Sport für Kinder und Jugendliche mit angeborenen Herzfehlern

Empfehlungen-- Auch Kinder mit angeborenen Herzfehlern sollten sich körperlich betätigen. Bewegung kommt bei ihnen im Alltag allerdings oft zu kurz – u. a. weil Ärztinnen und Ärzte gelegentlich übervorsichtige Empfehlungen aussprechen.

Von Dr. J. Siaplaouras und Prof. Dr. C. Apitz Veröffentlicht:
Kinder sollten sich mind. 60 Minuten am Tag körperlich bewegen.

Kinder sollten sich mind. 60 Minuten am Tag körperlich bewegen.

© Robert Kneschke / Fotolia (Symbolbild mit Fotomodellen)

Körperliche Aktivität ist ein wichtiger Baustein für eine altersentsprechende motorische, intellektuelle, emotionale und soziale Entwicklung. Eine vom frühen Kindesalter an körperlich aktive Lebensführung hat prägenden Charakter und beugt primärpräventiv erworbenen Herz-Kreislauf-Erkrankungen vor. Daher empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Kinder und Jugendliche zwischen 5 und 17 Jahren mindestens 60 Minuten körperliche Aktivität am Tag. Dabei sollte es sich vor allem um aerobe Aktivität mit moderater bis hoher Intensität handeln. Die WHO weist zudem darauf hin, die – insbesondere durch Nutzung moderner Medien – im Sitzen verbrachte Zeit möglichst gering zu halten.
Dr. med. Jannos Siaplaouras  Praxis am Herz-Jesu-Krankenhaus in Fulda

Dr. med. Jannos Siaplaouras Praxis am Herz-Jesu-Krankenhaus in Fulda 

© Siaplaouras

Prof. Dr. med. Christian Apitz Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin in Ulm

Prof. Dr. med. Christian Apitz Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin in Ulm 

© Apitz

Dass die Realität für Kinder und Jugendliche mit angeborenem Herzfehler (AHF) in Deutschland leider anders aussieht, zeigt eine repräsentative Survey-Studie unserer Arbeitsgruppe, die in Kooperation mit dem Nationalen Register angeborene Herzfehler e.V. und dem Karlsruher Institut für Technologie durchgeführt wurde [1]. In dieser sog. S-baHn-Studie (Sport bei angeborenen Herzfehlern) wurde gezeigt, dass sich nur etwa 9 % der 1.198 teilnehmenden Kinder und Jugendlichen mit AHF an die WHO-Empfehlung hielten. Dies war signifikant weniger als eine herzgesunde Vergleichskohorte mit 3.385 gleichaltrigen Teilnehmern aus der KiGGS-Studie (Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland).

Abb. 1-- Relative Häufigkeit einer Sporteinschränkung in Abhängigkeit von der Diagnose.

Abb. 1-- Relative Häufigkeit einer Sporteinschränkung in Abhängigkeit von der Diagnose.

© mod. nach Siaplaouras et al. 2020

Ärzte raten oft zur Sporteinschränkung

Nach Analyse der potenziellen Ursachen fiel u. a. auf, dass ungewöhnlich viele Studienteilnehmer angaben, die körperliche Aktivität auf ärztlichen Rat hin eingeschränkt zu haben. Bei Kindern und Jugendlichen mit komplexen AHF (nach Warnes-Klassifikation) war das bei etwa der Hälfte der Fall, bei Patienten mit moderaten AHF bei immerhin noch jedem Dritten. Doch machte auch etwa jeder achte Patient mit einfachem AHF diese Angabe (Abb. 1). Die Autoren waren überrascht von der hohen Rate an Sporteinschränkungen, zumal die prognoseverbessernden Auswirkungen körperlicher Betätigung auch bei AHF (besonders bei komplexen Herzfehlern, z. B. Fontan-Patienten) in der Literatur beschrieben ist. Auch bei der Auswahl der ausgeübten Sportarten schienen Kinder und Jugendlichen mit AHF nicht immer gut beraten: 13,2 % gaben an, Sportarten mit hoher statisch-isometrischer Komponente, wie Kampfsport und Turnen, auszuüben (Abb. 2).

Abb. 2 a-- Ausgewählte Sportarten, differenziert nach Belastungsart (zunehmende statische Belastung, zunehmend dynamische Belastung. *= Verletzungsgefahr durch direkten Körperkontakt; #= Verletzungsgefahr bei Synkopen.

Abb. 2 a-- Ausgewählte Sportarten, differenziert nach Belastungsart (zunehmende statische Belastung, zunehmend dynamische Belastung. *= Verletzungsgefahr durch direkten Körperkontakt; #= Verletzungsgefahr bei Synkopen.

© mod. nach Takken et al. 2012

Abb. 2 b-- Relative Häufigkeitsverteilung der in der S-baHn-Studie von den AHF-Patienten angegebenen Vereinssportarten.

Abb. 2 b-- Relative Häufigkeitsverteilung der in der S-baHn-Studie von den AHF-Patienten angegebenen Vereinssportarten.

© Dis. Annika Jahn, Universität Ulm, 2022

Über die Ursachen und Hintergründe für diese Ergebnisse kann nur spekuliert werden. Man kann davon ausgehen, dass es sich um eine gewisse Übervorsicht, bzw. Überbehütung handelt seitens der Eltern, Lehrer, aber auch der betreuenden Ärzte, eventuell gepaart mit der Hektik des Arztpraxisalltags mit wenig Zeit zur ausführlichen Beratung. Außerdem geben diese Studienergebnisse Anlass, das Thema Prävention bei Kongressen und Fortbildungen vermehrt in den Vordergrund zu rücken.

Ein wichtiger Fakt ist: In Deutschland existieren derzeit nur 11 Kinderherzsportgruppen im Vergleich zu etwa 6.000 Herzsportgruppen für erwachsene Herzpatienten. Daher findet (bis auf wenige Ausnahmen) die sportliche Betätigung von Kindern und Jugendlichen mit AHF in der Regel im Umfeld ihrer Peer-Gruppen statt, d. h. in Kindergärten, Schulen und in Sportvereinen.

Strukturierte kinderkardiologische Sporttauglichkeitsuntersuchung

Unbedingte Voraussetzungen für die Teilnahme am Sport sollte daher eine strukturierte kinderkardiologische Sporttauglichkeitsuntersuchung und eine dem Herzfehler und potenziellen Residualbefunden angepasste Sportempfehlung sein. Bei einfachen Herzfehlern wie hämodynamisch unbedeutenden Septumdefekten, Zustand nach Verschluss von Shuntdefekten auf Vorhof-, Kammer- oder arterieller Ebene ohne Residuen und geringgradigen Klappenstenosen oder Insuffizienzen besteht im Regelfall eine unbeschränkte Sporttauglichkeit.

Einschränkungen gibt es vor allem bei Patienten mit komplexen Herzfehlern, Kardiomyopathien, Arrhythmien (z. B. Ionenkanalerkrankungen) und implantierten Herzschrittmachern bzw. ICD sowie bei der Einnahme von blutgerinnungshemmenden Substanzen (z. B. Marcumar). Eine detaillierte Übersicht und Orientierungshilfe bietet die Leitlinie „Sport mit angeborenen Herzerkrankungen“ der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und angeborene Herzfehler e.V. (DGPK) [2]. Regelmäßige Fortbildungen zu diesem Thema werden organisiert u. a. durch die AG Sportmedizin der DGPK sowie der AG Kinderkardiologie der Gesellschaft für pädiatrische Sportmedizin (GPS).

Fazit

Körperliche/sportliche Aktivität ist für eine altersentsprechende motorische, intellektuelle und psychosoziale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen essenziell, und sollte daher möglichst auch allen Kindern und Jugendlichen mit angeborenem Herzfehler ermöglicht werden.

Eine Einschränkung bezüglich der Ausübung sportlicher Aktivität sollte nur wenigen Ausnahmen vorbehalten bleiben.

Voraussetzung für die Teilnahme am Sport sollte jedem Fall eine strukturierte kinderkardiologische Sporttauglichkeitsuntersuchung und Bewegungsempfehlung sein, die an die Grunderkrankung und deren Residualbefunde angepasst wird.

Literatur bei den Verfassern

Kontakt-- Dr. med. Jannos Siaplaouras, Praxis am Herz-Jesu-Krankenhaus gGmbH in Fulda; Prof. Dr. med. Christian Apitz, Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin in Ulm,

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