Schlüsselrolle für Lipidrezeptor in der Atherosklerose aufgedeckt

Forschung-- Noch immer sind die Mechanismen, durch die Atherosklerose entsteht, nicht vollständig geklärt. Forscher haben jetzt eine Schlüsselrolle für den Lipidrezeptor GPR55 ausfindig gemacht – mit der Hoffnung, einen neuen Therapieansatz gefunden zu haben.

Von Prof. Sabine Steffens Veröffentlicht:
Bei der Plaquebildung werden auch Komponenten des Immunsystems aktiviert.

Bei der Plaquebildung werden auch Komponenten des Immunsystems aktiviert.

© Kateryna Kon / Science Photo Library

Atherosklerotische Komplikationen wie koronare Herzkrankheit und Schlaganfall sind trotz therapeutischer Fortschritte bei der Lipidsenkung nach wie vor die Hauptursache für Tod und Morbidität weltweit. Die hohe Morbidität und die medizinischen Kosten im Zusammenhang mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen nehmen mit der steigenden Lebenserwartung und der alternden Bevölkerung in unserer Gesellschaft weiter zu. Dies geht mit einer zunehmenden Prävalenz von lebensstilbedingten und umweltbedingten kardiovaskulären Risikofaktoren einher.

Die Verbesserung der Prävention und Therapie von Gefäßerkrankungen auf der Grundlage eines verfeinerten mechanistischen Verständnisses der Atherosklerose als der zugrunde liegenden Pathologie ist daher nach wie vor eine zentrale Frage in der biomedizinischen Forschung, um eine effizientere und zuverlässigere Identifizierung neuer Targets für die Entwicklung von Arzneimitteln zu erreichen.

Prof. Dr. rer. nat. Sabine Steffens, Ludwig-MaximiliansUniversität München

Prof. Dr. rer. nat. Sabine Steffens, Ludwig-MaximiliansUniversität München

© Steffens

Cannabinoid-Rezeptoren an Plaquebildung beteiligt

In diesem Kontext untersucht unsere Arbeitsgruppe im Rahmen des Münchener SFBs 1123 „Atherosklerose - Mechanismen und Netzwerke neuartiger therapeutischer Targets“ die entzündungsregulierende Rolle von körpereigenen Lipidbotenstoffen, die sog. Cannabinoid-Rezeptoren, und verwandte Rezeptoren aktivieren. Über den Lipidrezeptor GPR55 war bislang noch wenig im Zusammenhang mit chronischer atherosklerotischer Gefäßentzündung bekannt. Laut Transkriptomdatenbanken ist GPR55 insbesondere auf B-Zellen zu finden, die für die Antikörperproduktion verantwortlich sind. Dies konnten wir durch eigene Untersuchungen bestätigen. Zudem zeigte sich in instabilen Plaques (d. h. solche mit hohem Rupturrisiko) im Vergleich zu stabilen Plaques von Patienten der Munich Vascular-Biobank eine niedrigere Rezeptorexpression. Diese Proben konnten wir in Zusammenarbeit mit Lars Maegdefessel (TUM) im Rahmen des SFB 1123 untersuchen. Im Mausmodell fanden wir eine Hochregulierung des Rezeptors und seines Liganden im Frühstadium der Atherosklerose, was auf eine mögliche kausale Beteiligung von GPR55 in der Plaquebildung schließen ließ.

Durch Aktivierung des GPR55-Rezeptors wird die B-Zell-vermittelte Immunantwort gehemmt.

Was ist bislang über die Beteiligung der B-Zellen im Krankheitsverlauf der chronischen atherosklerotischen Entzündung bekannt? Atherosklerose weist Autoimmunkomponenten mit erhöhten Spiegeln zirkulierender Antikörper auf, die u. a. gegen Apolipoproteine und oxidierte Bestandteile von LDL gerichtet sind. Dies steht im Zusammenhang mit einer Aktivierung von B-Zellen und ihrer Differenzierung zu Antikörper-produzierenden Plasma-Zellen. Experimentelle Studien haben zudem gezeigt, dass die zirkulierenden Antikörper je nach Zielstruktur die Progression der Atherosklerose fördern oder hemmen können.

Tiere ohne den Rezeptor bildeten vermehrt Plaques

Um zunächst die grundsätzliche Frage zu klären, ob GPR55 im Entzündungsverlauf der Atherosklerose eine Rolle spielt, verwendeten wir Knockoutmäuse mit fehlendem GPR55-Rezeptor. Die Mäuse waren gleichzeitig Apolipoprotein-E-defizient, sodass sie bei fettreicher Diät binnen weniger Wochen atherosklerotische Plaques entwickelten. Tiere ohne GPR55-Rezeptor bildeten vermehrt Plaques im Vergleich zu den Kontrolltieren mit normaler GPR55-Expression. Zudem führte das Fehlen von GPR55 zu einer verstärkten systemischen Entzündungsreaktion mit unkontrollierter B-Zell-Aktivität und massiv erhöhten Antikörper-Spiegeln. Anhand von weiterführenden Untersuchungen mit Transkriptom-Sequenzierungen, hochauflösender Bildgebung und funktioneller in-vitro-Experimente konnten wir eine Schlüsselrolle von GPR55 in der Reifung, Aktivierung und Differenzierung von B-Zellen aufdecken. Zudem konnten wir mithilfe weiterer Mausmodelle nachweisen, dass das alleinige Fehlen des GPR55-Rezeptors in B-Zellen zu vermehrter Plaquebildung führte. Die Realisierung der komplexen Mausmodelle wurde durch die Expertise von Ingo Hilgendorf und Mitarbeitern in Freiburg ermöglicht. Die Lipidomics-Analysen wurden an der Uniklinik Mainz durchgeführt, und Kollegen in Genf halfen beim Nachweis der gegen oxidiertes LDL gerichteten Antikörper.

Zusammenfassend zeigen unsere Daten, dass die Aktivierung des GPR55-Rezeptors ein wichtiges hemmendes Signal darstellt, um die B-Zell-vermittelte humorale Immunantwort im Krankheitsverlauf der Atherosklerose einzudämmen und somit eine überschießende Reaktion zu verhindern. Eine spannende offene Frage ist, welche Rolle der GPR55-Rezeptor in T-Zellen spielt, die an der Aktivierung der B-Zellen beteiligt sind. Weiterhin ist die Rolle des endogenen Liganden in der Aktivierung von GPR55 genauer zu klären, und ob sich GPR55 als therapeutische Zielstruktur medikamentös spezifisch aktivieren ließe.

Fazit

Der Lipidrezeptor GPR55 war in experimentellen Untersuchungen im Frühstadium der Atherosklerose hochreguliert.

Diese und weitere Forschungsarbeiten deuten darauf hin, dass die Aktivierung des GPR55-Rezeptors ein wichtiges hemmendes Signal darstellt, um die B-Zell-vermittelte humorale Immunantwort im Verlauf der Atherosklerose einzudämmen.

Literatur-- Guillamat-Prats et al. Nat Cardiovasc Res. 2022; https://doi.org/10.1038/s44161-022-00155-0

Kontakt-- Prof. Dr. rer. nat. Sabine Steffens, Ludwig-Maximilians-Universität München,

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