Blick in den Alltag der Katheterablation von Vorhofflimmern – das VARY-Projekt

Versorgungsforschung-- Vorhofflimmern als klinische Entität hat in den letzten 20 Jahren einen bedeutenden Platz in der Medizin eingenommen. Jeder vierte Mensch wird nach seinem 40. Lebensjahr an Vorhofflimmern erkranken. Die Versorgungsrealität dieser Patientengruppe wird nun im VARY-Projekt untersucht.

Von Prof. Dr. J. Brachmann und Prof. Dr. T. Lewalter Veröffentlicht:
Kathterablationen bei Patienten mit Herzrhythmusstörungen haben die Wiederherstellung eines stabilen Sinusrhythmus zum Ziel.

Kathterablationen bei Patienten mit Herzrhythmusstörungen haben die Wiederherstellung eines stabilen Sinusrhythmus zum Ziel.

© Damian / stock.adobe.com

Die Datenlage zur symptomatischen und prognostischen Relevanz von Vorhofflimmern, insbesondere bei Schlaganfall und bei Herzinsuffizienz, konnten mithilfe moderner diagnostischer Methoden – wie externe oder implantierbare EKG-Monitore – außerordentlich verbessert werden.

Die therapeutischen Optionen zur Schlaganfallprophylaxe von Patientinnen und Patienten haben durch die Entwicklung selektiver Antikoagulanzien, aber auch dank interventioneller Verfahren, wie dem Vorhofohrokkluder, zur Minderung des Schlaganfallrisikos bei gleichzeitiger Reduktion der Nebenwirkungen beigetragen. Vor allem aber hat die Ergänzung der häufig wenig wirksamen und nebenwirkungsreichen Antiarrhythmika durch interventionelle Verfahren seit dem Ende des 20. Jahrhunderts entscheidend zu bis dahin unvorstellbaren therapeutischen Möglichkeiten der kausalen Behandlung von Vorhofflimmern beigetragen.

Durchbruch der interventionellen Pulmonalvenenisolation

Seitdem die Bedeutung arrhythmogener Foci in den Pulmonalvenen entdeckt wurde und die Beschreibung der Pulmonalvenenisolation zur kurativen endovaskulären Therapie des Vorhofflimmerns durch Michel Hassaiguerre und Kollegen (Universitätsklinik Bordeaux) im Jahre 1998 erfolgte, haben zahlreiche Studien den therapeutischen Einsatz der Katheterablation bei dieser Indikation gesichert.

Eine Vielzahl von Elektrophysiologinnen und Elektrophysiologen wurde in dieser Methodik, die eine stürmische Weiterentwicklung erfuhr, umfassend ausgebildet. Die Katheterablation hat sich in den Folgejahren zunehmend als wirkungsvolle und zuverlässige Therapie bei behandlungsbedürftigem Vorhofflimmern etabliert, um insbesondere die Symptomatik von betroffenen Patientinnen und Patienten langfristig zu verbessern.

Prof. Dr. Johannes Brachmann, Regiomed Klinikum Coburg

Prof. Dr. Johannes Brachmann, Regiomed Klinikum Coburg

© Brachmann

Prof. Dr. Thorsten Lewalter, Osypka Herzzentrum in München

Prof. Dr. Thorsten Lewalter, Osypka Herzzentrum in München

© Lewalter

Die Erfolge bei paroxysmalem Vorhofflimmern haben diese Therapieform in die erste Kategorie der Behandlungsoptionen befördert. In späteren Studien wurde darüber hinaus gezeigt, dass bei speziellen Patientengruppen mit Vorhofflimmern und schwerer Herzinsuffizienz auch die Prognose verbessert werden konnte. Bei der Fortentwicklung der europäischen und amerikanischen Leitlinien hat diese Entwicklung zu starken Empfehlungen für den Einsatz der Katheterablation bei Vorhofflimmern geführt und eine kontinuierliche Zunahme der Prozeduren bewirkt.

Akute und langfristige Wirksamkeit in Studien und Registern gezeigt

In Deutschland und weltweit wird diese Prozedur von erfahrenen Elektrophysiologinnen und Elektrophysiologen in einer großen Anzahl von Zentren angeboten und mit hoher Expertise sicher eingesetzt. In zahlreichen kontrollierten Studien und Registern konnte die akute und langfristige Wirksamkeit der Katheterablation zur Unterdrückung verschiedener Formen des Vorhofflimmerns gesichert werden, darüber hinaus war die interventionelle Therapie wiederholt in klinischen Überprüfungen der antiarrhythmischen medikamentösen Therapie überlegen.

Der Herzbericht hat die bundesweiten Fallzahlen für Ablationen erfasst, bis 2019 zeigt sich ein kontinuierlicher Anstieg, der womöglich auch dem wachsenden Trend zur Behandlung komplexer Herzrhythmusstörungen geschuldet ist.

Der Herzbericht hat die bundesweiten Fallzahlen für Ablationen erfasst, bis 2019 zeigt sich ein kontinuierlicher Anstieg, der womöglich auch dem wachsenden Trend zur Behandlung komplexer Herzrhythmusstörungen geschuldet ist.

© Herzbericht 2021, S. 73, Kapitel 4, Abbildung 4/5

Im Gegensatz zur hervorragenden Studienlage sind die verfügbaren wissenschaftlichen Daten zur Versorgungsrealität der Katheterablation von Vorhofflimmern deutlich geringer. Speziell für Deutschland stehen hier nur wenige Daten darüber zur Verfügung, wie dieses Verfahren im klinischen Alltag in unseren Krankenhäusern eingesetzt wird und wie die akuten Ergebnisse aller behandelten Patientinnen und Patienten ausfallen. Es besteht also ein erheblicher Bedarf an diesen Daten, für die Beurteilung von Wirksamkeit und Sicherheit des Verfahrens und seine Einordnung in die deutsche Versorgungsrealität.

Routinedaten aus Krankenhäusern

Alle Krankenhäuser in Deutschland sind verpflichtet, ihre Routinedaten von voll- und teilstationären Krankenhausleistungen Behandlungsfällen in pseudonymisierten sogenannten §21-Datensätzen an das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) zu übermitteln. Darin sind zahlreiche Angaben unter anderem zur Aufnahmeindikation zum stationären Aufenthalt und zu Details der Behandlung enthalten.

Bei speziellen Patientengruppen mit Vorhofflimmern und schwerer Herzinsuffizienz verbesserte sich nach Ablation auch die Prognose.

Die Analyse dieser und ähnlicher Datensätze wird z. B. vom Krankenhauscontrolling, Instituten und Unternehmensberatungen u. a. für den Vergleich von Kliniken genutzt. Dagegen werden die Datensätze bisher wissenschaftlich für Fragestellungen der Versorgungsforschung nur wenig genutzt.

Forschungsprojekt zur Auswertung vollständiger §21-Datensätze

Das von der Deutschen Herzstiftung geförderte VARY-Projekt wird erstmals diese Routinedaten aus großen elektrophysiologischen Zentren zur wissenschaftlichen Auswertung aller vollständigen Ablationsfälle von Vorhofflimmern nutzen. Die Datensätze enthalten bei stationären Fällen zahlreiche Angaben von allen Eingriffen, die unter der Kategorie Katheterablation von Vorhofflimmern durchgeführt wurden.

Diese sind somit im Vergleich zu klinischen Studien und Registern weitestgehend vollständig dokumentiert. Alle klinischen Studien sind dadurch limitiert, dass entweder durch Ein- und Ausschlusskriterien viele klinische Behandlungsfälle nicht erfasst werden. Registerstudien können auch nicht sicherstellen, dass tatsächlich alle Behandlungsfälle eingeschlossen werden.

Der große Vorteil der §21-Datensätze besteht darin, dass zahlreiche detaillierte Angaben während des stationären Aufenthalts vollständig erfasst werden. Dazu gehören beispielsweise demografische Patientendaten, Haupt- und Nebendiagnosen, Prozeduren, Aufenthaltsdauer und Entlassungsart, einschließlich Verlegungen und Todesfälle. Mit diesen Datensätzen besteht die hervorragende Gelegenheit, eine umfassende Bestandsaufnahme dieser wichtigen – und zunehmend häufiger angewandten – kausalen kathetergestützten Therapie des Vorhofflimmerns für die Versorgungsforschung in Deutschland zu erheben, auszuwerten und zu publizieren.

Über zehn teilnehmende Zentren

In diesem unter der Leitung von Prof. Johannes Brachmann, Coburg, und Prof. Thorsten Lewalter, München, initiierten Forschungsprojekt werden gemeinsam mit den Mitgliedern der elektrophysiologischen Studiengruppe und dem Institut für Herzinfarktforschung Ludwigshafen in den nächsten zwei Jahren die wissenschaftlichen Ergebnisse erarbeitet.

Das Projekt wird durch das DGK-Zentrum für kardiologische Versorgungsforschung unterstützt. Das gesamte Forschungsteam ist der Deutschen Herzstiftung für die gewährte Förderung außerordentlich dankbar. Aktuell haben bereits mehr als 10 Zentren ihre Teilnahme zugesagt, die Datenerhebung wird noch im laufenden Jahr erfolgen.

Mit dem VARY-Projekt werden nicht zuletzt wichtige Ergebnisse zu den Behandlungsmöglichkeiten für Patientinnen und Patienten erarbeitet, sondern darüber hinaus wird ein deutscher Beitrag zur internationalen Versorgungsforschung in der Elektrophysiologie des Herzens geleistet.

Kontakt-- Prof. Dr. med. Johannes Brachmann, Regiomed Klinikum Coburg, johannes.brachmann@regiomed-kliniken.de; Prof. Dr. med. Thorsten Lewalter, Internistisches Klinikum München Süd, Peter-Osypka Herzzentrum, kardiologie@ikms.de

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