Herzinsuffizienz und Krebs ziehen weitere Komorbiditäten an

Kardioonkologie-- Bei Patienten mit Herzinsuffizienz scheint die Krebsrate erhöht zu sein. Dies lässt sich mit pathophysiologischen Faktoren erklären, die beide Krankheiten miteinander verknüpfen. Als weitere Komorbiditäten beider Erkrankungen spielen Depressionen und Demenz eine wichtige Rolle, wie aktuelle Daten zeigen.

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Herz und Hirn sind im Rahmen der Komorbiditäten einer Herzinsuffizienz beide betroffen. medistock/stock.adobe.com

Herz und Hirn sind im Rahmen der Komorbiditäten einer Herzinsuffizienz beide betroffen.

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Die Herzinsuffizienz ist bezüglich Prävalenz, Prognose und Lebensqualität eng mit dem Auftreten von Komorbiditäten verknüpft [1]. Eine besondere Bedeutung als Komorbidität haben in den letzten Jahren maligne Erkrankungen erlangt. Das besondere Interesse an diesem Thema hat die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie unter anderem durch die Gründung einer Arbeitsgruppe belegt (AG 40: Kardiologische Onkologie). Um alle Angehörigen der Gesundheitsberufe in der Betreuung betroffener Patientinnen und Patienten zu unterstützen, hat die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) erstmals aktuelle Leitlinien zur Kardioonkologie veröffentlicht [2]. Im Zentrum dieser Leitlinien stehen Patientinnen und Patienten, die im Rahmen einer Krebsdiagnose potenziell kardiotoxische Therapien erhalten und deren kardiologische Betreuung in einem interdisziplinärem onkologisch-kardiologischem Teamansatz von Diagnosestellung bis zur Nachsorge optimiert werden soll.

Erhöhte Krebsprävalenz bei Herzinsuffizienz-Patienten

Die Prävalenz von Herzinsuffizienz und Krebs ist hoch, ebenso wie die Mortalität an beiden Erkrankungen in der Gesamtbevölkerung: Mehr als 25 % aller Menschen in Europa sterben an Krebs [3], die 1-Jahres-Mortalität der chronischen Herzinsuffizienz beträgt ca. 14,5 % [4]. Diese immense Bedeutung hat in den letzten Jahren den Blick auf ein weiteres Problem gelenkt: eine möglicherweise erhöhte Rate an Krebserkrankungen unter Herzinsuffizienzpatientinnen und -patienten [5]. Große prospektiven Studien zur Therapie der Herzinsuffizienz mit erhaltener Pumpfunktion (HFpEF) wie iPRESERVE und TOPCAT zeigten, dass 30 % der Todesfälle nicht kardial bedingt waren und eine Krebserkrankung die häufigste Todesursache darstellte [6]. Aber auch bei Herzinsuffizienz mit reduzierter Pumpfunktion (HFrEF) scheint die Krebsrate erhöht zu sein.

Prof. Mark Lüdde-- Christian-Albrechts-Universität zu KielLüdde

Prof. Mark Lüdde-- Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

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Wir konnten in unserer interdisziplinären kardioonkologischen Projektgruppe eine starke Assoziation zwischen Herzinsuffizienz und dem Neuauftreten von Krebsdiagnosen feststellen [7]: Basierend auf der IQVIA Disease Analyzer Datenbank analysierten wir retrospektiv jeweils 100.124 Patientinnen und Patienten mit bzw. ohne Herzinsuffizienz und erhoben die Inzidenz von Krebserkrankungen innerhalb eines 10-jährigen Beobachtungszeitraum nach Erstdiagnose einer Herzinsuffizienz. Es zeigte sich eine signifikant erhöhte Inzidenz von Krebserkrankungen (Hazard Ratio: 1,76, 95%- Konfidenzintervall: 1,71–1,81; p < 0,001) bei Herzinsuffizienzpatientinnen und -patienten. Der stärkste Zusammenhang wurde für Krebs der Lippen, der Mundhöhle und des Rachens, gefolgt von den Atmungsorganen, beobachtet.

Was könnten die Ursachen sein für die erhöhte Krebsinzidenz bei Herzinsuffizienz? Zum einen teilen beide Erkrankungen mehrere Risikofaktoren wie z. B. Adipositas, Nikotinkonsum, Diabetes mellitus, aber auch eine erhöhte Herzfrequenz [6]. Dies lässt auch eine gemeinsame Basis pathophysiologischer Moleküle und Signalwege vorstellbar scheinen, die in beiden Erkrankungen von Relevanz sind (Abb. 1). Oxidativer Stress durch freie Radikale, vermehrte Inflammation sowie ein dysbalanciertes Immunsystem sind Faktoren, die beide Erkrankungen kennzeichnen und die Herzinsuffizienz mit onkologischen Erkrankungen verknüpfen könnten. Die Herzinsuffizienz führt zu einer Induktion und Sekretion einer Vielzahl inflammatorischer/bioaktiver Moleküle, die eine Wirkung auf Tumoren bzw. onkogene Moleküle besitzen [8]. Die Komplexität dieser Interaktionen ist noch unzureichend untersucht und stellt mit Sicherheit ein wichtiges Ziel zukünftiger laborwissenschaftlicher und klinischer Studien dar. Ob eine leitliniengerechte medikamentöse Herzinsuffizienztherapie möglicherweise auch ein Weg sein könnte, Herzinsuffizienzpatientinnen und -patienten vor Krebserkrankungen zu schützen, bedarf weiterer Klärung.

Komorbiditäten der Herzinsuffizienz (Abb. 1)-- Mögliche Mechanismen der Interaktion von Herzinsuffizienz, Krebs und Demenz. Lüdde

Komorbiditäten der Herzinsuffizienz (Abb. 1)-- Mögliche Mechanismen der Interaktion von Herzinsuffizienz, Krebs und Demenz.

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Depression: Ein Problem auch in der Kardioonkologie

Angststörungen und Depression sind bekanntermaßen häufige Begleiterkrankungen bei Krebserkrankungen. Die psychologische Mitbetreuung ist als Baustein in der Betreuung Krebserkrankter in ihrer Wichtigkeit erkannt und im klinischen Alltag gut etabliert. Auch kardial Erkrankte bedürfen häufig besonderer psychischer Betreuung. Es gibt Hinweise, dass insbesondere an Herzinsuffizienz Erkrankte ein erhöhtes Risiko aufweisen, im Laufe der Erkrankung eine klinisch relevante Depression/Angststörung zu entwickeln. In einer retrospektiven Analyse verglichen wir die Inzidenz einer Depression bei Herzinsuffizienzpatientinnen und -patienten (n = 96.762) mit der Inzidenz bei Betroffenen der häufigsten Krebsarten. Innerhalb von 5 Jahren nach Diagnosestellung der Herzinsuffizienz betrug die Rate der Depressionsdiagnosen 23,1 %. Im Vergleich dazu hatten 25,7 % der Brustkrebspatientinnen, 22,1 % der Patientinnen und Patienten mit Krebs der Verdauungsorgane und 15,0 % der Patienten mit Prostatakrebs eine Depression [9]. Die Bedeutung der Depression als Komorbidität der Herzinsuffizienz sollte daher nicht unterschätzt werden. Neue Daten deuten darauf hin, dass keine Komorbidität das Wohlbefinden der Betroffenen so sehr beeinträchtigt wie eine Depression [10].

Herzinsuffizienz geht mit hoher Demenz-Inzidenz einher

Eine besondere Belastung nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für Angehörige, ist eine Demenz, ein Symptomkomplex, der gekennzeichnet ist durch die Verschlechterung verschiedener kognitiver, emotionaler und sozialer Fähigkeiten. Die Prävalenz der Demenz ist nicht einfach zu erfassen, da repräsentative Studien fehlen und die Erhebung genauer Krankheitszahlen auch durch psychosoziale Faktoren wie fehlende Krankheitseinsicht oder auch Schamgefühl der Angehörigen erschwert ist [11]. Die Prävalenz dieses Symptomkomplexes scheint in der Öffentlichkeit immer noch unterschätzt. Dabei wird unter anderem aufgrund des zunehmenden Lebensalters der Bevölkerung mit einer weiteren starken Zunahme der Prävalenz bis 2050 gerechnet [11]. Neue Daten legen nahe, dass insbesondere Systemerkrankungen wie die Herzinsuffizienz [12], aber auch Krebs mit einer erhöhten Demenzinzidenz einhergehen.

Wir verglichen daher in einem großen Kollektiv von Herzinsuffizienzpatientinnen und -patienten (n = 72.259) die Inzidenz einer Demenz mit Patientengruppen mit verschiedenen Krebserkrankungen [13]. 27,6 % der Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz entwickelte im Beobachtungszeitraum von 5 Jahren eine klinisch relevante Demenz, dies war im Vergleich bei 16,8 % der Patientinnen mit Brustkrebs der Fall, bei 18,6 % der Patientinnen und Patienten mit Krebs der Verdauungsorgane und 16,2 % der Patienten mit Prostatakrebs. Bereits nach einem Jahr zeigten sich signifikante Unterschiede zwischen den Patientengruppen. Die Gründe für diese starke Assoziation sind unklar, pathophysiologische Zusammenhänge wie zerebrale Minderperfusion, Inflammation und auch ein veränderter Abbau von Beta-Amyloid bei Herzinsuffizienz werden diskutiert [13] (Abb. 1). Die signifikant erhöhte Inzidenz dieser Erkrankungen bereits relativ kurz nach Krankheitsbeginn, die andere und wir zeigen konnten, suggeriert, dass prospektive klinische Studien diesen Zusammenhang zukünftig untersuchen sollten.

Fazit

Den Komorbiditäten der Herzinsuffizienz kommt eine immense Bedeutung zu, insbesondere Krebs, Depressionen und Demenzerkrankungen.

Dies erfordert ein Umdenken bei der Therapieplanung, dem Monitoring des Krankheitsverlaufs und der Planung von gesundheitsökonomischen Ressourcen.

Die Frage, ob eine optimierte Herzinsuffizienztherapie möglicherweise helfen kann, Herzinsuffiziente auch vor Krebs, Depression und/oder Demenz zu schützen, ist unbeantwortet.

Kontakt-- Prof. Dr. Mark Lüdde, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Cardiologikum Bremerhaven, mark.lüdde@web.de

Literatur--

1. McDonagh TA et al. Eur Heart J. 2021;42(36):3599-726

2. Lyon AR et al. Eur Heart J. 2022;43(41):4229-361

3. Ferlay J et al. Eur J Cancer. 2018;103:356-87

4. Crespo-Leiro MG et al. Eur J Heart Fail. 2016;18(6):613-25

5. Banke A et al. Eur J Heart Fail. 2016;18(3):260-6

6. de Boer RA et al. Eur J Heart Fail. 2019;21(12):1515-25

7. Roderburg C et al. ESC Heart Fail. 2021;8(5):3628-33

8. Meijers WC et al. Circulation. 2018;138(7):678-91

9. Loosen SH et al. Eur J Prev Cardiol. 2022;29(3):e112-e114

10. Lawson CA, et al. PLoS Med. 2018;15(3):e1002540

11. Wu YT et al. Nat Rev Neurol. 2017;13(6):327-39

12. Adelborg K et al. Eur J Heart Fail. 2017;19(2):253-60

13. Roderburg C et al. Eur Heart J Open. 2021;1(1):oeab003

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