TAVI) eine Mindestmenge von 150 zur Diskussion gestellt und das IQTIG angewiesen, dies für die Jahre 2018 und 2019 zu prüfen. Im European Heart Journal wurde vor Kurzem eine Auswertung der Qualitätssicherungsdaten des IQTIG zu elektiven und dringenden transfemoralen TAVI-Prozeduren dieser beiden Jahre publiziert. Demzufolge zeigte sich nach Adjustierung auf Risikofaktoren für 2019 eine signifikante Assoziation zwischen TAVI-Fallzahlen und Verhältnis zwischen beobachtender und erwartbarer Mortalität, für 2018 war kein solcher Zusammenhang nachweisbar. Was lässt sich daraus schließen: Sind TAVI-Mindestmengen nun sinnvoll oder nicht? Eine Pro- und Kontra-Diskussion.

Pro: Eine Ode an die Fallzahl

PD Dr. Marcel Weber, Herzzentrum Bonn

PD Dr. Marcel Weber, Herzzentrum Bonn

© Weber

Gute Daten müssen Grundlage von wichtigen Entscheidungen sein! Bestehorn et al. veröffentlichten kürzlich im European Heart Journal neue Daten zur Beziehung von TAVI-Fallzahl und Outcome [1]. Leider ist die Qualität der zugrunde liegenden Daten sehr mangelhaft. Trotzdem lohnt eine erneute Diskussion in der Entscheidungsphase von nationaler Krankenhausreform und länderspezifischen Krankenhausplänen. Im Folgenden wird diese Studie daher kritisch beleuchtet und es werden die Argumente pro Mindestmenge vorgetragen.

Die neue Arbeit von Bestehorn et al. mit Einbeziehung deutscher Qualitätssicherungsdaten von 2018 und 2019 zeigt in beiden Jahren eine inverse Abhängigkeit von der Fallzahl und der Krankenhaussterblichkeit. Also mehr TAVI-Fälle in einer Klinik bedeuten weniger Mortalität im selbigen. Diese signifikante Abhängigkeit hielt einer Risikoadjustierung mittels AKL-KATH-Score im Jahr 2019 stand. Doch konnte kein Cut-off-Wert gefunden werden, der angibt, ab welcher Fallzahl eine inakzeptable Behandlungsqualität erreicht wird. Dies wird von den Autoren als Argument kontra Mindestmenge gewertet.

Der Endpunkt für eine inakzeptable Behandlungsqualität ist jedoch sehr extrem gewählt und basiert auf dem 95%-Perzentil der „observed to expected ratio“ (beobachtete, zu erwartete Mortalität nach AKL-KATH) von > 2,50 (2018) und > 2,87 (2019), den nur zwei Klinken erreichten. Beide Krankenhäuser hatten eine sehr geringe Fallzahl von < 100 TAVIs in 2018 und < 155 in 2019, welche dem niedrigsten Quartil entspricht. Ziehen wir zum Vergleich die aussagekräftigste Publikation zur Mindestmenge von Vemulapalli et al. [2] heran: In dieser Studie mit 113.000 TAVI-Prozeduren lag die Fallzahl im niedrigsten Quartil bei < 37 pro Jahr. Die 30-Tages-Mortalität in diesem Quartil war um 21 % höher als im Quartil mit der höchsten Fallzahl (> 86). Ein solcher Quartilsvergleich war im Artikel von Bestehorn et al. nicht signifikant, jedoch fand sich eine inverse Korrelation von Mortalität zur jährlichen Fallzahl des Zentrums (2018: R² = 0,08, p =  0,007; 2019: R² = 0,12, p = 0,001).

Nun bleibt die Frage, warum die Korrelation in der EHJ-Arbeit nicht stärker ausgefallen ist und warum kein Cutoff gefunden werden konnte? Hierzu muss die Fragestellung vielschichtiger betrachtet und andere Faktoren wie die Datenqualität mit einbezogen werden. Die folgenden vier Faktoren haben einen entscheidenden Einfluss:

In der Arbeit von Bestehorn et al. lag der Mittelwert der jährlichen Prozeduren bei > 230 pro Zentrum. Die meisten Zentren führten mehr als 100 Prozeduren pro Jahr durch. In den bisher publizierten internationalen Studien war das unterste Quartil bei nur < 50 Prozeduren pro Jahr verortet. Die deutsche Aggregation der TAVIs auf die ca. 80 Herzzentren und das hohe jährliche TAVI-Volumen von 20.000 sind ursächlich für diese beachtliche Mindestmenge auch von den kleinsten Herzzentren. Diese hohen Fallzahlen im untersten Quartil führen zu besseren Ergebnissen und mögen ein Grund sein, weshalb der Unterschied zum Quartil mit den höchsten Fallzahlen nicht deutlicher ausfällt.

Eine Risikoadjustierung ist wichtig. Jedoch stellt sich die Frage, welcher Score verwendet wurde und wer ihn mit wie viel Zeitaufwand berechnet hat. Andere Risikofaktoren wie Verkalkungsgrad der Zugänge oder des Aortenklappenanulus gehen bekanntlich nicht in die gängigen Scores ein und fehlen daher in der Betrachtung. Je weniger Zeit für die Qualitätssicherungsdaten im Zentrum verwendet wird, desto schlechter ist die Datenqualität. Es gibt kein Prüforgan für die Eingabequalität. Wenn Endpunkte nicht dokumentiert werden, fehlen sie in der Qualitätssicherung. Dies fällt bei fehlendem Monitoring nicht auf und mündet in unzureichender und lückenhafter Datengrundlage. Einzig die Mortalität kann als valider Endpunkt betrachtet werden und diese korrelierte in der Publikation invers mit der Fallzahl. Eine Risikoadjustierung an bestehende Scores ist jedoch zum Scheitern verurteilt, da sie eine hohe Datenqualität voraussetzt.

Andere Faktoren wie die Zahl und Erfahrung der Implanteure pro Zentrum sowie die Diversität der verwendeten TAVI-Plattformen sind in der Studie nicht aufgeführt, diese würden die Behandlungsqualität aber entscheidend beeinflussen. Für die Dokumentation dieser Informationen müsste ebenfalls Zeit aufgewendet werden. Jedoch könnten diese Daten helfen, Qualitätsunterschiede der einzelnen Zentren zu erklären und Mindestmengen pro Untersucher zu definieren.

Zuletzt gibt es neben der Krankenhaussterblichkeit andere Outcome-Faktoren wie Rehospitalisierung oder Schlaganfälle im ersten Jahr nach TAVI, Schrittmacher-Häufigkeit und Patientenzufriedenheit, die einen entscheidenden Einfluss auf die Behandlungsqualität haben. Diese fehlen alle im Manuskript von Bestehorn et al. und sollten – bei guter Datenqualität – zur Definierung einer Mindestmenge in Betracht gezogen werden.

Weiter hohe Fallzahlen anstreben

Der Zusammenhang zwischen Krankenhausvolumen und guten klinischen Ergebnissen hatte sich nicht nur beim chirurgischen Aortenklappenersatz etabliert [3], sondern wurde auch bei der TAVI auf sehr guter Datengrundlage bestätigt [2, 4, 5]. Dies hat viele nationale Gesellschaften für Kardiologie und Herzchirurgie dazu veranlasst, eine jährliche Mindestanzahl von TAVI-Eingriffen (von 20 bis 100 pro Zentrum/Jahr) als Maß für die Qualität eines Krankenhauses festzulegen. In Deutschland ist diese Mindestmenge durch die Begrenzung der TAVI-Leistungserbringung auf die ca. 80 Herzzentren mit integrierter Herzchirurgie bereits seit vielen Jahren umgesetzt. In Anbetracht des klar vorhandenen Mengeneffektes sollten wir also weiter hohe Fallzahlen pro Zentrum und Untersucher anstreben, um eine bestmögliche Behandlungsqualität zu erzielen. Oder würden Sie eine TAVI von einem Untersucher vornehmen lassen wollen, der diese Prozedur nur einmal pro Woche durchführt?

Literatur--

1. Bestehorn K et al. Eur Heart J. 2022, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehac6981

2. Vemulapalli et al. N Engl J Med. 2019; 380:2541-50

3. Thourani VH et al. Ann Thorac Surg. 2022; 114:1299-1306

4. Wassef et al. JACC Cardiovasc Interv. 2018;11:1669-79

5. Kir D et al. Catheter Cardiovasc Interv. 2021; 98:453-61

Kontra: Keine Bedeutung für reale Qualität

Prof. Volker Schächinger, Klinikum Fulda

Prof. Volker Schächinger, Klinikum Fulda

© Schächinger

Die im European Heart Journal publizierten IQTIG-Daten zu TAVI in 2018 und 2019 in Deutschland liefern die vom G-BA geforderte Evidenz zu Mindestmengen: Bei 18.763 (in 2018), bzw. 22.137 (in 2019) Patienten wurde der Zusammenhang zwischen dem Untersuchungsvolumen pro Krankenhaus und der tatsächlichen Qualität untersucht [1].

Die Qualität wurde beurteilt anhand der intrahospitalen Mortalität, adjustiert auf das Risiko der Patienten nach AKL-KATH-Score (O/E = ‚observed to expected‘ Inhospital-Mortalität). Die adjustierte O/E-Krankenhausmortalität zeigte nur in 2019 einen schwachen statistischen Zusammenhang mit dem Untersuchungsvolumen, nicht jedoch in 2018. Nimmt man den EuroSCORE II zur Adjustierung, besteht in beiden Jahren kein signifikanter Zusammenhang. Ebenso wiesen Krankenhäuser im untersten Quartil des Hospitalvolumens keinen statistischen Unterschied in der O/E-Inhospital-Mortalität auf im Vergleich zum obersten Quartil. Wenn überhaupt, lassen sich statistisch weniger als 5 % der Variabilität der Mortalität durch Mindestmengen erklären. Das heißt, andere Faktoren sind bedeutsamer für die Behandlungsqualität.

Gründe für fehlende Bedeutung von Mindestmengen

Die Krankenhaussterblichkeit war mit durchschnittlich 2,4 % bis 2,6 % im Vergleich zu früher bereits sehr niedrig, und darüber hinaus auch überproportional rückläufig (O/E nur noch 0,37 bis 0,39). Gründe hierfür könnten die Vereinfachung der Prozedur mit modernen Planungstools sowie die ausgereifte Kathetertechnik sein sowie das im internationalen Vergleich generell hohe Untersuchungsvolumen („kleine“ deutsche Zentren sind oft größer als „große“ Zentren in USA). Weiterhin gibt es in Deutschland durch die Strukturvorgaben des G-BA bereits hohe strukturelle Qualitätshürden für die TAVI-Leistungserbringung und mit der Zertifizierung der DGK weitere Qualitätsanreize.

Fehlsteuerung durch Mindestmengen

Bei jeder gewählten Mindestmenge würden nach der IQTIG-Analyse auch viele Zentren mit überdurchschnittlich guter Qualität (O/E <1) von der Leistungserbringung ausgeschlossen und dabei verblieben selbst bei hohen Mindestmengen mitunter Zentren mit nachweislich schlechter Qualität (O/E > 95. Perzentile) in der Versorgung. Bei einer Mindestmenge von 150 in 2019 würden z. B. 20 Zentren mit überdurchschnittlicher oder akzeptabler Qualität (25 % aller Zentren) ausgeschlossen und trotzdem verbleibt ein Zentrum mit schlechter Qualität in der Versorgung.

Fazit: Mindestmengen inDeutschland ungeeignet

Unter den G-BA regulierten Zugangsbeschränkungen zur TAVI-Leistungserbringung und der mit moderner TAVI-Technik erreichten insgesamt niedrigen Mortalität sind Mindestmengen in Deutschland ungeeignet, zwischen guter und schlechter Qualität zu differenzieren. Mindestmengen sind somit kein Surrogat für die TAVI-Qualität und taugen daher nicht als Instrument der gesundheitspolitischen Versorgungssteuerung. Zur Beurteilung von Qualität ist es zielführender, direkte Qualitätsparameter, wie die adjustierte Mortalität, heranzuziehen.

Literatur--

1. Bestehorn K et al. Eur Heart J. 2022; https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehac6981

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