Koronarangiografie erfolgt oft nicht leitliniengerecht

Chronisches Koronarsyndrom-- Werden in Deutschland zu viele Koronarangiografien durchgeführt? In einer prospektiven Studie war die Leitlinienadhärenz für die Indikationsstellung im Falle des chronischen Koronarsyndroms jedenfalls nicht besonders gut – mit erheblichen ökonomischen Konsequenzen.

Von Dr. B. Wein und B. Bogs und Prof. O. Bruder Veröffentlicht:
Nicht invasive und invasive Bildgebung bei koronarer Herzerkrankung-- A) Moderate LAD-Stenose. Verkalkungen im Hauptstamm (Kardio- CT), B) Hochgradige proximale LAD-Stenose mit sklerosiertem Hauptstamm (Kardio-CT), C) Ischämie der mittleren Wandabschnitte (Kardiale Stress-MRT mit Adenosin).

Nicht invasive und invasive Bildgebung bei koronarer Herzerkrankung-- A) Moderate LAD-Stenose. Verkalkungen im Hauptstamm (Kardio- CT), B) Hochgradige proximale LAD-Stenose mit sklerosiertem Hauptstamm (Kardio-CT), C) Ischämie der mittleren Wandabschnitte (Kardiale Stress-MRT mit Adenosin).

© [M] Wein/Bogs/Bruder

Mit 1.100 Koronarangiografien pro 100.000 Einwohner pro Jahr belegt Deutschland den europaweiten Spitzenplatz. Bei jährlich ca. 500.000 solcher Eingriffe bei Verdacht auf ein chronisches Koronarsyndrom (CCS) in Deutschland wird die Qualität der Indikationsstellung in dieser Population seit Jahren intensiv diskutiert [1].

Nach den ESC-Leitlinien von 2019 ist der Einsatz weiterführender Abklärungen bei möglichem CCS vor allem an die symptombezogene (Brustschmerz oder Dyspnoe) Vortestwahrscheinlichkeit geknüpft[2]. In aller Regel ist primär eine nicht invasive bildgebende Diagnostik (Koronar-CT, Myokardszintigrafie, Stress-Echokardiografie oder kardiale Stress-MRT) empfehlenswert. Erst wenn in dieser Diagnostik ein pathologischer Befund nachweisbar ist, sollte die Koronarangiografie als Folgeuntersuchung eingesetzt werden.

ENLIGHT-KHK-Projekt liefert erstmals prospektive Daten

Das ENLIGHT-KHK-Projekt lieferte in Kooperation mit den AOKen Rheinland/ Hamburg und Nordwest nun erstmalig prospektive Ergebnisse:

1. zur Leitlinienadhärenz einer Koronarangiografie bei CCS-Verdacht,

2. zu den gesundheitsökonomischen Konsequenzen einer fehlenden Leitlinienadhärenz sowie

3. eine interviewbasierte Evaluation förderlicher wie hemmender Faktoren für eine leitlinienadhärente Abklärung [3].

Nicht invasive und invasive Bildgebung bei koronarer Herzerkrankung-- D) Hochgradige ostiale LAD-Stenose (Koronarangiografie), E) 3-D-Rekonstruktion der Koronarien im Kardio CT, F) nicht stenosierende Verkalkungen in der LAD (Kardio-CT).

Nicht invasive und invasive Bildgebung bei koronarer Herzerkrankung-- D) Hochgradige ostiale LAD-Stenose (Koronarangiografie), E) 3-D-Rekonstruktion der Koronarien im Kardio CT, F) nicht stenosierende Verkalkungen in der LAD (Kardio-CT).

© [M] Wein/Bogs/Bruder

Von Januar 2018 bis August 2021 – mit coronabedingten Unterbrechungen – wurden 901 AOK-versicherte Patientinnen und Patienten an neun kardiologischen Zentren aus Nordrhein-Westfalen und Hamburg rekrutiert und in fünf prädefinierte Kohorten eingeschlossen. Die Leitlinienadhärenz der Indikationsstellung zur Koronarangiografie wurde anhand der 2019er-ESC-Leitlinie zum CCS (Kohorte 1), bzw. bei Patienten mit Vorstellung auf der Notaufnahme und ohne akuten Herzinfarkt (Kohorte 2) anhand der ACS/NSTEMI-Leitlinie der ESC von 2015 bzw. 2020 beurteilt [2, 4, 5]. Die weiteren Kohorten dienten der Exploration des Versorgungsgeschehens.

Nur bei jedem fünften Patienten wurde leitliniengerecht interveniert

Die 458 Patientinnen und Patienten mit Verdacht auf ein CCS, die zum Zeitpunkt der Koronarangiografie-Prozedur eingeschlossen wurden, wiesen eine mittlere Vortestwahrscheinlichkeit von 24,2 % auf (95%-KI: 11,9–36,5), bei 20,9 % erfolgte im Vorfeld eine nicht invasive Bildgebung. In Zusammenschau von Vortestwahrscheinlichkeit und Bildgebungsbefunden lag die Leitlinienadhärenz für eine Koronarangiografie in dieser Population bei 20,4 % [6]. In der Notaufnahme-Kohorte von 229 Patienten, bei denen nach Ausschluss eines Infarktes eine Koronarangiografie durchgeführt wurde, betrug die Adhärenz nach den 2015er-ESC-ACS-Leitlinien 64 %. Unter Anwendung der 2020er-Empfehlungen läge die Leitlinienadhärenz in dieser Kohorte ebenfalls bei 20,4 %.

Dr. Bastian Wein-- Universitätsklinikum Augsburg

Dr. Bastian Wein-- Universitätsklinikum Augsburg

© Wein

Björn Bogs-- Elisabeth-Krankenhaus Essen

Björn Bogs-- Elisabeth-Krankenhaus Essen

© Bogs

Um die gesundheitsökonomischen Aspekte zu erfassen, wurden die Kosten der aktuellen Versorgungssituation mit denen einer hypothetischen vollständig leitlinienadhärenten Indikationsstellung zur Koronarangiografie, die eine vorangehende nicht invasive Bildgebung impliziert, verglichen. Eine vollständig leitlinienadhärente Abklärung resultiere demzufolge in einer Kosteneinsparung von 807 Euro je Abklärungsfall [7].

Die zehn Hausärzte und Hausärztinnen und fünf Kardiologinnen und Kardiologen, die im Rahmen des Projektes befragt wurden, gaben insbesondere den fehlenden oder mit inadäquaten Wartezeiten verbundenen Zugang zur leitlinienempfohlenen, nicht invasiven Bildgebung als Hindernis für eine leitliniengerechte Abklärung an. Als Ursachen hierfür wurden fehlende (Koronar-CT, Stress-Herz-MRT) bzw. unzureichende (Stress-Echo) Vergütung der Bildgebungsmodalitäten sowie ökonomische (Fehl-)Anreize zur Durchführung einer Koronarangiografie aufgeführt.

Fazit

Die Leitlinienadhärenz in der Indikationsstellung zur Koronarangiografie bei Patientinnen und Patienten mit CCS-Verdacht ist mit 20,4 % niedrig.

Dieser Umstand zieht deutliche Mehrkosten für das deutsche Gesundheitswesen nach sich.

Zur Sicherstellung einer leitlinienadhärenten und damit kosteneffektiven Abklärung sind zum einen ein bedarfsorientierter Ausbau von Kapazitäten der nicht invasiven Bildgebung und zum anderen dahingehend adäquate Vergütungsanreize notwendig. Zudem sollte mittelfristig eine optimierte Qualitätssicherung diskutiert werden.

Ein transsektorales Modellprojekt zwischen AOK Rheinland/Hamburg und dem Contilia Herz- und Gefäßzentrum ist angelaufen.

Kontakt-- Dr. Bastian Wein, Universitätsklinikum Augsburg, bastian.wein@uk-augsburg.de; Björn Bogs, Elisabeth-Krankenhaus Essen, b.bogs@contilia.de; Prof. Oliver Bruder, Contilia Herz- und Gefäßzentrum am Elisabeth-Krankenhaus Essen, o.bruder@contilia.de

Literatur bei den Verfassern