Personalisierte medikamentöse Therapie der Angina pectoris

Pharmakotherapie-- Für die Therapie der Angina pectoris bestehen in den ESCLeitlinien Lücken in der Evidenz, die dort ausgesprochenen Erst- und Zweitlinienempfehlungen sind nicht voll belegt. Das Sicherheitsprofil jeder einzelnen Substanz muss dringend beachtet und eine genaue Anamnese durchgeführt werden.

Von Dr. Michael Wester und Prof. Dr. Samuel Sossalla Veröffentlicht:
Evidenzlücken zu Wirkstoffkombinationen bei der Angina-pectoris-Therapie müssen geschlossen werden.

Evidenzlücken zu Wirkstoffkombinationen bei der Angina-pectoris-Therapie müssen geschlossen werden.

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Identifikation der Auslöser

Persistierende Angina pectoris im Alltag kann Belastbarkeit und Lebensqualität deutlich einschränken. Die aktuellen europäischen Leitlinien schlagen ein stufenweises Vorgehen in der Behandlung mit Einteilung der Substanzen in „first und second line“ vor [1]. Dies wurde kritisiert [2, 3] und in der Leitlinie selbst als „gap in evidence“ benannt [1]. Verfügbare Substanzen wurden größtenteils nie suffizient gegeneinander auf ihre Wirksamkeit getestet. Daher erscheint bei der Auswahl der Wirkstoffe ein patientenzentriertes und personalisiertes Vorgehen sinnvoll. Grundlage hierfür ist die präzise Differenzierung der Auslöser für Angina pectoris. Dies gelingt durch eine detaillierte Anamnese, welche durch ein Belastungs-EKG und Langzeitblutdruckmessung/Blutdrucktagebuch mit Korrelation der Beschwerden ergänzt werden kann.

Prinzipien bei der Auswahl der Substanzklassen

Das Sicherheitsprofil einzelner Substanzen ist für die personalisierte Therapie wichtig.

Das Sicherheitsprofil einzelner Substanzen ist für die personalisierte Therapie wichtig.

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Medikamentöse Therapien können in vielen Fällen Symptome deutlich verbessern. Beachtenswert bei der Therapieauswahl ist, dass antianginöse Substanzen bisher keinen eindeutigen Überlebensvorteil gezeigt haben (außer durch begleitende Komorbiditäten, z. B. Betablocker bei Herzinsuffizienz). Deswegen gilt hier verstärkt der Therapiegrundsatz „primum nil nocere“. Somit sollten Substanzklassen ausgewählt werden, für die mittels Langzeitstudien ein ausreichendes Sicherheitsprofil nachgewiesen wurde. Die Auswahl sollte sich im nächsten Schritt am Mechanismus der Angina pectoris und etwaigen Komorbiditäten (z. B. Herzinsuffizienz und Diabetes mellitus) orientieren [4]. Dies entspricht auch der Empfehlung der Nationalen Versorgungsleitlinie [4]. Zusätzlich sollten mögliche Medikamenteninteraktionen bedacht und Begleiterkrankungen [4], welche ihrerseits Angina pectoris auslösen oder verstärken können (z. B. diastolische Herzinsuffizienz, Vorhofflimmern), optimal eingestellt werden. Kurzwirksame Nitrate sind hilfreich und effektiv in der akuten Behandlung von Angina pectoris und haben einen oft vernachlässigten – auch psychologischen – Stellenwert. Sie können auch präventiv vor Belastung eingesetzt werden. Dies ist beachtenswert, da regelmäßiger Ausdauersport pathophysiologische Prozesse der Angina pectoris umkehren kann und so zu einer Verbesserung der Symptomatik führt [1, 5].
Personalisierte Pharmakotherapieder Angina pectoris (Abb. 1)-- Vorschlag zur Behandlung der Angina pectoris orientierend an Substanzen, die auf Langzeitsicherheit überprüft wurden (gelb hinterlegt), am Auslösemechanismus der Myokardischämie und den Komorbiditäten.

Personalisierte Pharmakotherapie der Angina pectoris (Abb. 1)-- Vorschlag zur Behandlung der Angina pectoris orientierend an Substanzen, die auf Langzeitsicherheit überprüft wurden (gelb hinterlegt), am Auslösemechanismus der Myokardischämie und den Komorbiditäten.

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Behandlung bei Hypertonie oder erhöhter Herzfrequenz

Bei Patienten mit Angina pectoris aufgrund von Bluthochdruck sind Betablocker, Kalziumkanalantagonisten oder ggf. auch ACE-Hemmer zu empfehlen (Abb. 1). Bei erhöhter Herzfrequenz (ca. > 70/min, wobei hier kein klarer Cut-off existiert) sind Betablocker oder Kalziumkanalantagonisten vom Nicht-Dihydropyridin-Typ zu empfehlen, auch weil die Verlängerung der Diastole die Koronarperfusion verbessert. Sollten diese Substanzklassen bei Herzfrequenz > 70/min kontraindiziert sein, kann Ivabradin eingesetzt werden, das evidenzbasiert antianginös wirkt [6, 7]. Beachtenswert ist jedoch, dass eine große Subgruppenanalyse der SIGNIFY-Studie gezeigt hat, dass bei Patienten mit Angina pectoris und normaler LV Pumpfunktion die Wahrscheinlichkeit für kardiovaskulären Tod und Herzinfarkt in der Ivabradin-Gruppe signifikant erhöht war [8], bei jedoch hoher Dosierung bis zu 10 mg zweimal täglich.

Behandlung bei normwertigem Blutdruck und Herzfrequenz

Aufgrund der Wichtigkeit der blutdruckbedingten Koronarperfusion ist eine übermäßige Blutdrucksenkung bei Angina pectoris nicht sinnvoll. Ranolazin hat sich bei Patienten mit Angina pectoris – auch in Risikogruppen – als sicher und effektiv erwiesen (Abb. 1) [9–11]. Da die Substanz kaum Einfluss auf Blutdruck oder Herzfrequenz hat, empfiehlt sich Ranolazin besonders bei normotensiven Patienten. Zudem ist die Substanz auch effektiv in Kombination mit anderen Substanzen wie z. B. Kalziumkanalblockern [12].

Beschwerdepersistenz

Dr. Michael Wester-- Universitätsklinikum Regensburg

Dr. Michael Wester-- Universitätsklinikum Regensburg

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Prof. Samuel Sossalla-- Universitätsklinikum Gießen & Kerckhoff-Klinik Bad Nauheim

Prof. Samuel Sossalla-- Universitätsklinikum Gießen & Kerckhoff-Klinik Bad Nauheim

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Bei Beschwerdepersistenz unter einem Antianginosum sollte je nach Mechanismus eine zweite Substanz ergänzt werden (Abb. 1). Nitrate erhöhen das myokardiale Sauerstoffangebot und wirken so antianginös. Ihr Einsatz erscheint also pathophysiologisch unabhängig von Blutdruck und Herzfrequenz sinnvoll. Die aktuelle ESC-Leitlinie empfiehlt langwirksame Nitrate (Grad IIA), obwohl die Studienlage kritisch ist (geringe Patientenzahlen, kurze Beobachtungsdauer), und daher ist der Empfehlungsgrad umstritten [2, 3]. Unter der Behandlung mit Nitraten tritt rasch ein Gewöhnungseffekt ein, sodass regelmäßige Behandlungspausen (24 h) empfohlen sind. Die Studienlage zur Beurteilung der Langzeitsicherheit von langwirksamen Nitraten als „nicht Patch-Variante“ ist mit Beobachtungszeiträumen von Tagen bis wenigen Wochen unzureichend [13]. Aufgrund der fortgesetzten Verschreibung wären dringend Studien nach modernen Standards gefordert. Hochdosierte Kalziumkanalblocker sind erste Wahl bei der Behandlung von vasospastischer Angina pectoris; Betablocker sind zu vermeiden [1]. Die ESC-Leitlinie beinhaltet als Antianginosa noch Nicorandil und Trimetazidin, die jedoch beide in Deutschland nicht verfügbar sind. Abschließend sollten sowohl vor Therapieinitiierung als auch bei ineffektiven Therapieversuchen alternative Ursachen für die Beschwerden eruiert werden, da die Angina pectoris durchaus als Chamäleon in der Kardiologie zu betrachten ist.

Fazit

Primum nil nocere (gutes Sicherheitsprofil für Betablocker, Kalziumkanalantagonisten und Ranolazin, ggf. ACE-Hemmer, unter Beachtung von Kontraindikationen).

Personalisierte Therapie in Abhängigkeit der Angina-Auslöser und Komorbiditäten.

Es bestehen weiterhin wichtige Evidenzlücken bezüglich der optimalen Therapie und Wirkstoffkombinationen, die mit qualitativ hochwertigen Studien geschlossen werden müssen.

Kontakt-- Dr. Michael Wester, Universitätsklinikum Regensburg, michael.wester@ukr.de; Prof. Dr. Samuel Sossalla, Universitätsklinikum Gießen & Kerckhoff-Klinik Bad Nauheim, Samuel.Sossalla@innere.med.uni-giessen.de

Literatur--

1. Knuuti J et al. Eur Heart J. 2020;41(3):407-77

2. Ferrari R et al. Eur Heart J. 2019;40:190-4

3. Camici PG et al. Int J Cardiol. 2019;297:19-21

4. BÄK, KBV, AWMF Nationale VersorgungsLeitlinie Chronische KHK, Version 6.0. 2022 [cited: 7.8.2023]. DOI: 10.6101/AZQ/000491

5. Cheng W et al. Eur J Prev Cardiol. 2018;25:1864-72

6. Tardif JC et al. Eur Heart J. 2005;26:2529-36

7. Tardif JC et al. Eur Heart J. 2009;30:540-8

8. Beltrame JF. Eur Heart J 2015;36:3297-9

9. Morrow DA et al. JAMA. 2007;297:1775-83

10. Chaitman BR et al. J Am Coll Cardiol. 2004;43:1375-82

11. Chaitman BR et al. JAMA. 2004;291:309-16

12. Stone PH et al. J Am Coll Cardiol. 2006;48:566-75

13. Wei J et al. Int J Cardiol. 2011;146:4-12

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