Klonale Hämatopoese von unbestimmtem Potenzial

Forschungsprojekt-- Prof. Andreas Zeiher erhält 2022 einen der begehrten „Advanced Grants“ des Europäischen Forschungsrats (ERC). Mit der Förderung soll das Forschungsprojekt „CHIP und Aortenklappenstenose“ unterstützt werden. Im Interview berichtet er, was dies für das visionäre Projekt bedeutet.

Ein Interview von Kerstin Kacmaz Veröffentlicht:
Das Forschungsprojekt soll dazu beitragen, den kausalen Pathomechanismus der degenerativen Aortenklappenstenose aufzuklären.

Das Forschungsprojekt soll dazu beitragen, den kausalen Pathomechanismus der degenerativen Aortenklappenstenose aufzuklären.

© Turtle Rock Scientific / Science Source / Science Photo Library

Sie erhalten zum ersten Mal einen der prestigeträchtigen ERC Advanced Grants. Was bedeutet Ihnen das persönlich und wie wirkt sich das auf ihre Projektplanung aus?

Ich fühle mich durch den Grant sehr geehrt, er kommt zur richtigen Zeit. Ich habe im Oktober 2021 nach Erreichen der Altersgrenze die Klinikleitung abgegeben und bekleide seither eine sog. „Distinguished Professorship“ der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Daher habe ich erstmals wieder Zeit, mich unbeschwert von administrativen und organisatorischen Aufgaben der wissenschaftlichen Arbeit zu widmen. Die Förderung von über 2,3 Millionen Euro in den nächsten fünf Jahren ermöglicht erst die Durchführung des Projektes, weil damit zu großen Teilen die Stellen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie Sachmittel finanziert werden können. Für mich persönlich bedeutet es aber auch, dass ich mit einigen jungen Wissenschaftler*innen, mit denen wir das Projekt begonnen hatten, weiter zusammenarbeiten und ihren Werdegang begleiten darf.

Prof. Dr. med. Andreas Zeiher-- Universität Frankfurt/Main,

Prof. Dr. med. Andreas Zeiher-- Universität Frankfurt/Main,

© Zeiher

Thema ihrer Forschung ist die „Klonale Hämatopoese von unbestimmtem Potenzial“ (CHIP) und ihr Zusammenhang mit dem Verlauf der Aortenklappenstenose. Was ist der aktuelle Forschungsstand auf diesem Gebiet?

Unter „klonaler Hämatopoese“ versteht man im Blut zirkulierende Zellklone. Es handelt sich nicht um angeborene Veränderungen von Stammzellen, sondern um im Laufe des Lebens erworbene Genmutationen, die zur klonalen Expansion daraus hervorgehender mutierter Zellen im Blutkreislauf führen. Dieses altersabhängige Phänomen ist lange bekannt und wurde als Vorstufe zur Entwicklung von myelodysplastischen Syndromen bis hin zur Leukämie angesehen. Allerdings entwickeln nur 0,5 bis 1 % der Mutationsträger eine hämatologische Erkrankung. Dennoch ist die Sterblichkeit erhöht und dies brachte die klonale Hämatopoese vor wenigen Jahren auf den Radar der kardiovaskulären Forschung. Denn die erhöhte Sterblichkeit war durch kardiovaskuläre Todesursachen bedingt, nicht durch Krebserkrankungen.

In den letzten vier Jahren zeigten dann sowohl klinische als auch experimentelle Untersuchungen, dass die häufigsten für die klonale Hämatopoese kodierenden Mutationen in den epigenetischen Regulatorgenen DNMT3a und TET2 eine Aktivierung der inflammatorischen Kaskade in Monozyten und Makrophagen bewirken, die zur Pathogenese und Aggravation von Atherosklerose und Herzinsuffizienz beitragen. Hier schließt sich auch die degenerative Aortenklappenstenose an, von der wir seit Jahrzehnten wissen, dass sie oft im Rahmen einer Aktivierung des inflammatorischen Systems auftritt, ohne dass wir bisher den genauen Pathomechanismus kennen.

Ein Auswahlkriterium des ERC für die Vergabe der Advanced Grants ist, wie visionär die Fragestellung des Forschungsvorhabens ist. Welche Vision steckt hinter Ihrem Projekt?

Die Vision ist davon getrieben, dass die Pathophysiologie der degenerativen Aortenklappenstenose zwar deskriptiv, aber nicht kausal geklärt ist. So gibt es bis zum heutigen Tag nicht eine einzige medikamentöse Therapie, die die Progression der Aortenklappenstenose günstig beeinflusst, als einziges Therapieverfahren bleibt der Aortenklappenersatz im weit fortgeschrittenen Stadium.

„Vorstellbar ist bei klonaler Hämatopoese eine spezifische antiinflammatorische Therapie.“

Vision des Forschungsvorhabens ist es, diesen Pathomechanismus der degenerativen Aortenklappenstenose besser zu verstehen und darauf aufbauend entsprechende Therapien zu entwickeln, sowie eine verbesserte Risikostratifizierung zu ermöglichen, welche Menschen diese Erkrankung überhaupt betreffen kann.

Welchen Impact könnte Ihre Forschung auf die Therapie der Aortenklappenstenose haben?

Vorstellbar ist derzeit eine spezifische antiinflammatorische Therapie für Betroffene, die wegen der klonalen Hämatopoese mit bestimmten Genmutationen ein höheres Risiko für die Entwicklung und Progression der Aortenklappenstenose haben. Mittelfristig wird es sicher auch Ansätze geben, die Entwicklung einer klonalen Hämatopoese direkt zu beeinflussen und damit evtl. einen wesentlichen Risikofaktor auszuschalten.

CHIP wurde auch als Risikofaktor weiterer kardiologischer Erkrankungen identifiziert. Wie kann man diese Erkenntnisse im Klinik- und Praxisalltag nutzen?

Aktuell liegen nur Studiendaten vor, die zeigen, dass CHIP mit dem Risiko für und dem Verlauf von kardiovaskulären Erkrankungen assoziiert ist, aber auch anderen klassischen degenerativen Alterserkrankungen wie u. a. Osteoporose, Leberfibrose und COPD. Da viele Menschen bereits aus anderen Gründen genetische Analysen gemacht haben, werden wir verstärkt mit der Frage konfrontiert, was denn zu tun sei, wenn zufällig eine CHIP-Mutation erkannt wird. Darauf gibt es derzeit keine Antwort, außer auf das erhöhte Risiko hinzuweisen und Präventionsmaßnahmen zu maximieren.

Sollte ein molekulargenetischer Nachweis der entsprechenden Mutationen in Zukunft Teil eines typischen Check Up-Screenings sein?

Nein, hierfür ist die Zeit noch nicht reif. Wir sollten allerdings in ausgewählten Unikliniken dem Beispiel der USA folgen und entsprechende CHIP-Kliniken als Kollaboration von Hämatologie und Kardiologie einrichten. Das ist auch ein spannendes und patientenrelevantes Forschungsfeld, da Chemotherapien die Entstehung einer klonalen Hämatopoese nach sich ziehen können, was dann wieder das kardiovaskuläre Risiko erhöht.

Das Auswahlverfahren des ERC gilt als besonders streng. Welche Tipps würden Sie sowohl jungen als auch etablierten Kardiologen und Kardiologinnen für eine Bewerbung geben?

Natürlich ist das abhängig davon, um welchen ERC Grant man sich bewirbt. Allen gemeinsam sind jedoch vier Dinge: Es muss visionär sein! Antragsteller sollten mit Vorarbeiten dokumentieren, dass wissenschaftliche Erfolge auf höchstem Level erreicht wurden. Eine Einbettung in ein gutes wissenschaftliches Umfeld ist sehr hilfreich. Der Antrag muss in allen Aspekten sorgsam ausgearbeitet, die Ziele realistisch und die Präsentation vor dem Panel perfekt vorbereitet sein.

Vielen Dank für das Gespräch!

Schlagworte: