Interview mit Prof. Massberg
„Man muss sich einfach auch trauen“
ERC-Grant-- Im Jahr 2019 hat Prof. Steffen Massberg die renommierte Auszeichnung des Europäischen Forschungsrats (ERC) für seine Forschung bekommen. Die Förderung beläuft sich auf 2,5 Millionen Euro. Wie er das geschafft hat und wie sich der ERC-Grant auf seine Arbeit ausgewirkt hat, berichtet er im Interview.
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Neue Substanzen, die die Plättchenaggregation hemmen, könnten aus der Forschung von Prof. Massberg hervorgehen. (Symbolbild mit Fotomodell)
© Dmitrii Kotin/Alamy/Alamy Stock Photos/mauritius images
Herr Prof. Massberg, Sie haben 2019 einen Grant des ERC für Ihre Forschung erhalten. Welches Projekt wurde konkret ausgezeichnet?
Massberg: Letztlich wird mit dem ERC-Grant meine Arbeit auf dem Gebiet der Blutplättchen und Thrombose gefördert. Konkret untersuchen wir in diesem Projekt, wie entzündliche Prozesse die Thromboseentwicklung beeinflussen: Welche Rolle spielt dabei die Körperhomöostase? Welche Funktion haben Entzündungszellen für die arterielle Thrombose, für die Entstehung eines Herzinfarktes und Schlaganfalls?

Prof. Steffen Massberg ist Inhaber des Lehrstuhls für Innere Medizin/Kardiologie sowie Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik I am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München.
© Massberg
Wir möchten herausfinden, wie sich die durch Entzündungszellen ausgelösten thrombotischen Prozesse blockieren lassen. Dadurch hoffen wir, Substanzen entwickeln zu können, die die Thromboseentwicklung stoppen, ohne Blutungskomplikationen auszulösen. Die verfügbaren antithrombotischen Medikamente – z. B. ASS, Clopidogrel, Heparin – gehen ja mit erhöhten Blutungsraten einher. Die entzündungsgetriebene Thrombose spielt aber in der gewöhnlichen Blutstillung, die der Mensch benötigt, wenn er sich verletzt, eine untergeordnete Rolle. Deshalb sehe ich eine Chance, dieses Ziel durch Blockade der entzündlichen Prozesse erreichen zu können. Wenn uns das gelingt, ließe sich die Gratwanderung, die Kardiologen und Kardiologinnen bei der Verordnung einer antithrombotischen Behandlung derzeit eingehen, verringern.
Meine Arbeitsgruppe arbeitet an diesem Thema sowohl grundlagenwissenschaftlich als auch klinisch. Wir haben auf dem Gebiet der Plättchenhemmung mehrere klinische Studien erfolgreich durchgeführt, und führen auch im Augenblick klinische Studien durch. Wir können damit den Weg der Translation von Grundlagenexperimenten bis in die Klinik komplett abdecken. Vor zwei Jahren beim ESC-Kongress haben wir z. B. eine vom Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) geförderte Phase-II-Studie mit einem neuen Plättchenhemmer vorgestellt. Dabei handelt es sich um einen Antagonisten gegen die Plättchenadhäsion und -aggregation.
Der ERC-Grant ist eine renommierte Auszeichnung. Diese zu bekommen, ist nicht einfach. Salopp gefragt: Wie haben Sie das geschafft?
Hilfreich war sicher, dass ich mich bei meiner wissenschaftlichen Arbeit immer relativ stark fokussiert habe. Sprich, ich habe nicht allzu viele Schwerpunktthemen gehabt. Mein Hauptschwerpunkt lag immer im Bereich der Plättchen und Entzündungsbiologie, und der Schnittfläche zwischen beiden Prozessen. Daran arbeite ich seit 15 bis 20 Jahren. Diese Fokussierung gab mir die Chance, in die Tiefe zu gehen. Zudem standen mir Methoden zur Verfügung, mit denen detaillierte Analysen möglich waren. Die Projekte waren teils sehr langwierig, andererseits haben sie aber für Publikationen gesorgt, die womöglich mehr Sichtbarkeit erzeugt haben. Dann hatte ich – das ist wahrscheinlich der wichtigste Aspekt – immer viel Glück mit meinem Team. Ich habe eine gute Gruppe mit sehr klugen Köpfen, die unheimlich engagiert sind. Ohne diese jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hätte ich den ERC-Grant nicht bekommen. Die Auszeichnung geht zwar nur an eine Person, dahinter steht aber ein ganzes Team.
Und am Ende muss man sich auch trauen, einen Antrag zu stellen. Wichtig: Während der Antragsphase sollte man sich Freiräume schaffen. Das ist nicht so leicht, wenn man in der Klinik arbeitet. Um ehrlich zu sein, ist mir das wegen eines Knochenbruches gelungen. Ich musste sechs Wochen im Bett liegen, und diese Zeit habe ich genutzt, um den Antrag für den ERC-Grant zu schreiben.
Wie hat sich die Auszeichnung auf Ihr Projekt ausgewirkt?
Der Grant hat es mir erlaubt, die Arbeitsgruppe zu vergrößern und neue Bereiche aufzubauen. Wir haben z. B. einen Schwerpunkt im Bereich der Single-Cell-Analyse etabliert, methodisch und personell. Wir konnten uns neue Techniken anschaffen, z. B. Bildgebungsmodalitäten. Der ERC-Grant verleiht natürlich auch internationale Sichtbarkeit. Dadurch ist es uns gelungen, herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Ausland zu rekrutieren, die neue Expertisen mitgebracht haben, z. B. im Bereich der RNA-basierten Therapie und dem Genediting.
Natürlich wirkt sich der ERC-Grant auch auf unseren Output aus: Wenn man sich die Zahl der von uns veröffentlichten Publikationen anschaut und vor allem deren Qualität, dann ist hier in den letzten Jahren eine Verbesserung zu erkennen – und die ist sicher zum großen Teil auf den ERC-Grant zurückzuführen.
Lassen Sie uns generell über Qualität sprechen: Wie steht Deutschland Ihrer Einschätzung nach als Forschungsstandort in der Welt dar?
Hier sollte man zwischen präklinischer und klinischer Forschung differenzieren. Im präklinischen Bereich sind wir, glaube ich, in Deutschland extrem gut aufgestellt. Wir besitzen sehr gute universitäre und außeruniversitäre Einrichtungen. Die technische Ausstattung in den Arbeitsgruppen ist sehr gut. Methodisch sind wir sehr weit: Viele Methoden, die weltweit angewendet werden, wurden in Deutschland entwickelt. Deutschland ist im Life Science-Bereich einer der führenden Standorte in der Welt. Möglich ist das nur durch eine gute Förderstruktur – und die ist meiner Ansicht nach im Bereich der Grundlagenforschung herausragend. Für alle Karrierestufen gibt es Förderstrukturen, über die Deutsche Forschungsgemeinschaft, das BMBF, Stiftungen, aber auch über das DZHK. Die Struktur des Sonderforschungsbereiches ist extrem sinnvoll, weil sie hilft, zwischen Standorten bzw. oder an Standorten zu vernetzen.
Verbesserungspotenzial gibt es sicher in der klinischen Forschung. Da gibt es mehrere Aspekte, über die man diskutieren muss. Die gemeinsame Durchführung multizentrischer Studien ist nicht so etabliert wie in anderen Ländern. Teils liegt das an unserer Struktur des Gesundheitssystems. So werden Patientendaten z. B. in den Niederlanden oder in skandinavischen Ländern zentral erfasst, in Deutschland erfolgt dies dezentralisiert. Heute sind wir – viel mehr als früher – aber davon abhängig, in klinischen Studien große Patientenzahlen zu rekrutieren, um Aussagen treffen zu können, die Handlungsempfehlungen beeinflussen. In Deutschland fehlte es vor einigen Jahren an Netzwerken, um leitlinienrelevante Studien zu ermöglichen. Weil es mittlerweile entsprechende Förderstrukturen gibt, hat sich das deutlich verbessert. Das DZHK etwa hat ein Netzwerk klinischer Studienzentren aufgebaut, das sich gemeinsam an der Patientenrekrutierung beteiligt. Solche Bestrebungen haben Früchte getragen: Leitlinienrelevante Studien im kardiovaskulären Bereich werden immer öfter in Deutschland durchgeführt. Das heißt natürlich nicht, dass es die früher nicht schon gab.Ein weiteres Problem sind die regulatorischen Auflagen für die Durchführung industriegesponserter Studien. Die Bearbeitung von Verträgen usw. ist dadurch zum Teil sehr langwierig und aufwändig, weshalb wir hier im Vergleich zu anderen Ländern weniger konkurrenzfähig sind. Dadurch laufen wir Gefahr, künftig in diesem Bereich vielleicht nicht mehr ganz die Rolle zu spielen. Das sollte auch die Politik im Auge behalten. Denn wir sollten, wie andere Länder, in der Lage sein, uns an solchen Studien zu beteiligen, weil auch in diesen wichtige Fragen beantwortet werden. Wegen des großen Budgets, das für die Durchführung klinischer Studien benötigt wird, geht es oftmals nicht ohne Industrieförderung. Das DZHK hat zusammen mit internationalen öffentlichen Förderern, z. B. der British Heart Foundation oder der Dutch Heart Foundation, neue Strukturen geschaffen, um klinische Studien planen und finanzieren zu können. Solche internationalen Kooperationen stellen, glaube ich, ein wichtiges Instrument dar, um internationale multizentrische Studien industrieunabhängig durchführen zu können.
Eine persönliche Frage: Wenn Sie zurückblicken auf Ihre wissenschaftliche Arbeit, würden Sie es genauso wieder machen?
Ich würde es wieder so machen. Ich finde es extrem spannend, durch die medizinische Tätigkeit als Arzt Fragestellungen zu entwickeln, die in der eigenen Arbeitsgruppe präklinisch und klinisch erforscht werden können. Diese Kombination macht den Beruf aus meiner Sicht sehr abwechslungsreich.
Was sollte sich in der Nachwuchsförderung verbessern, um Medizinerinnen und Mediziner zu überzeugen, diesen Weg einzuschlagen?
Wir müssen darauf achten, dass wir Menschen, die dieses Interesse haben, maximal fördern. Aktuell besteht die Tendenz, die klinische Medizin immer effizienter zu machen. Wir haben einen starken Fokus auf der Patientenversorgung, und selbstverständlich ist das unsere Hauptaufgabe. Doch brauchen wir unbedingt die Clinician Scientists, um ein konkurrenzfähiger Forschungsstandort zu bleiben. Medizinerinnen und Mediziner, die diesen Weg einschlagen möchten, sollten deshalb während ihrer klinischen Ausbildung – die natürlich Priorität Nummer 1 ist – genügend Freiraum und Flexibilität haben, wissenschaftlich aktiv zu sein. Wenn sich die Medizin dahin entwickelt, dass alles kosteneffizient sein muss, laufen wir Gefahr, diesen Bereich zu verlieren. Daher ist es wichtig, Förderstrukturen für Clinician Scientists zu entwickeln. Viele Universitäten haben dafür eigene Förderungen eingerichtet, die DFG macht Ausschreibungen für klinische Scientistprogramme, das DZHK, die deutsche Herzstiftung und die DGK bieten Stipendien an. Wichtig ist, dass diese Programme flexibel und für alle Karrierestufen eines Clinician Scientists geeignet sind, gleichzeitig sollten sie die medizinische Ausbildung nicht über die Gebühr verzögern und dadurch attraktiv bleiben.
Vielen Dank für das Gespräch!