Lieferengpass Digitoxin – Empfehlungen
DGK-Stellungnahme-- Für das Digitalis-Glykosid Digitoxin gibt es nach neuestem Kenntnisstand fortdauernde Nachschubprobleme; die Firma Merck hat mitgeteilt, die Produktion ihres Präparats komplett einzustellen. Inwieweit Präparationen anderer Hersteller verfügbar sein werden, ist aktuell nicht sicher zu beurteilen.
Veröffentlicht:Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie hat bereits in einer Pressemitteilung vom 9. August 2022 kurz Stellung bezogen (https://dgk.org/news/lieferengpass-digitoxin/). Mit der aktuellen Stellungnahme soll Ärztinnen und Ärzten eine konkrete Handlungsanweisung zum Beenden bzw. Ersetzen der Digitoxin-Medikation gegeben werden.
Indikationen für Digitalis-Glykoside und Einsatz von Digitoxin
Digitalis-Glykoside haben zwei Anwendungsgebiete: die Frequenzkontrolle von Vorhofflimmern bzw. die fortgeschrittene Herzinsuffizienz mit reduzierter linksventrikulärer Funktion (HFrEF).
Vorhofflimmern: Betablocker oder auch bradykardisierende Kalziumantagonisten (allerdings nur bei erhaltener Pumpfunktion) wie Verapamil oder Diltiazem sind in dieser Indikation Medikamente erster Wahl. In der Regel kommen Herzglykoside nur dann zum Einsatz, wenn diese Medikamente nicht ausreichend wirken, nicht ausreichend hoch dosiert werden können, kontraindiziert sind oder nicht vertragen werden. Eine weitere Option zur Frequenzkontrolle stellt Amiodaron dar, auch wenn dieses primär zur Rhythmuskontrolle eingesetzt wird (Cave: unter Antikoagulation/Ausschluss Vorhofohrthrombus). Die Indikation zur Pulmonalvenenisolation sollte nach aktuellen ESC-Leitlinien geprüft werden.
HFrEF: Digitalis-Präparate können bei HFrEF und persistierender Symptomatik trotz Therapie mit Betablocker, ACE-Hemmer/ARNI, Mineralokortikoid-Rezeptorantagonist und SGLT2-Inhibitor zur Senkung der Herzinsuffizienz-bedingten Hospitalisierungen eingesetzt werden, wobei es nur Daten bei Patientinnen/Patienten im Sinusrhythmus gibt (McDonagh, Metra et al. 2021). Die Empfehlung ist zurückhaltend (Klasse IIb), da unklar ist, ob Herzglykoside zusätzlich zur heute etablierten Standardtherapie einen relevanten zusätzlichen Effekt haben. Dies wird aktuell in der DIGIT-HF Studie überprüft, die Digitoxin bei fortgeschrittener HFrEF untersucht (Bavendiek et al. 2019). Im Rahmen dieser Studie ist eine Behandlung mit Digitoxin (bzw. Placebo) weiterhin möglich. Die Studienmedikation ist nicht vom Lieferengpass betroffen.
Digoxin: Als Alternative zu Digitoxin steht Digoxin zur Verfügung, das jedoch primär renal eliminiert wird und bei Niereninsuffizienz akkumuliert. Der Vorteil von Digitoxin besteht gerade darin, bei Niereninsuffizienz vermehrt entero-hepatisch eliminiert zu werden. Vorsicht bezüglich einer Überdosierung ist zudem geboten bei alten Patienten, Frauen und/oder untergewichtigen bzw. schlecht ernährten Personen.Was tun, wenn ein Patient mitDigitoxin bereits behandelt wurde?
Zunächst sollte geprüft werden, ob eine Indikation (noch) vorliegt. Diese ist nur gegeben, wenn Digitoxin aufgrund
1. von tachykardem Vorhofflimmern trotz Betablockern bzw. bradykardisierenden Kalziumantagonisten oder
2. aufgrund von fortgeschrittener HFrEF (NYHA II–IV) begonnen worden war. Eine HFpEF ohne tachykardes Vorhofflimmern stellt keine Indikation für Digitalis dar; Digitoxin kann und sollte hier ersatzlos abgesetzt werden.
Als Alternative zu Digitoxin bei bestehender Indikation steht Digoxin zur Verfügung. Bei der Umstellung ist zu beachten, dass die Halbwertzeit von Digitoxin sehr lange ist (ca. 7 Tage), sodass zunächst eine Therapiepause von 2–3 Wochen erfolgen muss, ggf. mit anschließender Spiegelbestimmung. Wenn der Digitoxinspiegel unterhalb der therapeutischen Serumkonzentration von 8–18 ng/ml (10,5–23,6 nmol/l) liegt, kann mit Digoxin gestartet werden.Hat ein Patient/eine Patientin Digitoxin in einer Dosis von ≤ 0,07 mg/Tag erhalten, sollte mit Digoxin 0,1 mg/Tag gestartet werden. Hat ein Patient Digitoxin 0,1 mg/Tag erhalten, sollte mit Digoxin 0,2 mg/Tag gestartet werden. Nach 7–10 Tagen sollte der Digoxinspiegel gemessen werden (Zielspiegel: 0,5–0,9 ng/ml bzw. 0,65–1,15 nmol/l) und die Dosis Digoxin entweder beibehalten, auf 0,05 bzw. 0,1 mg/Tag reduziert oder auf 0,2 bzw. 0.25 mg/Tag erhöht werden. Liegt der Digoxinspiegel deutlich über dem Zielwert, muss die Gabe zunächst für zwei Tage bzw. bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz sogar bis zu fünf Tage pausiert werden. Nach jeder Dosisänderung sollte nach 7–10 Tagen erneut ein Digoxinspiegel gemessen werden. Besondere Vorsicht ist geboten bei Patienten, die eine GFR <60 ml/min aufweisen, da hier das Akkumulationsrisiko hoch ist, insbesondere wenn die Nierenfunktion durch Infektionen, Exsikkose oder andere akute Erkrankungen weiter abnimmt. In diesen Fällen sind häufigere Digoxinspiegel-Messungen zu empfehlen.
Bei Patienten mit Vorhofflimmern kann vor einer Umstellung auf Digoxin geprüft werden, ob die Herzfrequenz nach Absetzen von Digitoxin wirklich deutlich zunimmt und ggf. der Betablocker gesteigert werden sowie die Indikation zur Pulmonalvenenisolation geprüft werden. Eine weitere Option zur Frequenzkontrolle ist Amiodaron (unter Antikoagulation/Ausschluss Vorhofohrthrombus), auch wenn dieses primär zur Rhythmuskontrolle eingesetzt wird.
Was tun, wenn Herzglykoside indiziert scheinen?
Tachykardes Vorhofflimmern ohne HFrEF: Betablocker bzw. bradykardisierende Kalziumantagonisten sind Medikamente erster Wahl. Die Indikation zur Pulmonalvenenisolation sollte geprüft werden. Digoxin kann gegeben werden, insbesondere wenn keine Niereninsuffizienz oder andere Risikofaktoren für eine Überdosierung vorliegen (s. oben). Die Hinweise oben zur Dosierung bei dauerhafter Therapie sollten beachtet werden. Eine weitere Option stellt Amiodaron dar (unter Antikoagulation/Ausschluss Vorhofohrthrombus), auch wenn dieses primär zur Rhythmuskontrolle eingesetzt wird.
HFrEF mit tachykardem Vorhofflimmern: Betablocker sind Medikamente der ersten Wahl, bradykardisierende Kalziumantagonisten sind bei HFrEF kontraindiziert. Die Indikation zur Pulmonalvenenisolation sollte geprüft werden. Digoxin kann gegeben werden, insbesondere wenn keine Niereninsuffizienz oder andere Risikofaktoren für eine Überdosierung vorliegen (s. oben). Die Hinweise oben zur Dosierung bei dauerhafter Therapie sollten beachtet werden. Eine weitere Option stellt Amiodaron dar (unter Antikoagulation/Ausschluss Vorhofohrthrombus), auch wenn dieses primär zur Rhythmuskontrolle eingesetzt wird.
HFrEF ohne tachykardes Vorhofflimmern: In den meisten Fällen besteht aufgrund der unzureichenden Datenlage keine klare Indikation zum Therapiebeginn mit Herzglykosiden. Patienten sollten in Studienzentren der DIGIT-HF-Studie vorgestellt werden (https://www.digit-hf.de/). Neben der kombinierten Therapie mit Betablocker, ACE-Hemmer/ARNI, Mineralokortikoid-Rezeptorantagonist und SGLT2-Inhibitor kann bei fortgeschrittener HFrEF und Zustand nach Dekompensation der Hemmer der löslichen Guanylatzyklase Vericiguat (2,5 mg Startdosis, max. 10 mg/Tag) eingesetzt werden. Zudem sollte die Indikation zur kardialen Resynchronisationstherapie, zur Herztransplantation bzw. zum Assist-Device überprüft werden. Digoxin kann in Einzelfällen gegeben werden, besonders wenn keine Niereninsuffizienz oder andere Risikofaktoren für eine Überdosierung vorliegen (s. oben). Hinweise oben zur Dosierung sollten beachtet werden.
Kontakt-- Prof. Dr. med. Johann Bauersachs, Medizinische Hochschule Hannover,