Deutschland könnte mehr „Hygge“ wagen
Zwischen Arbeitsalltag und Krankenhausreform-- Oft lohnt ein Blick über den Tellerrand: In Dänemark haben Ärztinnen und Ärzte üblicherweise geregelte Arbeitszeiten ohne Überstunden. In Deutschland halten u. a. Bürokratie und fehlende Digitalisierung Ärzte von ihrer eigentlichen Arbeit ab. Kann die neue Krankenhausreform daran etwas ändern? Die meisten Fragen zum Management koronarer Interventionen scheinen auf den ersten Blick gelöst – doch dem ist nicht so, wie in dieser Cardio News-Ausgabe deutlich wird.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen,
im Norden liegt ein Land, wo Milch und Honig fließt. Gemäß des World-Happiness-Reports leben in Dänemark die glücklichsten Menschen der Welt. Glück wurde in dieser Analyse definiert durch sechs Faktoren: Bruttoinlandprodukt pro Kopf, soziale Unterstützung, Lebenserwartung, eigene Lebensentscheidungen treffen zu können, Großzügigkeit und Korruption. Deutschland schafft es nur auf den 16. Platz. Diejenigen von uns, die schon einmal in Dänemark Urlaub machten, wissen, dass das Zauberwort „Hygge“ (was soviel bedeutet wie „gemütlich beisammen sein“) von den dortigen Bewohnerinnen und Bewohnern sehr gepflegt wird.

Prof. Dr. med. Meinrad Gawaz-- Universitätsklinikum Tübingen
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Prof. Dr. med. Tienush Rassaf-- Universitätsklinikum Essen
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Interessant ist der Erfahrungsbericht in der vorliegenden Ausgabe einer deutschen Ärztin, die in einem Krankenhaus in Kopenhagen arbeitet. Arztberuf ohne Hierarchie und fast ohne Überstunden. Alle duzen sich, gehen pünktlich um halb vier nach Hause, nur wer Interesse an Forschung hat, soll sich damit beschäftigen – selbstverständlich im Rahmen der normalen Arbeitszeit. Der Abend ist für die Familie reserviert, oft kommen die Kolleginnen und Kollegen und auch der Chef/die Chefin vorbei zum „Hygge“. Ein Traum für viele, die in Deutschland Dienst tun müssen. Sicherlich wird in Dänemark nicht alles besser sein, aber es ist immer gut, über den eigenen Tellerrand zu schauen, um Verbesserungen, wo möglich, am eigenen Standort zu bewirken. Dänemark macht es uns vor und hat es geschafft, vom Negativimage eines William Shakespeares wegzukommen, der noch zu seiner Zeit der Meinung war: „something is rotten in the state of Denmark“.
Offene Fragen zum Managementkoronarer Interventionen
Kann eine koronare Intervention noch besser werden? Sind hier nicht längst die wesentlichen Fragen geklärt? Wie steht es mit der Therapie von chronischen Koronarverschlüssen? Die derzeitige Studienlage zur Rekanalisation ist überschaubar und die Ergebnislage ist uneindeutig. Deshalb ist eine individuelle Therapieentscheidung zu treffen – insbesondere bei deutlich symptomatischen Betroffenen. Hinsichtlich verbesserter Lebenserwartung sind keine belastbaren Daten vorzeigbar.
Und wie sollen wir vorgehen bei komplexen Bifurkationsstenosen? 1-Stent- oder 2-Stent-Strategie? Eine Frage, die sich für Kardiologinnen und Kardiologen täglich stellt. Eine Stellungnahme einer interventionellen Kardiologin in dieser Cardio-News-Ausgabe erscheint pragmatisch und nachvollziehbar.
Darf eine Koronarintervention ohne intrakoronare Bildgebung erfolgen? Ohne Zweifel können sowohl die Befunde aus dem intravaskulären Ultraschall (IVUS) als auch die einer optischen Kohärenztomografie (OCT) einen wissenschaftlich interessanten Eindruck über das Ausmaß der Erkrankung liefern. Die Frage, ob die Stentimplantation dadurch wirklich aus klinischer Sicht verbessert wird, ist allerdings – trotz vorhandener Studienlage – weiterhin nicht überzeugend zu beantworten. Argumente, dass durch die intrakoronare Bildgebung vulnerable Plaques erkannt werden, sind nachvollziehbar. Aber ob sich daraus therapeutische Konsequenzen ableiten lassen, ist fraglich. Unter Einsatz der derzeitigen Stenttechnologie, die sich durch sehr niedrige Stentthrombose- und Restenose-Raten auszeichnet, bleibt ein berechtigter Einwurf: Lohnt sich der Mehraufwand?
Ein immerwährendes Thema ist die Frage: komplette Revaskularisierung oder Beschränkung auf die Culprit-Lesion bei Patientinnen und Patienten mit Nicht-ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI)? Patienten mit komplexen multiplen Läsionen werden immer häufiger, weil unser Patientenkollektiv auch immer älter wird. Diese Frage nur anhand der Koronarmorphologie zu beantworten, erscheint zu kurz gegriffen. Interventionszeit, Kontrastmittelverbrauch und Komorbiditäten sind wesentliche Entscheidungskriterien, die berücksichtigt werden müssen.
Was tun bei schweren Koronarkalzifizierungen? Superhochdruck bis der Ballon platzt, Cutting-Ballon, „shock wave“, Rotablation? Derzeit steht uns ein ganzes Arsenal von Techniken zur Verfügung, mit all ihren Vor- und Nachteilen? In diesem Behandlungsbereich ist sicherlich der Einsatz der intrakoronaren Bildgebung hilfreich und notwendig. Auch stellt sich bei dieser Indikation die Frage, welche antithrombotische Therapie auf lange Sicht am effektivsten ist. Sicherlich sollte das Regime in solchen Fällen nicht verkürzt werden.
Ungewöhnliche Verbindungen –Epilepsie und Herzinsuffizienz
Was hat eine Epilepsie mit einer Herzinsuffizienz zu tun? Eine interessante Hypothese und Betrachtungsweise. Viele meist ältere Patientinnen und Patienten mit Epilepsie haben eine kardiale Komorbidität, welche das Auftreten von epileptischen Ereignissen begünstigen kann. Interessant ist auch die Betrachtungsweise, dass rezidivierende Epilepsien die Entwicklung einer Herzinsuffizienz begünstigen („epileptisches Herz“). Dies stellt ein weiterer Aspekt der Herz-Hirn-Achse dar.
Früher war es das Bauchfett, jetzt ist es das „Herzfett“. Seit langem ist bekannt, dass das viszerale Fettgewebe einen wesentlichen kardiovaskulären Risikofaktor darstellt. Übergewichtige Patienten bilden oft beträchtliche Mengen an epikardialem Fettgewebe aus, welches sehr oft eine subtile echokardiografische Diagnostik erschwert. Viszerales Fett beinhaltet nicht nur „Fettgewebe“, es ist auch ein hormonell aktives „Organ“ und sekretiert in dieser Funktion eine Vielzahl an inflammatorischen Mediatoren, die sowohl lokal als auch systemisch zum Teil beträchtliche Auswirkungen haben können.
Beeinflusst das epikardiale Fettgewebe die Genese der koronaren Arteriosklerose? Begünstigt das epikardiale Fett die Entwicklung einer konstriktiven Herzinsuffizienzsymptomatik oder gar die Entwicklung einer Herzinsuffizienz mit erhaltener Pumpfunktion, also eine HFpEF? Das sind klinisch und wissenschaftlich interessante Fragen. Eine sicherlich mögliche und unmittelbare Behandlungsoption ist die Gewichtsabnahme.
Ist die Krankenhausreform ein drohendes Damokles-Schwert?
Ist die Krankenhausreform ein drohendes „Damokles-Schwert“ auch für uns Kardiologen und Kardiologinnen? Zur Reform gehört bekanntlich, möglichst viele Eingriffe in die ambulante Versorgung zu verlegen, das Schließen von Krankenhäusern, die Einhaltung stringenter Qualitäts- und Mengenkriterien, die Zentralisierung komplexer Eingriffe auf wenige Zentren usw.
Eines der überzeugendsten Ziele, die im neuen Eckpunktepapier des Gesundheitsministers Karl Lauterbach aufgeführt sind, ist die Entbürokratisierung. Endlich weg von der überflüssigen Dokumentation und den DRG-Kontrollen durch den Medizinischen Dienst. Das wäre was. Aber Skepsis ist trotz allem angebracht. Wann haben wir zuletzt eine Entbürokratisierung in Deutschland erfahren? Eher das Gegenteil war der Fall ... wie war das noch mal mit Dänemark?
Herzliche Grüße
Tienush Rassaf und Meinrad Gawaz