Wenn Medikamente fehlen

Lieferengpässe-- Lieferengpässe und -abrisse in der Arzneimittelversorgung häufen sich. Zunächst ging es vor allem um Fiebersäfte, dann folgten Lücken bei Antibiotikasäften und Calciumfolinat in der Onkologie. Auch die Kardiologie ist betroffen.

Von Prof. Dr. Hans-Peter Lipp Veröffentlicht:
Leere Regale in Apotheken sind in Deutschland wegen der Lieferengpässe in der letzten Zeit häufiger anzutreffen.

Leere Regale in Apotheken sind in Deutschland wegen der Lieferengpässe in der letzten Zeit häufiger anzutreffen.

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Neu ist die Problematik von Lieferengpässen nicht, wenn man sich u. a. an den massiven Lieferausfall bei Valsartan-haltigen Formulierungen vor einigen Jahren erinnert. Man kann davon ausgehen, dass große deutsche Kliniken derzeit 200–300 Lieferengpässe und -ausfälle von Lagerartikeln bewältigen müssen. Etwa 10 % betreffen die Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Sehr kritisch wirkte sich z. B. der komplette Ausfall eines Herstellers von Nimodipin-haltigen Infusionsflaschen aus, nachdem die spezifikationskonforme Stabilität nicht erfüllt wurde. Da es sonst nur einen weiteren Hersteller dieses Produkts in Deutschland gibt, war dieser nicht in der Lage, mit seinen Vorräten die kurzfristig entstandenen Lücken zu schließen. Am Ende waren es Importe aus EU-Nachbarländern, die die Lage retten konnten.

Bei Aspirin-Ampullen sind Kontingentierungen wieder an der Tagesordnung, sodass immer wieder nur Teilmengen geliefert werden können. Zudem wird vom Hersteller empfohlen, wie in anderen Ländern bevorzugt orales Aspirin als Alternative einzusetzen. Bei Actilyse (Alteplase) zieht sich der Lieferengpass seit mehreren Monaten. Inzwischen wurden zur Überbrückung sogar Chargen mit latexhaltigen Gummistopfen wieder in den Verkehr gebracht. Die Formulierungen mit 2 mg, die zur Auflösung von katheterassoziierten Thrombosen verwendet werden, sind schon lange nicht mehr lieferbar. Darauf spezialisierte Krankenhausapotheken sind daher dazu übergegangen, diese aus anderen Stärken (z. B. 10 mg) unter streng aseptischen Bedingungen zu portionieren.

Die Lieferengpässe erstrecken sich auch auf Peroralia. So sind derzeit keine Molsidomin-haltigen Formulierungen verfügbar – ähnlich wie beim Minoxidil. Auch der wachsende Einsatz von Rosuvastatin führte vor allem bei der 5-mg-Dosis zu Lieferabrissen, und nicht alle 10-mg-Tabletten sind teilbar. Unretardiertes Nifedipin ist zwar kein essenzielles Produkt in der Kardiologie, jedoch ist es als Tokolytikum bedeutend. Hier können Apotheken durch Eigenherstellung mithilfe des Rohstoffs Nifedipin die Lücke schließen.

Die Hintergründe dieser Lieferengpässe sind sehr vielschichtig. Starke Abhängigkeiten von asiatischen Produktionsstätten, für Wirkstoffe wie für Fertigarzneimittel, und deren Lieferfähigkeit, deutlich reduzierte Vorratsmengen bei den Pharmaunternehmen, Verschlankungen des Sortiments nach Kosten und Ertrag, geringe Lukrativität von Rabattverträgen im Vergleich zur Vermarktung von hochpreisigen innovativen Produkten, sind wesentliche Gründe. Eine stärkere Verlagerung der Wirkstoff- und Arzneimittelherstellung nach Europa, planbarere Rentabilitäten bei der Herstellung von generischen Fertigarzneimitteln, aber auch das deutlichere Herausarbeiten von Produkten, z. B. Xipamid, das längere Zeit nicht lieferbar war, in ihrer klinischen Relevanz, können zu einer besseren Liefersicherheit beitragen, sodass eine ständige Medikamentenumstellung und die damit verbundene Verunsicherung von Patienten nicht mehr zum Alltag gehören.

Kontakt-- Prof. Dr. Hans-Peter Lipp ist Chefapotheker am Universitätsklinikum Tübingen.

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