Wer braucht heute noch einen ICD?

Primärprophylaxe nach Infarkt-- Früher war der Kardioverter-Defibrillator (ICD) nach einem Herzinfarkt im Falle einer eingeschränkten Pumpfunktion klar gesetzt. Doch die Situation hat sich geändert, u. a. weil Fortschritte in der Pharmakotherapie erzielt wurden. Es ist an der Zeit, über neue Strategien nachzudenken.

Von PD Dr. Nikolaos Dagres und Prof. Gerhard Hindricks Veröffentlicht:
Die Implantation eines ICDs bei Postinfarktpatienten wird heute kritischer gesehen als früher.

Die Implantation eines ICDs bei Postinfarktpatienten wird heute kritischer gesehen als früher.

© Science Photo Library / Science Photo Library

Patienten, die einen Myokardinfarkt überleben, haben ein erhöhtes Risiko für einen plötzlichen Herztod, der durch maligne ventrikuläre Rhythmusstörungen verursacht wird. Schon in den 1980er- und 1990er-Jahren wurde erkannt, dass eine stark reduzierte linksventrikuläre Ejektionsfraktion (LVEF) – als grobes Maß für eine eingeschränkte Herzfunktion nach Infarkt – ein Risikomarker nicht nur für die Gesamtmortalität, sondern auch für den plötzlichen Herztod nach Infarkt ist.

PD Dr. Nikolaos Dagres Herzzentrum Leipzig

PD Dr. Nikolaos Dagres Herzzentrum Leipzig

© Christian Hüller

Prof. Gerhard Hindricks Herzzentrum Leipzig

Prof. Gerhard Hindricks Herzzentrum Leipzig

© Christian Hüller

Auf dieser Grundlage wurde Ende der 1990er- und Anfang der 2000er-Jahre in zwei wegweisenden randomisierten Studien, MADIT II und SCD-HeFT [1, 2], gezeigt, dass die primärprophylaktische Implantation eines Kardioverter-Defibrillators (ICD) bei Patienten mit stark reduzierter LVEF mit einem verbesserten Überleben assoziiert war. Diese Beobachtungen führten dazu, dass internationale Leitlinien die routinemäßige ICD-Implantation bei Überlebenden eines Myokardinfarkts mit stark eingeschränkter LVEF zur Primärprävention des plötzlichen Herztodes empfehlen. Diese Empfehlung wird auch in der letzten Version der ESC-Leitlinien ausgesprochen [3].

Risiko-Nutzen-Verhältnis ist anders

Jedoch veränderte sich in den letzten Jahren die Behandlung dieser Patienten entscheidend. Eine ganze Reihe neuer Arzneimittelklassen, z. B. die neueren Mineralokortikoidantagonisten, die Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitoren sowie die SGLT2-Inhibitoren, wurden in die Behandlung von herzinsuffizienten Patienten eingeführt [4]. Diese verringern nicht nur die Sterblichkeit, sondern besonders auch das Risiko des plötzlichen Herztodes [5, 6]. Zusätzlich änderte sich das nicht pharmakologische Management, beispielsweise wird beim akuten Infarkt viel häufiger eine Primärrekanalisation vorgenommen. Diese Entwicklungen führten zu einem erheblichen Rückgang des plötzlichen Herztodes bei herzinsuffizienten Patienten [7] sowie der Raten der abgegebenen adäquaten ICD-Therapien [8], während gleichzeitig die langfristige Komplikationsrate der Defibrillatortherapie weiterhin auf einem relevanten Niveau blieb [9].

Somit ist zu erwarten, dass sich mittlerweile das Nutzen-Risiko-Verhältnis der Primärprävention des plötzlichen Herztodes durch routinemäßige ICD-Implantation bei Patienten mit stark eingeschränkter LVEF nach Infarkt erheblich anders darstellt. Aufgrund der verbundenen Risiken und erheblichen Kosten erscheint es somit notwendig, potenziellen Nutzen und Risiko des ICD bei Überlebenden eines Myokardinfarkts mit reduzierter LVEF unter aktueller optimaler medikamentöser Behandlung in einer randomisierten und ausreichend gepowerten Studie erneut zu bewerten.

Die Relevanz für Patienten und Gesundheitssysteme ist enorm: In der EU werden schätzungsweise jährlich ca. 45.000 primärprophylaktische ICD nach Myokardinfarkt implantiert, mit Kosten von über 500 Millionen Euro jährlich.

PROFID soll die Wende bringen

Das seit 2020 laufende Projekt PROFID („Prevention of sudden cardiac death after myocardial infarction by defibrillator implantation“, https://profid-project.eu/) verfolgt das Ziel, die Strategie der primärprophylaktischen ICD-Implantation an die heutigen Begebenheiten anzupassen. Das Projekt wird von der EU im Rahmen von Horizon 2020 öffentlich gefördert. 21 Einrichtungen aus zwölf Ländern sind daran beteiligt.

Abb. 1-- Design der PROFID-Studie.

Abb. 1-- Design der PROFID-Studie.

© PROFID

In der ersten Phase des Projektes wurde eine umfangreiche Datenanalyse durchgeführt. Zusammen mit der Universität von Manchester wurden 19 Datensätze aus Europa, Israel und den USA ausgewertet, die demografische Daten, klinische Parameter, Medikamente, elektrokardiografische Variablen, Biomarker und echokardiografische Parameter enthielten bzgl. der Prädiktionsmöglichkeit des plötzlichen Herztodes nach Myokardinfarkt. Anschließend wurden sieben Datensätze aus Europa und den USA, die Informationen aus kardialen MRT enthielten, analysiert. Dabei zeigte sich, dass die präzise Prädiktion des individuellen Risikos für den plötzlichen Herztod nach Infarkt sehr schwierig ist. Es wurde aber auch deutlich, dass das Risiko für einen plötzlichen Herztod selbst bei Patienten mit stark eingeschränkter LVEF insgesamt gering ist.

Im nächsten Schritt des Projektes soll eine große randomisierte, kontrollierte klinische Studie durchgeführt werden, die den Fokus von PROFID darstellt. In der PROFID-Studie (s. Abb.) werden Patienten mit Myokardinfarkt in der Anamnese und einer LVEF ≤35 % in zwei Arme randomisiert: 1) aktuelle optimale Pharmakotherapie plus primärprophylaktische ICD-Implantation, 2) aktuelle optimale Pharmakotherapie ohne primärprophylaktische ICD-Implantation. Primärer Endpunkt ist die Gesamtmortalität. Geplant ist, in die im Frühjahr 2023 beginnende Studie insgesamt etwa 3.600 Patientinnen und Patienten aus 180 Studienzentren in 12 europäischen Ländern einzuschließen. Die Studie soll eine neue Evidenzbasis für die Entscheidungsfindung zur primärprophylaktischen ICD-Implantation nach einem Myokardinfarkt bilden.

Fazit

Das Nutzen-Risiko-Verhältnis einer routinemäßigen ICD-Therapie für die Primärprävention des plötzlichen Herztodes hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert, u. a. weil Fortschritte in der Pharmakotherapie erzielt wurden.

Im Rahmen des PROFID-Projektes sollen an die heutige Zeit angepasste Strategien für die ICD-Implantation entwickelt werden. Dafür wurde nach verbesserten Prädiktionsmöglichkeiten für den plötzlichen Herztod gesucht. Im zweiten Schritt soll der Nutzen des ICDs in einer großen randomisierten Studie neu evaluiert werden.

Literatur bei den Verfassern

Kontakt-- PD Dr. Nikolaos Dagres und Prof. Gerhard Hindricks, Abt. für Rhythmologie, Herzzentrum Leipzig

Lesen sie auch
Schlagworte: