Nicht-ST-Hebungsinfarkt

NSTE-ACS: Wann ist der beste Zeitpunkt für die invasive Diagnostik?

NSTEMI-- Noch immer wird darüber diskutiert, zu welchem Zeitpunkt Patientinnen und Patienten mit einem NSTEMI optimalerweise eine invasive Koronarangiografie erhalten sollten. Die aktuelle Evidenz spricht für ein Vorgehen in Abhängigkeit des individuellen Risikos.

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Vorbereitungen für einen invasiven Eingriff sind nicht bei allen NSTEMI-Patienten sofort vonnöten.

Vorbereitungen für einen invasiven Eingriff sind nicht bei allen NSTEMI-Patienten sofort vonnöten.

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Bei Patientinnen und Patienten mit klinisch vermutetem akuten Koronarsyndrom ohne persistierende ST-Streckenhebung (NSTE-ACS) wird die Diagnose durch laborchemische und apparative Diagnostik erhärtet und das Risiko für kurz- und langfristige ischämische Komplikationen abgeschätzt. Vorrangig ist hier vor allem die Detektion eines akuten Myokardschadens/-nekrose. Dieser liegt vor, wenn im Blut vermehrt kardiales Troponin mit einem Anstieg über die Zeit nachweisbar ist. Hierfür sind zwei sequenzielle Blutentnahmen notwendig.

PD. Dr. Alexander JobsHerzzentrum Leipzig

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Prof. Holger Thiele Herzzentrum Leipzig

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Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) empfiehlt zur Bewertung der Troponin-Dynamik die Anwendung des sog. ESC-0/1-h-Algorithmus. Dabei handelt es sich um einen diagnostischen Algorithmus, der in Abhängigkeit vom absoluten Troponinwert bei Klinikaufnahme sowie dessen Änderung innerhalb einer Stunde anzeigt, ob ein Myokardinfarkt ausgeschlossen (negativ prädiktiver Wert > 99 %) oder wahrscheinlich ist (positiv prädiktiver Wert ca. 70–75 %). Für alle gängigen hochsensitiven Troponinassays gibt es hierfür in Studien validierte Grenzwerte.

Etwa 25 % der Patienten können durch den Algorithmus nicht sicher klassifiziert werden. Zeigt der Algorithmus eine hohe Wahrscheinlichkeit für das Vorhandensein eines Myokardinfarktes (NSTEMI) an, haben solche Patienten ein hohes Risiko, zu versterben (etwa 2,5 % nach 30 Tagen und 10 % nach 1 Jahr). Im Gegensatz dazu ist das Sterberisiko für Patienten, bei denen der Algorithmus einen NSTEMI ausschließt, sehr niedrig (etwa 0,1 % nach 30 Tagen und < 1 % nach 1 Jahr). Letztere können nach Berücksichtigung etwaiger Differenzialdiagnosen sicher aus der Notaufnahme bzw. der Chest Pain Unit entlassen und ggf. im Verlauf weiterführend ambulant abgeklärt werden.

Definition von Hochrisikopatienten

Der GRACE-Risiko-Score wurde zur Risikostratifizierung von Patienten mit akutem Koronarsyndrom (ACS) entwickelt. Basierend auf einer älteren Kohorte (1999 bis 2001) hat sich ein Grenzwert von > 140 Punkten als Indikator für ein hohes Risiko etabliert, da Patienten mit solchen Scorewerten ein über 3%iges Risiko hatten, im Krankenhaus zu versterben. In neueren Kohorten (2006 bis 2018) betrug die 30-Tage- bzw. 1-Jahres-Mortalität bei einem GRACE >140 etwa 2,5 % bzw. 13 %. Folgerichtig werden NSTE-ACS-Patienten, für die der 0/1-h-Algorithmus eine hohe Wahrscheinlichkeit für ein NSTEMI anzeigt oder die einen GRACE-Score > 140 haben, in den ESC-Leitlinien für die Behandlung des NSTE-ACS zu Hochrisikopatienten zusammengefasst. Basierend auf Expertenmeinung zählen auch Patienten mit dynamischer ST/T-Streckenänderung zu den Hochrisikopatienten.

Tab.: Zeitpunkt der invasiven Diagnostik in Abhängigkeit des Risikos

Tab.: Zeitpunkt der invasiven Diagnostik in Abhängigkeit des Risikos

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Frühe Koronarangiografie bei sehr hohem Risiko

In zahlreichen Studien wurde bereits versucht, den optimalen Zeitpunkt für eine invasive Koronarangiografie für stabile Patienten mit NSTE-ACS festzulegen. Eine „frühe Koronarangiografie“ war definiert als Eingriff, der innerhalb von 24 Stunden nach Krankenausaufnahme durchgeführt wurde, andernfalls wurde von „später Koronarangiografie“ gesprochen. Unter der Annahme, dass es infolge einer anhaltenden Ischämie zu einem zunehmenden Myokardschaden kommt und die Prognose dadurch sinkt, wurde davon ausgegangen, dass eine frühe Koronarangiografie bei Patienten mit akuten Brustbeschwerden von Vorteil ist.

Jedoch konnte weder in einer Einzelstudie noch in einer Metaanalyse für die Gesamtpopulation von NSTE-ACS-Patienten ein Überlebensvorteil durch eine frühe Koronarangiografie nachgewiesen werden. In den beiden größten Studien und einer methodisch aufwendigen Metaanalyse gab es aber einen Hinweis dafür, dass Hochrisikosubgruppen durch eine frühe Koronarangiografie einen Vorteil bzgl. eines kombinierten Endpunktes (u. a. Tod, Infarkt, refraktäre Ischämie) bzw. des Überlebens haben. In Zusammenschau mit den genannten Daten aus Diagnose- bzw. Registerstudien empfiehlt die ESC für die genannten Hochrisikopatienten eine frühe Koronarangiografie innerhalb von 24 Stunden nach Krankenhausaufnahme.

Selektive Strategie bei niedrigem Risiko

Für alle anderen Patienten mit per definitionem niedrigem Risiko wird eine sog. selektive Strategie empfohlen. Das bedeutet, dass eine Koronarangiografie erst dann durchgeführt werden sollte, wenn in der bildgebenden Diagnostik eine relevante koronare Herzerkrankung (Koronar-CT) oder Ischämie (z. B. kardiales Stress-MRT) nachgewiesen wurde. Patienten mit vermeintlich sehr hohem Risiko wurden in den Studien ausgeschlossen. Hierzu zählen Patienten mit u. a. hämodynamischer Instabilität, lebensbedrohlichen Rhythmusstörungen oder anhaltender bzw. wiederkehrender Angina. Für diese Patienten wird – ähnlich wie beim ST-Streckenhebungsinfarkt – in den Leitlinien eine umgehende Koronarangiografie innerhalb von zwei Stunden nach Klinikaufnahme empfohlen.

Zwei weitere Sonderfälle sind Patienten mit transienter ST-Streckenhebung und solche, die einen außerklinischen Herzstillstand überlebt haben. Eine transiente ST-Streckenhebung liegt definitionsgemäß vor, wenn sie weniger als 20 Minuten andauert: also wenn z. B. das Notarzt-EKG eine ST-Streckenhebung zeigt, bei den bei Krankenhausaufnahme beschwerdefreien Patienten im Aufnahme-EKG aber keine ST-Streckenhebung mehr erkennbar ist. Für diese Patienten konnte in der TRANSIENT-Studie kein Vorteil durch eine umgehende Koronarangiografie nachgewiesen werden, sodass die Leitlinie in diesen Fällen „lediglich“ eine frühe Koronarangiografie empfiehlt.

Nach dem Ergebnis der COACT- sowie der TOMAHAWK-Studie ist eine umgehende Koronarangiografie für Patienten mit überlebtem außerklinischem Herztod ohne ST-Streckenhebung sowie ohne kardiogenen Schock ebenfalls ohne Vorteil. Daher wird in diesen Fällen eine verzögerte selektive Koronarangiografie empfohlen. Die Stabilisierung und neurologische Erholung wird hier in den Vordergrund gestellt. Die Tabelle fasst die Empfehlungen zusammen.

Fazit

In Übereinstimmung mit Studiendaten empfehlen die Leitlinien ein risikoadaptiertes Timing der invasiven Koronarangiografie für Patientinnen und Patienten mit NSTE-ACS.

Literatur bei den Verfassern

Kontakt-- Prof Dr. med. habil. Holger Thiele, PD Dr. med. habil. Alexander Jobs, Herzzentrum Leipzig – Universität Leipzig, Klinik für Innere Medizin/Kardiologie,

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