Lohnt strikte Blutdruckkontrolle noch?
Hypertonie im Alter-- Bis zu welchem Grad kann man bei alten Hypertonikern höhere Blutdruckwerte tolerieren? Die Leitlinien gewähren hier eine gewisse Flexibilität. Die Studienlage zum Nutzen der Blutdruckkontrolle im Alter ist jedoch eindeutig – mit einer Ausnahme.
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Bei Hochbetagten mit Polypharmazie müssen Pharmakokinetik und Nierenfunktion beachtet werden.
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Hypertonie ist der prävalenteste Risikofaktor im Alter und wird bei Betagten auch immer gefährlicher, erklärte Prof. Michael Böhm vom Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg: Physiologische funktionelle Gefäßveränderungen, Verlust der Windkesselfunktion, isolierter Anstieg von systolischem Blutdruck und Pulswellenamplitude erhöhen die mechanische Last für als alternde Herz. Zudem steigt das Schlaganfallrisiko deutlich an. Welche Evidenz gibt es für den Nutzen der Blutdrucksenkung bei Betagten?
Vier Hypertonie-Studien bei Betagten
Böhm zitierte die HYVET-Studie [1], die bei über 83-Jährigen den Effekt einer Blutdrucksenkung von im Median 173 mmHg um 30/13 mmHg (vs. 14,5/7 mmHg unter Placebo) untersuchte. Dadurch wurden im Verlauf von 1,8 Jahren die Risiken für Schlaganfälle um 30 %, für Tod um 22 % und für Herzinsuffizienz um 64 % reduziert – ein deutlich positiver Effekt. Die SPRINT-Studie [2] untersuchte, ob bei im Schnitt 80-Jährigen eine Blutdrucksenkung mit systolischem Blutdruckziel 120 mmHg zu besseren Ergebnissen führt als ein moderateres Vorgehen mit systolischem Blutdruckziel 140 mmHg. Nach median 3,1 Jahren zeigte sich nach intensiver Behandlung ein Vorteil mit 34%iger Risikoreduktion für kardiovaskuläre Komplikationen und 33%iger Risikosenkung für Tod. Dies war unabhängig davon, ob die Patienten als fit oder unfit eingestuft wurden, so Böhm.

Auch für Ältere gilt-- Blutdrucksenkung hat einen positiven Effekt.
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Nutzen der Blutdruckkontrolle auch im Alter gegeben
Böhm fasste zusammen: Im Wesentlichen sieht man kaum Unterschiede zwischen Alt und Jung in der Hypertonie-Therapie. Bei Hochbetagten mit Gebrechlichkeit muss man abwägen, wobei kognitive Defizite einen limitierenden Faktor darstellen. Überschätzt werde das Risiko von Hypotension und Sturzgefahr, so Böhm. Vor allem bei Polypharmazie müssen aber Pharmakokinetik, Nierenfunktion und Interaktionen im Auge behalten werden.
Was sagen die Leitlinien?
Die aktuellen Leitlinien der Europäischen Hypertoniegesellschaft ESH empfehlen bei 65- bis 79-Jährigen eine Behandlung, wenn der in der Praxis gemessene Blutdruck höher als 140/90 mmHg liegt. Der Zielblutdruck wird mit unter 140/80 mmHg angegeben. Wird die Behandlung gut vertragen, kann ein Zielblutdruck von 130/80 mmHg erwogen werden.
Bei über 80-Jährigen wird eine Behandlung empfohlen, wenn der systolische Wert über 160 mmHg liegt. Sie kann auch bei systolischen Werten von 140 bis 160 mmHg erwogen werden. Zielblutdruck sind Werte von 140–150/< 80 mmHg. Bei guter Verträglichkeit ist auch ein systolischer Korridor von 130–139 mmHg in Ordnung, sofern der diastolische Druck nicht unter 70 mmHg liegt.
Fazit
Der Nutzen einer Blutdruckkontrolle ist bei 80-Jährigen nicht geringer als bei Jüngeren.
Die diesbezügliche Studienlage ist gut.
Die Leitlinien empfehlen bei 65- bis 70-Jährigen einen Zielblutdruck unter 140/80 mmHg und bei über 80-Jährigen ein Ziel von 140–150/< 80 mmHg.
Bei Gebrechlichen ist strikte Blutdruckkontrolle kontraproduktiv.
Quelle-- DGK-Herztage, 5. bis 7. Oktober 2023 in Bonn; Symposium „Hypertoniemanagement in Sondersituationen – Up to date“, Vortrag „Hypertonie bei Älteren“
Literatur--
1. Beckett NS et al. N Engl J Med. 2008;358:1887-98
2. Williamson JD et al. JAMA. 2016;315(24):2673-82
3. Deng Y et al. Eur J Prev Cardiol. 2023;30(10):1017-27
4. Benetos A et al. JAMA Intern Med. 2015;175(6):989-95