Interview zu Master Pocket-Leitlinien
Eine verlässliche Quelle aktuellen Wissens
Leitlinien-- Prof. Christiane Tiefenbacher, Vorsitzende der Kommission für Klinische Kardiovaskuläre Medizin, und Prof. Martin Bergmann, Mitglied der Kommission, sprechen im Interview über die neuen Master Pocket-Leitlinien. Was genau kann man sich darunter vorstellen? Und wie helfen sie bei der alltäglichen Arbeit?
Veröffentlicht:Vor Kurzem ist die erste Master Pocket-Leitlinie (MPLL) erschienen. Was genau kann man sich darunter vorstellen?
Tiefenbacher: Die Mitglieder der Kommission für Klinische Kardiovaskuläre Medizin der DGK haben sich neben der Beauftragung und kritischen Durchsicht aktueller Leitlinien, Stellungnahmen und Kommentaren mit der Frage beschäftigt, wie die bestehenden Leitlinienempfehlungen noch besser in die Praxis umgesetzt werden können. Dabei erschien uns eine Ergänzung der themenspezifischen Übersetzungen der ESC-Leitlinien um eine Art Zusammenfassung notwendig, die dem ambulant tätigen Arzt zügig und kompakt die häufigsten Fragestellungen beantwortet.
Welchen Mehrwert hat dieses neue Format und für wen sind die MPLL besonders hilfreich?
Bergmann: Die erste MPLL ist vor allem für Allgemeinmediziner und hausärztlich tätige Kolleg*innen gedacht: Wissen kompakt! Die MPLL können und sollen nicht die themenspezifischen Leitlinien ersetzen. Aber als internistisch tätiger Haus- oder Facharzt genügt häufig ein Blick auf die wichtigsten, meist grafisch verfügbaren Algorithmen, um meinen Patientinnen und Patienten die optimale Therapie nach den aktuellen Leitlinien zukommen zu lassen. Gleichzeitig kann ich nicht immer alles im Kopf haben oder jeweils nachschlagen – wir hoffen mit der Master Pocket-Leitlinie die aktuelle und übersichtlichste Quelle in der ambulanten Praxis der Herzkreislaufmedizin geschaffen zu haben.
Warum wurde die ambulante Versorgung als Thema für die erste MPLL ausgewählt?
Bergmann: Die Kardiologie steht gerade im ambulanten Bereich im engsten Austausch mit Ärztinnen und Ärzten anderer Fachdisziplinen, vor allem aber aus dem hausärztlichen Bereich. Wir hoffen, mit der MPLL interessierten Kolleginnen und Kollegen transparent offenzulegen, nach welchen Grundlagen wir beispielsweise bei den Volkskrankheiten Bluthochdruck und Hyperlipoproteinämie handeln: bei wem empfehlen wir eine stringente medikamentöse Einstellung, wo reichen Empfehlungen für den Lebensstil?Tiefenbacher: Gleichzeitig sehen wir alle den steigenden Bedarf an kardiologischem Wissen bei leider häufig nur kurzen Ärzte-Patienten-Kontakten. Umso mehr wird eine verlässliche Quelle aktuellen Wissens benötigt, um leitliniengerecht sowohl häufige Fragen z. B. zur Diagnostik und Therapie der Herzinsuffizienz als auch seltenere Themen wie Fahreignung oder angeborene Herzfehler im Erwachsenenalter zu beantworten. Keiner kann immer alle themenspezifischen Pocket-Leitlinien dabeihaben – eine Zusammenfassung der wichtigsten Aspekte in einer MPLL kann man aber leicht und jederzeit mit sich führen.
Wie entsteht eine MPLL und wer wählt aus, welche Inhalte aus den einzelnen Leitlinien dort zusammengefasst werden?
Tiefenbacher: Auf der Basis eines ersten Entwurfs aus dem Kreis der Mitglieder der Kommission für Klinische Kardiovaskuläre Medizin wird zunächst festgelegt, welche Themen aus den spezifischen Pocket-Leitlinien für die Zielgruppe wichtig erscheinen. Für den ambulanten Bereich waren dies Themen wie Vorsorge kardiovaskulärer Erkrankungen (Pocket-Leitlinie aus 2021), Herzinsuffizienz (2021) und das chronische Koronarsyndrom (2019). Primär haben wir uns entschieden, die grafischen Algorithmen zusammenzustellen und Textempfehlungen nur in sehr begrenztem Umfang mit aufzunehmen, um Verweise und spezifische Themen abzudecken, die in keiner Grafik dargestellt sind. Jedes Thema wurde dann durch zwei Mitglieder der Kommission für Klinische Kardiovaskuläre Medizin noch einmal inhaltlich redigiert, bevor das Team der Geschäftsstelle der DGK ein erstes Layout und eine inhaltliche Überprüfung, insbesondere bezüglich verschiedener Verweise auf die Original Pocket-Leitlinie, erstellte. Mit diesem aufwendigen Prozess haben wir den Eindruck, eine in sich kongruente Auswahl der aktuellen Algorithmen erstellt zu haben. Wir sind aber gespannt auf die Rückmeldungen der Kolleginnen und Kollegen, sicher gibt es weiteres Verbesserungspotenzial – immerhin ist dies nach unserem Wissen auch auf europäischer Ebene der erste Ansatz dieser Art.
Sind weitere Master Pocket-Leitlinien in Arbeit? Wenn ja, welche Themen werden sie behandeln?
Bergmann: Wir sind im fortgeschrittenen Prozess der Fertigstellung der Master Pocket-Leitlinie „Empfehlungen für die Akutversorgung“, die wir (auch) im Rahmen der 89. Jahrestagung der DGK vom 12. bis 15. April 2023 in Mannheim präsentieren möchten.
Tiefenbacher: Komplementär zur ersten MPLL sprechen wir hier die Kolleginnen und Kollegen in der Klinik an, die ebenfalls eine übersichtliche Zusammenfassung aktueller Algorithmen der Kardiologie als Basis ihrer Diagnostik- und Therapiepfade suchen.
Wann können wir ungefähr mit einer Veröffentlichung rechnen?
Bergmann: Die Onlinefassung der MPLL zum Thema „Akutmedizin“ sollte noch vor Ende des Jahres verfügbar werden. Wir sind gespannt darauf, wie sich die MPLL verbreiten und in der Praxis bewähren und freuen uns auf konstruktive Verbesserungsvorschläge.
Vielen Dank für das Gespräch!
Hinweis-- Die Master Pocket-Leitlinien stehen nach Erscheinen unter leitlinien.dgk.org als Download und Printversion zur Verfügung.