ESUS – antikoagulieren oder nicht?

ATTICUS-Studie-- Kryptogene Schlaganfälle, denen Embolien unbekannter Ursache zugrunde liegen, machen ca. 30 % aller ischämischen Schlaganfälle aus. Trotz der hohen Inzidenz und des hohen Rezidivrisikos konnten bisher kaum Verbesserungen in der Nachbehandlung etabliert werden, auch die Schlaganfallgenese bleibt meist ungeklärt.

Von Prof. Tobias Geisler und Prof. Sven Poli Veröffentlicht:
Bei Patienten mit ESUS ist das Risiko für Vorhofflimmern deutlich erhöht. samunella/stock.adobe.com

Bei Patienten mit ESUS ist das Risiko für Vorhofflimmern deutlich erhöht.

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Anhand vorausgegangener Beobachtungsstudien konnten zahlreiche mögliche Ursachen für Embolien identifiziert werden, die einem sog. „embolic stroke of undetermined source“, ESUS, zugrunde liegen; darunter einige Risikofaktoren für kardiale Thromboembolien, z. B. einen dilatierten linken Vorhof, eine verlangsamte Flussgeschwindigkeit oder spontanen Echokontrast im linken Vorhofohr, Hochfrequenzepisoden im EKG, ein persistierendes Foramen ovale oder ein CHA2DS2-VASc-Score ≥ 4 [1].

Die in den vergangenen Jahren abgeschlossenen Studien RE-SPECT ESUS und NAVIGATE ESUS konnten keine Überlegenheit einer oralen Antikoagulation mit Dabigatran bzw. Rivaroxaban gegenüber der aktuell leitliniengerechten Standardtherapie mit niedrigdosierter Acetylsalicylsäure (ASS) aufzeigen [2, 3]. In diesen Studien wurden Patienten nicht systematisch nach Vorhofflimmern mittels kontinuierlichem EKG-Monitoring gescreent.

Rhythmusmonitoring per Ereignisrekorder

Prof. Tobias Geisler Universitätsklinikum Tübingen Geisler

Prof. Tobias Geisler Universitätsklinikum Tübingen

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Prof. Sven Poli, Universitätsklinikum Tübingen Poli

Prof. Sven Poli, Universitätsklinikum Tübingen

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Im Gegensatz hierzu wurde in der ATTICUS-Studie systematisch der Zusammenhang mit dem Auftreten von Vorhofflimmern untersucht, ein durchgehendes Rhythmusmonitoring war obligat und erfolgte in 95 % der Studienteilnehmer mittels implantierbarem Ereignisrecorder (REVEAL LINQ). Die eingeschlossenen Patienten waren Hochrisikopatienten für kardiale Embolien, die mindestens einen der o. g. Risikofaktoren aufweisen mussten. Sie wurden in der besonders vulnerablen Frühphase nach ESUS entweder auf Apixaban (Dosierung entsprechend der Vorhofflimmerindikation) oder ASS (tägliche Dosierung 100 mg) randomisiert. Der primäre Endpunkt war das Vorkommen neuer ischämischer Läsionen im Gehirn, nachgewiesen durch ein Schädel-MRT (FLAIR/DWI), innerhalb eines Nachsorgezeitraums von 12 Monaten.

Insgesamt wurden 352 Patienten eingeschlossen und analysiert. Die Ergebnisse wurden aktuell im NEJM Evidence publiziert [4]. Neue ischämische Läsionen traten in der Intention-totreat-Analyse bei 13,6 % der Patienten im Apixaban- und 16,0 % im ASS-Arm auf (Odds Ratio 0,79; 95%-Konfidenzintervall 0,42–1,48; p = 0,57). Mittels Ereignisrecorder konnte Vorhofflimmern (von ≥ 2 min Dauer) bei 25,6 % der Teilnehmenden nachgewiesen werden. In den meisten Fällen frühzeitig, d. h. innerhalb der ersten 4 Monate nach Index-Schlaganfall. Entsprechend des Studienprotokolls wurden diese Patienten im ASS-Arm frühestmöglich nach Detektion des Vorhofflimmerns auf eine orale Antikoagulation umgestellt, was zu einer Abschwächung der Effektgröße hinsichtlich des primären Endpunktes führte.

Bei über 75-Jährigen lag die Vorhofflimmernrate sogar bei > 40 %. Für den Zusammenhang von Vorhofflimmern mit ESUS spricht auch der trendweise Benefit der Antikoagulation in der präspezifizierten Alters-Subgruppe der über 75-Jährigen. Diese Beobachtung deckt sich mit dem Vorteil der oralen Antikoagulation mittels Dabigatran in der entsprechenden Subgruppe der älteren Patienten der RE-SPECT-ESUS-Studie [5].

Verhinderung neuer ischämischer Läsionen: Apixaban nicht überlegen

In ATTICUS-Studie zeigten sich keine Hinweise für eine Erhöhung von schweren oder klinisch relevanten nicht schweren Blutungen einschließlich intrakranieller Blutungen gerade in der älteren Patientenpopulation.

Von den o. g. zur Patientenselektion in ATTICUS genutzten Risikofaktoren für Vorhofflimmern und kardiale Thromboembolien war das Vorhandensein kurzer atrialer Tachykardien/Salven im Langzeit-EKG vor Studieneinschluss der stärkste Prädiktor für den späteren Nachweis von Vorhofflimmern [6].

Die Häufigkeit wiederkehrender Infarkte entspricht ungefähr den Erwartungen aus den beiden zuvor beendeten großen ESUS-Studien. Sekundäre Effektivitätsanalysen von ischämischen Schlaganfällen, transitorischen ischämischen Attacken, systemischen sowie pulmonalen Embolien, Myokardinfarkten und Tod sowie dem Komposit aller genannten Endpunkte ergaben ebenfalls nur eine Tendenz in Richtung einer Überlegenheit von Apixaban.

Fazit

Die ATTICUS Studie liefert wichtige Informationen über den Zusammenhang von Risikofaktoren und dem Auftreten von Vorhofflimmern bei Patienten mit ESUS.

Insbesondere bei Älteren und bei Patienten mit atrialen Tachykardien im Langzeit-EKG zeigte sich eine deutlich erhöhte Vorhofflimmernrate von über 40 %, bei älteren Patienten mit atrialen Tachykardien sogar in über 70 %. Daraus kann die Hypothese generiert werden, dass diese Patienten von einer frühzeitigen Antikoagulation profitieren könnten.

Dies gilt es jetzt in einer größeren auf klinische Endpunkte gepowerten Studie zu überprüfen.

Kontakt-- Prof. Dr. Tobias Geisler, Klinikum der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, tobias.geisler@med.uni-tuebingen.de

Hinweis-- ATTICUS ist eine Investigator initiierte Studie, unterstützt durch Bristol Myers Squibb / Pfizer Alliance und Medtronic

Literatur--

1. Poli S et al. Eur J Neurol. 2016;23:375-81

2. Diener HC et al. N Engl J Med. 2019;380:1906-17

3. Hart RG et al. N Engl J Med. 2018:378:2191-201

4. Geisler T et al. N Engl J Med Evid. 2024;3(1); https://doi.org/10.1056/EVIDoa2300235

5. Diener HC et al. Stroke. 2020;51:1758-65

6. präsentiert auf der International Stroke Conference 2023 in Dallas

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