„Es leben immer noch Menschen dort, die mir wichtig sind“

Ein Jahr Krieg in der Ukraine-- Als der Krieg in der Ukraine ausbrach, ist Serhii Shcherbyna dorthin gereist, um zu helfen. In der Zwischenzeit ist er zurückgekehrt. Im Interview berichtet der Assistenzarzt, was er in der Ukraine erlebt hat und wie es ihm heute geht.

Ein Interview von Veronika Schlimpert Veröffentlicht:
Zerstörtes und verbranntes Haus während des Krieges in der Ukraine.

Zerstörtes und verbranntes Haus während des Krieges in der Ukraine.

© Sofiia - stock.adobe.com

Serhii Shcherbyna-- ist Assistenzarzt an der Innere Medizin III - Kardiologie und Kreislauferkrankungen am Deutsches Herzkompetenzzentrum Tübingen. Sieben Monate war er in der Ukraine, überwiegend im Donbass, um zu helfen

Serhii Shcherbyna-- ist Assistenzarzt an der Innere Medizin III - Kardiologie und Kreislauferkrankungen am Deutsches Herzkompetenzzentrum Tübingen. Sieben Monate war er in der Ukraine, überwiegend im Donbass, um zu helfen

© Shcherbyna

Herr Serhii Shcherbyna, vor einem Jahr haben Sie uns ein Interview gegeben. Damals waren Sie in die Ukraine gereist, um den Menschen dort zu helfen. Wie geht es Ihnen inzwischen?

Serhii Shcherbyna: Ich habe meinen siebenmonatigen Einsatz im Oktober 2022 beendet und bin zurück nach Deutschland gekommen. Inzwischen habe ich mich wieder an die alltäglichen Sachen gewöhnt – dass man jeden Tag frisches Brot vom Bäcker haben kann, dass zivile Flugzeuge im Himmel zu sehen sind, dass man keine Ausgangssperre hat und dass man in der Nacht draußen bleiben darf. Die Situation in der Ukraine beschäftigt mich trotzdem weiterhin. Es leben immer noch Menschen dort, die mir sehr wichtig sind, und ich versuche weiter, von hier den Menschen dort zu helfen.

Können Sie kurz berichten, wie sich Ihre Situation in den sieben Monaten verändert hat?

Ich war diese sieben Monate ohne richtiges Zuhause – ich lebte die gesamte Zeit in Unterkünften, die ich mit meinen Kameraden teilen musste. Ich habe mich daran gewöhnt, unter diesen Bedingungen zu leben und zu arbeiten. Nach der Rückkehr genieße ich wieder die Möglichkeit, einen persönlichen Raum zu haben.

Wie hat sich die gesundheitliche Versorgung der Menschen in der Ukraine durch den Krieg verändert, an was fehlt es, was brauchen die Menschen dort?

Es hat immer an allem, was man täglich braucht, gefehlt. Die Lieferketten wurden zerstört und die Menschen in den befreiten Gebieten hatten keinen Zugang zu den einfachsten Dingen: Insulin, Antihypertensiva, sogar Zahnpasta und Kinderwindeln waren nicht verfügbar.

Es hat immer an allem, was man täglich braucht, gefehlt.

Unser Team hat primär die Versorgung von den Verletzten übernommen, nebenbei aber haben wir auch Medikamente und medizinische Verbrauchsmaterialen an die zivile Bevölkerung ausgegeben. Manchmal kamen Hilfsgüter von den Hilfsorganisationen unsortiert zu uns. Darunter waren Dinge, die nicht für die notfallmedizinische Versorgung gebraucht wurden, die aber ganz wichtig für die vom Krieg betroffenen Menschen waren.

Das Team des Stabilisierungspunktes in der ukrainischen Stadt Liman (Donbass Region), wo Serhii Shcherbyna gearbeitet hat.

Das Team des Stabilisierungspunktes in der ukrainischen Stadt Liman (Donbass Region), wo Serhii Shcherbyna gearbeitet hat.

© Shcherbyna

Welche Aufgaben haben Sie in der Ukraine übernommen?

Unser Team hatte einen eigenen Rettungswagen mit entsprechender Ausrüstung für die Versorgung von Patienten und Patientinnen im kritischen Zustand. Wir waren an einem Stabilisierungspunkt stationiert, wo die Verletzten von den verschiedenen Frontabschnitten primär versorgt wurden. Nach der Primärversorgung wurden die intubierten Patienten von uns weiter transportiert.

Was haben Sie an Ihrem Leben in Deutschland vermisst?

Das ist eine schwierige Frage, ich glaube, in dieser Zeit habe ich erst verstanden, wie eng ich mit Deutschland verbunden bin – mein ganzes Leben in den letzten sieben Jahren habe ich hier ausgebaut, ich habe meine Freunde, meine Arbeit und meinen Alltag hier – an all das habe ich jeden Tag gedacht und es jeden Tag vermisst.

Das RTW-Team in Slovjansk (Donbass Region).

Das RTW-Team in Slovjansk (Donbass Region).

© Shcherbyna

Wie nehmen Sie die Stimmung in der Ukraine mittlerweile wahr?

In der gesamten Zeit habe ich die Situation so wahrgenommen, dass ich weiterarbeiten und helfen kann. Da ist eine Art Kraft, auf die ich keinen Einfluss habe. Ich weiß nur, wie ich die Menschen medizinisch versorgen kann und das habe ich gemacht. Ich glaube, wenn ich das ganze Schreckliche, was in der Ukraine passiert, zu nah an mich rangelassen hätte, könnte ich nicht mehr adäquat funktionieren.

Haben Sie Hoffnung, dass sich die Situation in der Ukraine bald verbessert?

Ich bin davon überzeugt, dass die Menschen dort sich vom Terror Russlands nicht schrecken lassen. Es ist ein Kampf für die Existenz der Nation und den werden wir gewinnen. Und ich hoffe, dass es möglichst bald passiert.

Vielen Dank für das Gespräch!