Age-Data-Gap beim Infarkt

Betagte Patienten-- Betrachtet man Patienten über 75 Jahre, steigt die Zahl der Infarkte, während die Zahl der Interventionen sinkt. Komorbiditäten sprechen bei ihnen gegen invasive Therapien, allerdings zeigen Studien, dass auch sie von Interventionen profitieren. Das Dilemma: Die Datenlage ist dünn.

Von Prof. Harald Rittger Veröffentlicht:
Für Ältere gibt es noch Evidenzlücken bei der Infarkttherapie.alonaphoto/stock.adobe.com (Symbolbild mit Fotomodell)

Für Ältere gibt es noch Evidenzlücken bei der Infarkttherapie.alonaphoto/stock.adobe.com (Symbolbild mit Fotomodell)

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Die Atherosklerose ist die Ursache der KHK und beginnt bereits in frühen Lebensabschnitten. In Patienten über 65 Jahre ist sie nahezu omnipräsent. Dabei ist das Alter der wichtigste und – nicht beeinflussbare – Risikofaktor für die Entwicklung der Atherosklerose und anderer Herzerkrankungen. Somit führt der demografische Wandel hin zu einer älteren Bevölkerung zu dramatischen klinischen und ökonomischen, aber auch ethischen Herausforderungen. Mit der steigenden Zahl über 80-Jähriger, die aufgrund einer KHK interventionell behandelt werden müssen, steigt auch die Anzahl der durch Frailty, Komorbiditäten und Behinderungen zusätzlich belasteten Patienten. Frailty führt zu einem 2- bis 3-fachen Anstieg der KHK-Prävalenz mit einem 2-fach erhöhten Mortalitätsrisiko. Bei Vorhandensein einer KHK hat Frailty einen bedeutsamen prognostischen Einfluss auf das Outcome, unabhängig von der gewählten Behandlung. Zudem ist Frailty bei KHK-Patienten ein Mortalitätsprädiktor.

Alter, ACS und Therapie

Ältere Patienten stellen einen zunehmenden Anteil aller aufgrund eines akuten Koronarsyndroms (ACS) hospitalisierten Personen dar. Alter ist dabei ein bedeutsamer Prädiktor für Tod und erneuten Myokardinfarkt. Der Anteil der Patienten, die einer invasiven Therapie zugeführt werden, nimmt mit zunehmendem Alter ab. Mutmaßlich ist die Angst vor Komplikationen in Kombination mit der Unsicherheit über den Therapieerfolg für diese Zurückhaltung verantwortlich. Infolge dessen werden ältere Patienten bei Auftreten eines ACS häufiger konservativ behandelt als jüngere – und das, obwohl es zunehmende Evidenz gibt, dass ältere einen ebenso hohen Benefit von einer invasiven Behandlung davontragen, wie jüngere Patienten. In der „After Eighty-Study“, in der NSTEMI-Patienten > 80 Jahre zu einem invasiven oder konservativen Vorgehen randomisiert wurden, hatten die interventionell behandelten Patienten ein signifikant besseres Outcome. Trotz dieser zunehmenden Evidenz besteht nach wie vor eine erhebliche Evidenzlücke. Bislang liegt der Anteil der über 75-jährigen Patienten bei 9 % in klinischen Studien und maximal 50 % in Registern.

Zu wenig Ältere in Studien

Im Falle eines ST-Hebungsinfarktes (STEMI) wird, angesichts einer vollständig verschlossenen Koronararterie, die gleiche Behandlungs- und Interventionsstrategie wie für jüngere Patienten empfohlen: die sofortige Wiedereröffnung der verschlossenen Koronararterie. Auch hier liegt keine ausreichende spezifische Evidenz für Gruppe der Älteren vor. Mit zunehmendem Alter nimmt die Inzidenz des STEMI ab und relativ mehr ältere Personen werden mit einem Nicht-ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI) stationär aufgenommen. Hier stellt sich die Situation komplexer dar. Diese Patienten leiden häufig an multiplen Begleiterkrankungen und einer diffusen KHK, bei der die Culprit-Läsion angiografisch nicht identifiziert werden kann. Eine Entscheidung für ein invasives Vorgehen bei älteren Patienten wird durch eine höhere Komplikationsrate erschwert. Hinderlich für eine positive Entscheidung zur Intervention ist auch, dass ältere Patienten häufig eine atypische Beschwerdesymptomatik zeigen und auch das EKG in vielen Fällen nicht richtungsweisend ist.

Die Einführung des Troponins als Marker der kardialen Schädigung hat erheblich zur diagnostischen Sicherheit beim ACS bei älteren Patienten beitragen können. Auf der Basis der Evidenz randomisierter Studien, die vorwiegend bei jüngeren Patienten durchgeführt worden waren, empfehlen die aktuellen Leitlinien ein frühes invasives Vorgehen bei Hochrisikopatienten. In Anbetracht der mangelnden Evidenz und der Heterogenität des Patientengutes muss jedoch für jeden einzelnen betagten Patienten eine individuelle Entscheidung getroffen werden. Die Frage dabei ist, ob der Patient eher von einem frühen invasiven Vorgehen oder einem abwartenden Verhalten profitiert. Letzteres beinhaltet die Möglichkeit der kardialen Rekompensation, der Therapie einer bestehenden Niereninsuffizienz, einer Blutdruckeinstellung oder einer Rhythmuseinstellung. Wie in Anbetracht einer raschen erheblichen Zunahme älterer Patienten und schwindender ökonomischer Ressourcen mit dieser neuen Herausforderung umzugehen ist, wird eine große Aufgabe der Zukunft sein.

Fazit

Die derzeitigen Daten zeigen Vorteile für ein interventionelles Vorgehen im Vergleich zur alleinigen medikamentösen Therapie für ältere Patienten. Es bestehen jedoch Evidenzlücken, die gefüllt werden müssen.

Sehr alte Patienten leiden häufig unter einer hohen Komorbiditätslast mit COPD, Niereninsuffizienz und neurologischen Erkrankungen – für diese Patienten müssen individuelle Einzelfallentscheidungen getroffen werden.

Kontakt-- Prof. Dr. Harald Rittger, Klinik für Herz- und Lungenerkrankungen, Klinikum Fürth, med1@klinikum-fuerth.de

Literatur beim Verfasser

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