Arterielle Blutdruckmessung und der Beitrag des Pferdes
Geschichte der Herzmedizin-- Heute ist klar, dass ein erhöhter arterieller Blutdruck auch zu einer deutlich erhöhten kardiovaskulären Morbidität und Mortalität beiträgt, und die Bedeutung der Prävention von arterieller Hypertonie ist inzwischen allgemein bekannt. Das war aber nicht immer so, wie die Historie zeigt.
Veröffentlicht:
Abb. 2-- Blutdruckmessgerät von Scipione Riva-Rocci (1896)
© S. Eckert, J. Hypertonie 2006 [2]
Die Messung des arteriellen Druckes gehört mittlerweile zur Routine bei der Untersuchung eines Patienten/einer Patientin und das Wissen um die Zusammenhänge von erhöhten Blutdruckwerten mit verschieden kardiovaskulären Erkrankungen ist mittlerweile weit verbreitet. Doch der Weg zu diesen Erkenntnissen war weit, es mussten über viele Jahre zahlreiche Schwierigkeiten überwunden werden. Im Folgenden soll in Grundzügen die Entwicklung der Blutdruckmessung aufgezeigt werden.
Tastbefunde bei verschiedenen Erkrankungen
Es mussten viele Beobachtungen durchlaufen werden, bis letztendlich eine reproduzierbare Blutdruckmessung beim Menschen möglich war.
Bis zur Erfindung des Stethoskops durch Laennec 1806 war die Palpation der Pulse eine der wichtigsten Untersuchungsmethoden des Patienten. Wie in der chinesischen Medizin wurde auch in Europa versucht, die Tastbefunde verschiedenen Krankheiten zuzuordnen. Zum Beispiel wurden in der Abhandlung von Henri Fouquet „Essai sur les pouls“ von 1818 die unterschiedlichen Pulsqualitäten bildlich dargestellt und daraus Rückschlüsse auf die Fehlfunktion von Organen gezogen.

Abb. 1-- Arterielle Blutdruckmessung beim Pferd durch Stephen Hales (1677–1762).
© Science Photo Library
In den folgenden Jahren wurde versucht, diese rein deskriptiven Befunde durch Sphygmografen (Sphygmo = dem Puls zugehörig) semiquantitativ festzuhalten. Ein Beispiel dafür ist der Sphygmograf von Etienne J. Marey (1860), bei dem die Stärke des Pulses mithilfe eines Abnehmers über der Arteria radialis auf ein geschwärztes sich fortbewegendes Papier übertragen wurde. Damit konnten gut die Stärke und die Frequenz der Pulsationen erfasst werden. Rückschlüsse auf den Blutdruck der Arterie waren jedoch nicht möglich.
Pferd als frühes Versuchskaninchen eines Geistlichen
Die erste Messung des Blutdruckes wurde erst Anfang des 18. Jahrhunderts durchgeführt: an einem Pferd und nicht am Menschen und nicht von einem Mediziner, sondern von einem Geistlichen. Stephen Hales (1677–1762) war neben seiner Tätigkeit als Diakon in Teddington (England) ein engagierter Forscher, der z. B. die Physiologie der Pflanzen und Tiere untersuchte und mit zukunftsträchtigen Erfindungen wie z. B. Entsalzung von Meerwasser auf sich aufmerksam machte.
Er führte die erste blutige Messung des Blutdruckes bei einem Pferd durch, in dem er eine 9 Feet (= 270 cm) hohe, gläserne Röhre in eine große Arterie eines Pferdes einführte und von der Höhe der Blutsäule im Rohr Rückschlüsse auf den Blutdruck zog . Die Blutsäule stieg auf 8 Feet und 3 Zoll, was einem Blutdruck von 184 mmHg entspricht. Mit dieser Methode maß er auch den venösen Druck in der Vena jugularis, der 1/10 des arteriellen Druckes ausmachte (Abb. 1).
Erfindung der Quecksilbersäule im 19. Jahrhundert
Es war offensichtlich, dass man so beim Menschen den Blutdruck nicht messen kann. Im 19. Jahrhundert wurde nun fieberhaft nach einer Methode gesucht, den Blutdruck nicht invasiv, einfach und reproduzierbar zu messen. Es wurde eine Vielzahl von „Sphygmometern“ entwickelt.

Abb. 3a-- Transportables historisches Manometer
© jonnysek/stock.adobe.com

Abb. 3b-- Historischer Blutdruckmesser
© Ruddi/stock.adobe.com

Abb. 3c-- Oszillometer (1910)
© Science Photo Library / Science Photo Library
Mit z. B. dem Gerät von Jules Hérisson (Frankreich, 1834) wurde eine Membran mit einem darauf befestigten Glasrohr, das mit Quecksilber gefüllt war, über der Arteria radialis platziert. Der Druck, der zum Verschluss des Pulses notwendig war und der dem systolischen Blutdruck entsprach, wurde in Millimetern auf der Quecksilbersäule (mmHg) angegeben. Aus diesem historischen Grund wird bis heute der Blutdruck in dieser Einheit mmHg und nicht wie sonst für Druck üblich in Bar oder Pascal angegeben. Die Geräte waren damals aber zu umständlich zu bedienen und erbrachten keine verlässlichen Messungen. Der Durchbruch kam erst, als nach Entdeckung der Vulkanisierung des Kautschuks, aufblasbare Reifen z. B. 1887 durch den Tierarzt J. Dunlop in Dublin hergestellt werden konnten.
Reproduzierbare Messungen per Fahrradschlauch
Der Turiner Arzt Scipicone Riva-Rocci (1896) machte sich diese Erfindung zu eigen und nahm als Manschette zur Kompression der Arteria brachialis einen aufblasbaren Fahrradschlauch zur Hilfe, der mit einem Quecksilbermanometer verbunden war. So konnte der Druck in mmHg, der zum Verschwinden der Pulsation der Arteria radialis notwendig war, leicht und reproduzierbar gemessen werden. Die heutzutage noch übliche Abkürzung „RR“ für den Blutdruck leitet sich von der Erfindung des Italieners ab (Abb. 2, s. oben).
Entdeckung des diastolischen Blutdrucks
Mit dieser Methode war es jedoch nur möglich, den systolischen Blutdruck palpatorisch zu bestimmen. Die Messung des diastolischen Blutdruckes ist der Beobachtung des russischen Militärarztes Nikolai Sergejev Korotkoff (1874–1920) zu verdanken. Er bemerkte, dass bei der Öffnung einer Ligatur einer verletzten Arterie mit dem Stethoskop fünf verschiedene Geräusche zu hören waren. Und er fand heraus, dass das Verschwinden der Geräusche bei Eröffnung der Arterie dem diastolischen Druck entsprach. Mit dieser Erfahrung aus dem Jahr 1905 war es möglich, einfach und reproduzierbar sowie nicht invasiv den systolischen und diastolischen Blutdruck zu messen, durch die Kombination von:
Kompression der Arteria brachialis mit der Manschette nach Riva-Rocci (1896),
Auskultation der von Korotkoff beschriebenen Geräuschphänomene (1905) und
mit dem von Laennec entwickelten Stethoskop (1806).
Pathologische Rolle des Blutdrucks erst spät erkannt
Erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts gehört die Blutdruckmessung zu einer Routineuntersuchung von Patientinnen und Patienten. Und in dieser Zeit konnten dann (mit sich weiterentwickelnden Geräten; Abb. 3A, B, C) Erfahrungen über das Verhalten des Blutdruckes bei gesunden und kranken Menschen gesammelt werden.
Es sollte aber noch bis in die 1960er-Jahre dauern, bis die Gefahr eines erhöhten Blutdruckes hinsichtlich kardiovaskulärer Morbidität und Mortalität erkannt wurde.
Literatur-- 1. Kardiologie: eine Medizin- und Kulturgeschichte, Band 1 und 2; Martin Riedel, Michael Imhof Verlag, 2020, ISBN: 978-3-7319-0890-6
2. Eckert S. J Hypertonie. 2006;10(3):7-13
Kontakt-- Prof. Dr. med. Jochen Weil, Deutsches Herzzentrum München,