Leitlinien zum Management bei ACS

Akutes Koronarsyndrom-- Die europäische Kardiologengesellschaft hat ihre Leitlinien zum ACS herausgebracht. Neu ist, dass Empfehlungen, die zuvor in separaten Leitlinien enthalten waren, nun in einem Dokument gebündelt worden sind.

Von Peter Overbeck Veröffentlicht:

Je nach klinischer Symptomatik, EKG-Befund und Ergebnis der kardialen Troponin-Messung kann ein akutes Koronarsyndrom (ACS) als ST-Hebungs-Myokardinfarkt (STEMI), Myokardinfarkt ohne ST-Streckenhebung im EKG (NSTEMI) oder als instabile Angina pectoris klassifiziert werden. Zu diesen ACS-Subtypen gab es in Europa bisher eigene ESC-Leitlinien: Die STEMI-Leitlinien waren 2017, die Leitlinien zum akuten Koronarsyndrom ohne ST-Streckenhebung (NSTE-ACS: NSTEMI und instabile Angina) 2020 publiziert worden. Die beim ESC-Kongress 2023 vorgestellten neuen Leitlinien decken im Unterschied dazu nun das gesamte Spektrum des akuten Koronarsyndroms ab. Herausgekommen ist ein sehr komplexes Dokument von mehr als 100 Seiten, von denen nicht wenige allein schon für die Auflistung von 936 Literaturreferenzen benötigt wurden.

Neue Empfehlung zum invasiven Management bei NSTE-ACS

Zwar gibt es keine einschneidenden Veränderungen beim ACS-Management im Vergleich zu den beiden vorherigen Leitlinien, dafür aber viele neue nuancierte Empfehlungen. Eine Änderung betrifft etwa das invasive Management bei Patienten mit NSTE-ACS. Für diese Patienten galt bislang bei Anzeichen für ein hohes Risiko (u. a. bestätigte NSTEMI-Diagnose, dynamische ST-Segment oder T-Wellen-Veränderungen, GRACE-Score über 140) eine Klasse-I-Empfehlung für eine frühe invasive Strategie (Koronarangiografie und ggf. PCI innerhalb von 24 Stunden). Aus der, gemessen an der wissenschaftlichen Evidenz, anscheinend als zu stark empfundenen Klasse-I-Empfehlung ist nun eine abgeschwächte Klasse-IIa-Empfehlung geworden. Bei STEMI-Patienten bleibt es dagegen bei der Empfehlung, diese schnellstmöglich in ein Katheterlabor zu bringen.

Klasse-IIa-Empfehlung für verkürzte duale Plättchenhemmung

In vielen Studien ist in jüngster Zeit nach Möglichkeiten einer besseren antithrombotischen Therapie vor allem zu Senkung des Blutungsrisikos nach ACS gesucht worden, etwa durch Verkürzung der dualen plättchenhemmenden Therapie (DAPT) oder durch sogenannte Deeskalation (Switch von potenten P2Y12-Hemmern etwa auf Clopidogrel). Zu einer grundsätzlichen Änderung der Leitlinien-Empfehlung zur antithrombozytären Therapie nach ACS haben diese Studien bislang aber nicht geführt. Auch in den neuen ACS-Leitlinien bleibt es bei der Basisempfehlung, dass die primäre antithrombotische Strategie eine DAPT mit ASS plus einem P2Y12-Hemmer für die Dauer von zwölf Monaten sein sollte.

Allerdings kommen nun auch alternative Strategien stärker in Betracht. So wird empfohlen, dass bei ACS-Patienten, die unter dualer Plättchenhemmung drei bis sechs Monate lang frei von klinischen Ereignissen geblieben sind und kein hohes Risiko für ischämische Ereignisse aufweisen, ein Wechsel zur plättchenhemmenden Monotherapie (bevorzugt mit einen P2Y12-Hemmer) in Betracht gezogen werden sollte (Klasse-IIa-Empfehlung). Zurückhaltend ist noch die Empfehlung, dass speziell bei Patienten mit hohem Blutungsrisiko schon nach einem Monat eine plättchenhemmende Therapie (mit ASS oder einem P2Y12-Hemmer) in Betracht gezogen werden kann. Von einer Deeskalation der DAPT schon in der ersten 30 Tagen nach ACS wird dagegen abgeraten (Klasse-III-Empfehlung). Dies deckt sich mit den Ergebnissen der beim ESC-Kongress 2023 präsentierten STOPADAPT-3-Studie, in der sich ein völliger Verzicht auf ASS nachteilig ausgewirkt hat.

Keine sofortige Koronarangiografie nach unklarem Herzstillstand

Studien wie TOMAHAWK haben inzwischen gezeigt, dass es bei von einem Herzstillstand unklarer Ursache betroffenen Menschen ohne Vorteil ist, wenn diese nach Einlieferung in eine Klinik eiligst einer Koronarangiografie unterzogen werden. Diese Erkenntnis hat nun auch Eingang in die neuen ACS-Leitlinien gefunden. Darin heißt es nun, dass eine routinemäßige sofortige Koronarangiografie nach Herzstillstand bei reanimierten, hämodynamisch stabilen Patienten ohne persistierende ST-Streckenhebung im EKG nicht empfohlen wird (Klasse-III-Empfehlung).

Komplette Revaskularisation erhält verstärkte Empfehlung

Bei vielen Patienten mit STEMI besteht eine koronare Mehrgefäßerkrankung. Schon in den vorangegangenen STEMI-Leitlinien gab es die Empfehlung zugunsten einer routinemäßigen Revaskularisation auch von Koronarläsionen in Nicht-Infarkt-Arterien (Klasse IIa). Hier hat es ein Upgrade gegeben: In den neuen ACS-Leitlinien heißt es nun, dass eine komplette Revaskularisation empfohlen wird, entweder gleich bei der Index-PCI-Prozedur oder innerhalb von 45 Tagen (Klasse-I-Empfehlung). Basis für die Revaskularisation von Nicht-Infarkt-Läsionen sollte die Koronarangiografie sein (Klasse-I-Empfehlung).

Fazit

Die Leitlinien decken nun das gesamte Spektrum des akuten Koronarsyndroms ab.

Neuerungen betreffen den Empfehlungsgrad zum invasiven Management beim NSTE-ACS,

alternative Strategien der antithrombotischen Therapie bei Patienten mit hohem Blutungsrisiko und

die komplette Revaskularisation bei koronarer Mehrgefäßerkrankung.

Quelle-- ESC-Kongress; Session New ESC Guidelines, 25. bis 28. August in Amsterdam

Literatur-- Byrne RA et al. Eur Heart J. 2023;44(38):3720-826

Schlagworte: