Clinician Scientists schlagen die Brücke zwischen Klinik und Forschung

Zukunft der Herzmedizin-- Nur durch Fortschritte in der Diagnostik und Therapie sind wir in der Lage, die Morbidität und Mortalität von Herz-Kreislauf-Erkrankungen weiter einzudämmen. Dazu benötigt es engagierte Clinician Scientists, die die Brücke zwischen Wissenschaft und Klinik schlagen.

Ein Leitartikel von Dr. Christiane Jungen Veröffentlicht:
Genomics-Forschung kann zu einer personalisierten Medizin beitragen.

Genomics-Forschung kann zu einer personalisierten Medizin beitragen.

© Bill Oxford / Getty Images / iStock

Im Jahr 2019 waren laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) kardiovaskuläre Erkrankungen für 32 % aller Todesfälle weltweit verantwortlich und machen damit eine der Haupttodesursachen aus [1]. Die Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen ist kostenintensiv, auch da Symptome oft erst im späten Verlauf auftreten. Es ist daher essenziell, sowohl bessere als auch frühere Diagnostik und neue therapeutische Ansätze zu finden, um der stetigen Zunahme an Herz-Kreislauf-Erkrankungen sinnvoll und frühzeitig begegnen zu können.

Dr. Christiane Jungen Universitätsmedizin Essen Jungen

Dr. Christiane Jungen Universitätsmedizin Essen Jungen

© Jungen

Clinician Scientists schlagen die Brücke zwischen Klinik und Grundlagenwissenschaften. Sie werden als Schlüssel für die Translation und die Erforschung innovativer Therapiekonzepte gesehen [2]. Durch ihre Kenntnisse in beiden Bereichen ermöglichen sie einerseits die Translation von Forschungsergebnissen in die Klinik und bringen andererseits klinische Probleme und Fragestellungen in die Grundlagenforschung.

Clinician Scientists als Wegbereiter wichtiger Erfindungen

In der Vergangenheit waren es vor allem Clinician Scientists, die bahnbrechende Erfindungen gemacht haben, indem sie klinische Fragestellungen ins Labor gebracht und diese grundlagenwissenschaftlich adressiert haben. So stellten sich in den 1970er-Jahren Michael Brown und Joseph Goldstein die Frage, warum Arterien von Kindern genauso arteriosklerotisch verengt sein können wie die von adipösen 80-jährigen Patienten. Diese patienteninspirierte Forschung führte zur Entdeckung der LDL-Rezeptoren und legte dadurch den Grundstein für die Entwicklung von Statinen, die heutzutage zu den meistverordneten Medikamenten gehören.

Das Spannende an der Grundlagenwissenschaft ist es, einer Hypothese offen zu begegnen, die Ergebnisse unvoreingenommen zu betrachten und neuen Erkenntnissen in der Tiefe nachgehen zu können. Durch meine experimentelle Doktorarbeit an einem Max-Planck-Institut kam ich sehr früh mit naturwissenschaftlichen Doktoranden und Postdocs aus verschiedenen Fachbereichen (z. B. Informatik, Biologie, Mathematik) in Kontakt. Die enge Zusammenarbeit und der tägliche Austausch mit ihnen hat mich gelehrt, die Herangehensweise und den Blickwinkel von Naturwissenschaftlern zu verstehen und medizinische Probleme des klinischen Alltags allgemein verständlich darzustellen. Durch dieses Erlernen mehrerer „Sprachen“ ist die Zusammenarbeit und das Verständnis für andere Berufsgruppen einfacher möglich, wodurch am Ende bessere Ergebnisse erzielt werden können. Darüber hinaus können Clinician Scientists auch den Patienten besser den Wert und die klinische Relevanz von neuer Diagnostik oder Therapie vermitteln.

Doppelrolle stellt eineHerausforderung dar

Aufgrund der Arbeitsverdichtung im klinischen Alltag durch steigende Patientenzahlen und immer komplexeren Eingriffen, ist es eine Herausforderung für den einzelnen Arzt/die einzelne Ärztin eine sowohl klinische als auch wissenschaftliche Tätigkeit im Alltag in gleicher Weise aufrecht zu erhalten. Universitäten und Vertreter der Forschungspolitik haben dies erkannt und bieten immer mehr strukturierte Förderprogramme an, um die Rahmenbedingungen für Clinician Scientists zu verbessern und diese Doppelrolle zu fördern. Diese Programme sollen meist eine teilzeitige Freistellung der Ärzte ermöglichen und unterliegen einem unabhängigen Begutachtungsprozess [3]. Vor allem für junge Ärztinnen und Ärzte, während der Weiterbildungszeit zum Facharzt, werden vielfältige Fördermöglichkeiten angeboten, wohingegen die Förderung nach abgeschlossener Facharztweiterbildung weniger gut ausgebaut ist.

Wichtige Programme fürden Nachwuchs

Einige dieser Programme bieten die Möglichkeit, einen Teil der wissenschaftlichen Ausbildung im Ausland zu absolvieren. Dies ermöglicht ein Kennenlernen der Strukturen und Herangehensweisen von internationalen Spitzengruppen. Zudem ist der Alltag in diesen Arbeitsgruppen sehr bereichernd und regt dazu an, „über den eigenen Tellerrand“ hinaus zu denken.

Des Weiteren können Kollegen aus dem Ausland auch über den Aufenthalt hinaus wertvolle Diskussions- oder sogar Kooperationspartner in internationalen Projekten werden. Um den Herausforderungen der Herzmedizin adäquat begegnen zu können, wird ein international vernetztes, kompetitives, aber auch kooperatives Arbeiten in Zukunft weiter an Relevanz gewinnen.

Neue Entwicklungen, die künftige Therapien beeinflussen könnten

Die Zukunft der Herzmedizin wird vor allem getrieben durch technischen Fortschritt, der eine personalisierte präventive und digitalere Medizin vorantreibt. Die personalisierte Medizin macht zum Beispiel in der Diagnostik durch Genomics und der Therapie mittels induzierter pluripotenter Stammzellen Fortschritte. Die Therapie ventrikulärer Tachykardien wurde für ein ausgewähltes Patientenkollektiv um die intramurale Nadel-Radiofrequenz-Ablation und Bestrahlung erweitert und ermöglicht so eine maßgeschneiderte personalisierte Herangehensweise. Präventive und digitale Ansätze werden besonders im Bereich der Rhythmologie verfolgt. So unterstützen bei Vorhofflimmern schon heute die sogenannten Wearables die Diagnosefindung. Die Risikoprädiktion von Vorhofflimmern oder die Unterscheidung zwischen hypertropher Kardiomyopathie und kardialer Amyloidose mithilfe von Artificial Intelligence wurde bereits beschrieben. Grundlagenwissenschaftlich ist die kardiale Stimulation und Defibrillation mittels Licht durchführbar, eine Translation in den Menschen ist bisher noch nicht erfolgt. Eine neue Energieform für die Ablation von Herzrhythmusstörungen, die Elektroporation oder auch Pulsed-Field-Ablation, durchlief den Weg von der Grundlagenforschung bis zur Anwendung im Menschen und wird perspektivisch möglicherweise einen Teil der bisherigen Ablationsformen ablösen.

In all diesen Bereichen wird die Arbeit von Clinician Scientists essenziell sein, um die Translation von bench-to-bedside zu ermöglichen und somit der steigenden Zahl von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in den nächsten Jahrzehnten sinnvoll begegnen zu können.

Literatur--

1. www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/ cardiovascular-diseases-(cvds)
2. Hilgendorf I et al. Kardiologie. 2023;17(1):6-11
3. Thimme R et al. Dtsch Med Wochenschr. 2019;144(07):489-93

Kontakt-- Dr. Christiane Jungen, Klinik für Kardiologie und Angiologie, Universitätsmedizin Essen

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