„Cardiology at its best“ – ESC im Studienrausch

News aus Barcelona-- Der weltweit größte kardiologische Kongress begeisterte endlich wieder als Live-Veranstaltung tausende Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Mit einer Vielzahl neuer Studien – und mal mehr, mal weniger erfolgreichen Ergebnissen – war ein breites Themenspektrum geboten, dem wir mit dieser Ausgabe Tribut zollen.

Ein Leitartikel von Prof. Tienush Rassaf und Prof. Meinrad Gawaz Veröffentlicht:
„Cardiology at its best“ – ESC im Studienrausch

© ESC

Prof. Dr. med. Meinrad Gawaz, Universitätsklinikum Tübingen, Gawaz

Prof. Dr. med. Meinrad Gawaz, Universitätsklinikum Tübingen, Gawaz

© Gawaz

Prof. Dr. med. Tienush Rassaf, Universitätsklinikum Essen

Prof. Dr. med. Tienush Rassaf, Universitätsklinikum Essen

© Rassaf

Liebe Leserinnen und Leser,

das mit dem Alkohol ist ein zweischneidiges Schwert. Der Mensch ist halt genusssüchtig und hat seit Menschengedenken versucht, aus allem Alkohol herzustellen. Meist diente als Grundlage hierfür köstlicher Traubensaft und falls dieser nicht zur Verfügung stand, reichten ihm auch banale Äpfel oder gar Stutenmilch.

Die Wirkung war immer die gleiche – ein wohl angenehmer Rauschzustand. Bereits in den 1990er-Jahren bekamen wir die frohe Botschaft, initial aus Bordeaux, dass Rotwein nicht nur ein hervorragendes Genussmittel ist, sondern auch noch vor den Folgen der koronaren Herzerkrankung schützt, angeblich aufgrund der einzigartigen Inhaltsstoffe der Rotweinrebe, gepaart mit den Tanninextrakten aus den alten Eichenfässern.

Ein Gläschen in Ehren... oder besser doch nicht?

Seitdem war die allgemeine Empfehlung, dass ein Gläschen gesundheitsfördernd sei. Schnell folgten Studien, dies gelte nicht nur für Rotwein, sondern für jegliche Form von Alkoholika. Bei vielen bleibt es jedoch nicht bei dem einen „Gläschen“ und das kann sich nicht nur für das Herz, sondern auch für alle anderen Organe stark schädigend auswirken.

Auch dies war uns allen sehr bewusst, man denkt da nicht nur an die beruflichen Bierlieferanten, die zu ihrem Einkommen noch eine kostenlose Extraportion an Bierkästen von ihrem Arbeitgeber bekamen.

Trinkverhalten Herzkranker ist bedenklich

Und jetzt die schlechte Nachricht aus den USA: Viele Patientinnen und Patienten mit Herzerkrankungen weisen ein ungesundes Trinkverhalten auf, das generell unterschätzt wird und auch durch die positiven Werbemaßnahmen für eine kardioprotektive Alkoholwirkung ausgelöst wird. Dies wird jedoch nicht nur bei Herzpatienten der Fall sein, sondern generell für alle Menschen, die Alkohol konsumieren.

Könnte ein Werbeverbot für Alkohol zielführend sein?

Bedrohlich sind die Meldungen der Deutschen Gesellschaft für Suchtfragen, nach denen fast drei Millionen Menschen in Deutschland alkoholbezogene Störungen aufweisen, und darunter leider zunehmend auch Jugendliche und jungen Erwachsene sind.

Die Empfehlung aus den USA ist sicherlich richtig, dass bei allen akuten Herzpatienten mit verdächtigem Alkoholmissbrauch eine tiefgründige Evaluierung und Beratung erfolgen sollte. Ob dies jedoch dem Problem gerecht wird, ist fraglich. Ein Werbeverbot wie bei Tabak wäre hier sicherlich effektiver.

Erfolgreicher Vormarsch der SGLT2-Inhibitoren

Die Erfolgsgeschichte der SGLT2-Hemmer nimmt kein Ende und verläuft – ähnlich wie bei ARNI – jetzt auch mit SGLT2-Inhibitoren bei diastolischer Herzinsuffizienz (HFpEF).

Die Ergebnisse der randomisierten DELIVER-Studie bestätigen inzwischen die Vorergebnisse der randomisierten EMPEROR-Preserved-Studie. Damit stellen die SGLT2-Hemmer nun – unabhängig vom Grad der linksventrikulären Funktionsstörung – einen wesentlichen pharmakologischen Bestandteil in der Behandlung aller herzinsuffizienten Patienten dar.

Ungeklärt bleibt aber die Frage, wie weit wir uns bei signifikanter Niereninsuffizienz vorwagen dürfen, einschließlich der Therapie von Dialysepatienten. In diesen Patientenkollektiven sind daher auch noch Studien notwendig.

Vorsorge ist immer besser als Nachsorge

Am besten ist es immer, man bleibt gesund. Kann dies durch eine intensivere Vorsorgeuntersuchung begünstigt werden? Die dänische DANCAVAS-Studie hat sich dieser Frage in einer beachtlichen Untersuchung gestellt. Dennoch konnten hier leider keine überzeugenden Ergebnisse berichtet werden.

Erschreckend ist die hohe Mortalitätsrate von 13 % innerhalb von fünf Jahren bei doch relativ „gesunden“ Männern im Alter zwischen 65 und 69 Jahren. Also Vorsicht bei Männern, die in die wohlverdiente Rente gehen.

Risikoscreening mit PET-CT – Studienlage überzeugt nicht

Oder sollte nicht noch intensiver bei allen Menschen mit Risikofaktoren z. B. mittels PET-CT nachgeschaut werden, wie eine Studie, die auf dem ESC vorgestellt wurde, untersucht hat? Mal unabhängig davon, ob ein solches Vorgehen denn überhaupt pragmatisch oder organisatorisch umgesetzt werden kann.

Auch die Ergebnisse der sogenannten PRE18FFIR-Studie aus Schottland konnten leider nicht überzeugen. Was ist aber mit den Frauen? Sollten wir hier nicht auch eine weitere dementsprechende Studie einfordern?

Interventionelle Therapie bei KHK – oder was sonst?

Nicht nur seit der VANQWISH-Studie aus dem Jahre 1998 wird die interventionelle Versorgung der koronaren Herzerkrankung bei bestimmten Patientengruppen infrage gestellt. In der vorgestellten randomisierten REVIVED-Studie wird erneut das interventionelle Vorgehen bei ischämischer Herzerkrankung hinterfragt – ein schwieriges Thema, aber sehr wichtig.

Es erscheint aber schwierig, zu verstehen, dass eine Studie mit nur 700 Patienten diese wichtige Fragestellung ausreichend beantworten kann. Erschreckend ist in dieser Studie auch die hohe Mortalität von über 30 %.

Keine Prognosebesserung durch routinemäßige Stresstests

Können hier – in diesem Patientenkollektiv mit einer deutlich eingeschränkten linksventrikulären Funktion (LVEF, im Mittel 27 %) – noch wirksame Maßnahmen unabhängig von der Revaskularisation ergriffen werden? Müssen diese Patientinnen und Patienten vielleicht engmaschiger betreut werden und sollte die Indikation für einen implantierbaren Kardioverter-Defibrillator (ICD) häufiger gestellt werden?

Auch Routinechecks mit Stresstests scheinen hier nicht wirklich Verbesserungen erzielen zu können, wie in der jüngsten POST-PCI-Studie untersucht wurde.

Eine der wohl wichtigsten und effektivsten Therapiemaßnahmen bei der koronaren Herzerkrankung ist die Lipidtherapie einschließlich der Einnahme von Statinen und die Erreichung von LDL-Cholesterin-Zielwerten.

Statinnebenwirkungen als verbreiteter Noceboeffekt

Warum ist diese wirkungsvolle Prävention in der Bevölkerung und auch bei einem Teil der Ärzteschaft so umstritten? Die Datenlage ist doch eindeutig. Die Rate an berichteten Statinnebenwirkungen ist oft unglaublich hoch und häufig im konkreten Fall nicht nachzuvollziehen. Schon die Angst vor Nebenwirkungen einer medikamentösen Behandlung ist oft größer als das Wissen um die positiven Ergebnisse.

Eine große Metaanalyse aus Oxford bestätigt, dass die vermeintlichen Statinnebenwirkungen in den meisten Fällen gar nicht dem Medikament zuzuordnen ist. Hier kann nur die persönliche ärztliche und überzeugende Beratung helfen.

Verbesserungsoptionen in der Herzmedizin

Es bleibt also – trotz großartiger vergangener Erfolge – noch jede Menge Verbesserungspotenzial für die Herzmedizin übrig.

Denn das Schöne an der Herzmedizin ist doch, dass immer wieder hoffnungsvolle Innovationen entwickelt werden, diese dann in klinischen Studien überprüft und auch kontinuierlich immer wieder infrage gestellt werden. Nur so hat und kann sich das Fach optimal weiterentwickeln und darunter vor allem Dinge die dem Wohlergehen der Patientinnen und Patienten zugutekommen.

Wichtige Rolle der fachlichen Aus- und Weiterbildung

Ganz entscheidend ist dabei stets die Ausbildung und Weiterbildung aller in der Herzmedizin tätigen Berufsgruppen, was auch im neuen Lernzielkatalog das reformierte Medizinstudium aufwerten wird. Wir müssen dies nur auch auf allen Ebenen umsetzen.

Herzliche Grüße

Tienush Rassaf und Meinrad Gawaz

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