Neue Leitlinie zum Risikoassement vor OP

Klar, pragmatisch, patientenorientiert

Neue ESC-Leitlinie-- Die neue Leitlinie zur perioperativen Einschätzung des kardiovaskulären Risikos bei nicht-kardialen OPs gibt wichtige Handlungsanweisungen – pragmatisch und patientenorientiert.

Ein Kommentar von Prof. Dr. med. Rüdiger C. Braun-Dullaeus Veröffentlicht:
Das Ausmaß des kardiovaskulären Assessments vor nicht-kardialen Operationen hängt u.a. von dem Risikoprofil des Patienten und der Operation ab.

Das Ausmaß des kardiovaskulären Assessments vor nicht-kardialen Operationen hängt u. a. von dem Risikoprofil des Patienten und der Operation ab.

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Auf dem ESC in Barcelona wurde die neue Europäische Leitlinie zur perioperativen Einschätzung des kardiovaskulären Risikos und zum Umgang mit Patientinnen und Patienten bei nicht-kardialen Operationen vorgestellt. Der gesamten Autorenschaft gilt meine höchste Wertschätzung für dieses gelungene Werk, welches sich erneut also hoch patientenorientiert und pragmatisch für den klinischen Alltag darstellt.

Prof. Rüdiger Braun-Dullaeus, Universitätsklinikum Magdeburg

Prof. Rüdiger Braun-Dullaeus, Universitätsklinikum Magdeburg

© Braun-Dullaeus

Was ist wann angebracht?

Weniger wurde der Fokus auf Risikoscores gelegt, als vielmehr die Vorgeschichte der Patientinnen und Patienten, die klinische Untersuchung und ein Basislabor zur Beurteilung der Operabilität in den Vordergrund gerückt und mit der Schwere des Eingriffs verbunden, um eine Handlungsempfehlung abzuleiten. Niedrigrisikoeingriffe (kleine gynäkologische oder urologische Operationen, Zahneingriffe, video-assistierte thorakale Eingriffe = VATs, u. a.) bedürfen selbst bei kardiovaskulärer Vorerkrankung keiner weiterreichenden Diagnostik, sondern nur einer erhöhten Aufmerksamkeit. Menschen ≥ 65 Jahre, solche mit ausgeprägtem kardiovaskulären Risiko und jene mit bekanntem chronischen Koronarsyndrom (CCS), die sich einem Eingriff mittleren (endovaskuläre Eingriffe, kleine thorakale Eingriffe, Kopf-Hals-Chirurgie u. a.) oder gar hohen Risikos (große Bauchchirurgie, Aortenchirurgie, Amputation u. a.) unterziehen müssen, sollten hingegen ein EKG, eine Troponin I/T- und eine BNP/NT-Pro-BNP-Messung erhalten. Zudem sollte ihre funktionelle Kapazität bestimmt werden („können Sie zwei Etagen Treppen laufen?“). Pathologische Ergebnisse bzw. eine selbstberichtete niedrige funktionelle Kapazität sollten zu weiterer Diagnostik und folgend zu einer multidisziplinären Entscheidung bezüglich des weiteren Vorgehens (Frage: kardiovaskuläre Therapie vor operativem Eingriff, Dringlichkeit der nicht-kardialen Operation, Art der Anästhesie u. a.) Anlass geben.

Symptome / Auskultationsbefunde

Dieser pragmatische Zugang wird durch eine auf der handliegenden, aber sehr wichtigen Empfehlung ergänzt, nämlich auf neue Symptome (Angina, Atemnot, Ödeme) und kardiale Auskultationsbefunde zu achten und mit entsprechender Diagnostik (Echo) und ggf. Therapie zu reagieren. Auf diese Weise bleibt die Leitlinie nahe an den Patienten und deren Wohl, welches mit wenigen anamnestischen Angaben und diagnostischen Mitteln eruiert werden kann und in eine Handlungsanweisung einfließt. Patientinnen und Patienten müssen aufgeklärt und aktiv in die präoperative und postoperative Phase involviert werden.

Empfehlungen bei Komorbiditäten

Neben Empfehlungen zum Nikotinverzicht vier Wochen vor der OP, zur konsequenten Einstellung der Risikofaktoren und der Beachtung einer Anämie, gibt die Leitlinie klare Empfehlungen zur laufenden Medikation und Vorgehen bei bestimmten Komorbiditäten (CCS, Vitien, Herzinsuffizienz, Arrhythmien, PAVK, arterielle Hypertonie, Diabetes u. a. bis hin zu Patienten mit linksventrikulärem Assist-Device/LVAD), um das perioperative Risiko zu minimieren. Ein eigenes Kapitel widmet sich der Plättchenhemmung und oralen Antikoagulation. Wichtig: Ein Bridging wird nur noch in Ausnahmesituationen (z. B. mechanische Klappen und hohes chirurgisches Risiko) und dann mit niedermolekularen Heparinen empfohlen.

Für perioperative Myokardinfarkte sensibilisieren

„Last but not least“ setzt sich die neue Leitlinie auch mit dem Biomarker-Monitoring zur Erfassung und ggf. Therapie eines perioperativen Myokardinfarktes (PMI) auseinander, um die kardiale Morbidität und Mortalität und kardiovaskuläre Komplikationen während und nach dem Eingriff zu minimieren. Trotz bereits vorhandener Empfehlungen werden Kardiologinnen und Kardiologen in dieser Situation häufig zu spät involviert. Für den PMI muss dringend weiter sensibilisiert werden.

Handlungsanweisungen sollten in die operativen Fächer getragen werden.

Glückwunsch erneut zu dieser klaren, pragmatischen und patientenorientierten Leitlinie, die auch von der European Society of Anaesthesiology and Intensive Care (ESAIC) unterstützt wird. Wichtig ist, diese auch in zentralen Journalen der Chirurgie und Anästhesie zu veröffentlichen, damit diese wichtigen Handlungsanweisungen in die operativen Fächer getragen werden, um in Zukunft die Kardiologie im richtigen Moment zu involvieren und das perioperative Risiko für die Patienten (und auch nicht-indizierte Untersuchungen) weiter zu minimieren.

Kontakt-- Prof. Rüdiger Braun-Dullaeus, Zentrum Innere Medizin, Klinik für Kardiologie und Angiologie, Universitätsklinikum Magdeburg,

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