Mechanische Thrombektomie auch bei ausgedehnten Ischämiefrühzeichen

Große Hirninfarkte-- Die mechanische Thrombektomie (MT) bei akuten proximalen Verschlüssen der hirnversorgenden Arterien ist nachgewiesenermaßen hocheffizient und sicher. Gilt das jedoch auch für Patienten im erweiterten Zeitfenster mit großen Infarkten? Die TENSION-Studie schließt diese Evidenzlücke.

Von PD Dr. Gerrit M. Große Veröffentlicht:
Thrombektomie unter zerebraler Angiografie bei einem Schlaganfallpatienten. Burger/Phanie/Science Photo Library

Thrombektomie unter zerebraler Angiografie bei einem Schlaganfallpatienten.

© Phanie/Burger/Science Photo Library

Die bisherigen Studien zur MT haben überwiegend solche Schlaganfallpatienten eingeschlossen, die nur geringe Ischämie-Frühzeichen in der primären Bildgebung aufwiesen. Mit der TENSION-Studie (The Efficacy and Safety of Thrombectomy in Stroke with extended lesion and extended time window) wurde diese Evidenzlücke nun geschlossen [1]. TENSION ist eine Investigator-initiierte, randomisierte kontrollierte Studie, die in 40 Zentren in Europa sowie in Calgary, Kanada, unter Leitung der Kollegen aus Heidelberg und Hamburg durchgeführt wurde.

Einschlusskriterien

PD Dr. Gerrit M. Große, Medizinische Hochschule HannoverGroße

PD Dr. Gerrit M. Große, Medizinische Hochschule Hannover

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Rekrutiert wurden Patienten mit moderatem bis schwerem Schlaganfall (NIHSS < 26) und Verschluss des M1-Segments der A. cerebri media oder des intrakraniellen Abschnitts der A. carotis interna. Die Intervention musste innerhalb von 12 Stunden nach Auftreten der Symptome oder nach dem Zeitpunkt, zu dem der Patient zuletzt gesund gesehen wurde, erfolgen. Ein weiteres Einschlusskriterium war das Vorhandensein eines nachgewiesenen großen Infarkts gemäß einem Alberta Stroke Programme Early CT Score (ASPECTS) von 3 bis 5 in der nativen Computertomografie oder der diffusionsgewichteten Magnetresonanztomografie (DWI). Die Patienten durften keinen höheren Grad an prämorbider Behinderung (mRS, modifizierte Rankin-Skala 0–2) aufweisen und es durften keine Kontraindikationen für eine MT oder eine Indikation für ein Notfall-Stenting bestehen. Die Randomisierung erfolgte 1:1 in einen Studienarm mit medikamentöser Behandlung, bzw. einen Studienarm mit MT plus medikamentöser Therapie.

Primärer Endpunkt frühzeitig erreicht

Der primäre Endpunkt war definiert als gutes funktionelles Outcome anhand einer ordinalen mRS-Shiftanalyse 90 Tage nach Einschluss in der Intention-to-Treat Population. Erhebungen der Lebensqualität sowie symptomatische intrakranielle Blutungen dienten als sekundäre Endpunkte. Zum Zeitpunkt der Studienplanung wurde die Stichprobengröße auf 665 festgelegt. Nachdem 253 Patienten zwischen Juli 2018 und Februar 2023 randomisiert worden waren, wurde die Studie jedoch vorzeitig beendet, da der Wirksamkeitsendpunkt bereits erreicht wurde. Die klinischen Charakteristika zu Studienbeginn unterschieden sich nicht wesentlich zwischen den Gruppen. Der mediane NIHSS lag bei 19 bzw. 18, und der mediane prämorbide mRS lag in beiden Gruppen bei 0. In der Interventionsgruppe wurde in 83 % der Fälle eine erfolgreiche Reperfusion (entsprechend einem mTICI 2b oder besser) erreicht.

MT der alleinigen medikamentösen Therapie überlegen

Es fand sich eine deutliche Verschiebung in der mRS-Verteilung zugunsten der MT (gemeinsame Odds Ratio [OR]: 2,58; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 1,60–4,15). 39 Patienten (31 %) in der MT-Gruppe hatten nach 90 Tagen einen mRS von 0 bis 3, verglichen mit 16 Patienten (13 %) in der Kontrollgruppe (OR: 2,84, 95%-KI: 1,48–5,47). Auch in Bezug auf die von den Patienten berichteten Gesundheits- und Lebensqualitätsergebnisse erwies sich die MT als vorteilhaft.

Geringere Sterblichkeit nach MT

Thrombektomie und Thrombolyse (Abb. 1)-- In TENSION wurde bei großen Infarkten im erweiterten Zeitfenster die MT plus medikamentöse Behandlgung gegen alleinige medikamentöse Therapie verglichen.songkram/stock.adobe.com

Thrombektomie und Thrombolyse (Abb. 1)-- In TENSION wurde bei großen Infarkten im erweiterten Zeitfenster die MT plus medikamentöse Behandlgung gegen alleinige medikamentöse Therapie verglichen.

© songkram/stock.adobe.com

Die Mortalität betrug nach 90 Tagen 49 (40 %) in der Interventionsgruppe und 63 (51 %) bei den Patienten, die ausschließlich medikamentös behandelt wurden (Hazard Ratio: 0,67; 95%-KI: 0,46–0,98). Symptomatische intrakranielle Blutungen traten in beiden Gruppen in 5 % der Fälle auf. Demnach ist die MT auch bei Patienten mit proximalem Gefäßverschluss und ausgedehnten Ischämien in der primären Bildgebung sicher und effizient im Hinblick auf das funktionelle Outcome und die Mortalität. Kürzlich wurden bereits drei randomisierte Studien [2–4] publiziert, in denen die Wirksamkeit der MT bei der Behandlung von proximalen Gefäßverschlüssen und großen Infarkten untersucht wurde und die ebenfalls einen Vorteil zugunsten der interventionellen Therapie ergaben.

Pragmatischer Ansatz der TENSION-Studie

Im Unterschied zu diesen Studien verfolgte TENSION nun einen konsequent pragmatischen Ansatz, bei dem nicht auf eine multimodale Bildgebung zur Identifizierung von Penumbragewebe gesetzt wurde, sondern auf die einfache native CT, seltener die DWI. Weitere Software kam nicht zum Einsatz. Die deutlich vorteilhaften Effekte der MT waren dennoch mit denen der Vorstudien vergleichbar. Hervorzuheben ist außerdem, dass durch die MT nicht nur Todesfälle substanziell verhindert werden konnten, sondern auch eine nicht unerhebliche Anzahl von Patienten trotz der ungünstigen Ausgangssituation ein relativ gutes funktionelles Outcome ohne relevante Behinderung erzielen konnte.

Fazit

Die mechanische Thrombektomie konnte bei Schlaganfallpatienten mit ausgedehnten Ischämiefrühzeichen auch im 12-Stunden-Zeitfenster das funktionelle Ergebnis im Vergleich zur medikamentösen Therapie verbessern und die Sterblichkeit verringern.

Insgesamt ist die MT somit auch bei vermeintlich ungünstiger Ausgangslage von großem Nutzen.

Kontakt-- PD Dr. Gerrit M. Große, Medizinische Hochschule Hannover, Klinik für Neurologie, grosse.gerrit@mh-hannover.de

Literatur--

1. Bendszus M et al. Lancet. 2023;402(10414):1753-63

2. Yoshimura S et al. N Engl J Med. 2022;386:1303-13

3. Sarraj A et al. N Engl J Med. 2023;388:1259-71

4. Huo X et al. N Engl J Med. 2023;388:1272-83

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