Eckpunktepapier zur Krankenhausreform

Kompromiss oder Mogelpackung?-- Die geplante Krankenhausreform stieß bei den Ländern auf Kritik. Karl Lauterbach hat nun in einem Eckpunktepapier Zugeständnisse gemacht. Die Reaktionen darauf sind gespalten, gleichen sie doch eher einer Mogelpackung.

Von PD Dr. Michael Weber Veröffentlicht:
Die Krankenhausreform von Karl Lauterbach zieht Kritik nach sich.

Die Krankenhausreform von Karl Lauterbach zieht Kritik nach sich.

© Kostas Koufogiorgos / dieKLEINERT / picture alliance

In einem elfseitigen Eckpunktepapier vom 19. Mai, aktualisiert am 31. Mai 2023, geht Gesundheitsminister Karl Lauterbach mit erheblichen Zugeständnissen auf die Länder zu. Ausgangspunkt für das Reformvorhaben sind jetzt die Vorarbeiten aus Nordrhein-Westfalen. Den Ländern wird nun explizit bescheinigt, dass die Zuständigkeit für die Krankenhausplanung ausschließlich bei ihnen verbleibe. Kliniken sollen aber weiter in drei Level mit zwei Untergruppen eingeteilt werden. 64 Leistungsgruppen (nach NRW-Vorbild erweitert um drei weitere) definieren Schwerpunkte, nach denen sich Vorhalte-Budgets orientieren.

Inwieweit das Gutachten von Prof. Ferdinand Wollenschläger im Auftrag der drei Gesundheitsminister der CDU/CSU regierten Länder Bayern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein vom 20. April 2023 zu dieser Einsicht über die bestehenden verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen geführt hat, bleibt offen. Wollenschläger hat inzwischen in einer Ergänzung auch die neuen Vorschläge des jetzigen Eckpunktepapiers weiterhin als nicht verfassungskonform eingestuft.

Zentrale Ziele

Die zentralen Ziele der Reform werden im Eckpunktepapier wie folgt skizziert:

Gewährleistung von Versorgungsqualität trotz Fachkräftemangel,

Sicherung der Behandlungsqualität und

Entbürokratisierung.

Das Vorhaben steht unter dem generellen Vorbehalt einer finalen Gesamteinigung und einer finanziellen Ausstattung durch Bund und Länder. Die Reform betrifft Vertragskrankenhäuser, die gemäß § 109 SGB V zur Krankenhausbehandlung der GKV-Versicherten zugelassen sind und Fachkliniken, die sich auf bestimmte Erkrankungen spezialisiert haben und in relevantem Umfang zu deren Behandlung beitragen. Die noch zuletzt in den Entwürfen enthaltene willkürliche Festlegung dieses Umfangs auf mehr als die 75. Perzentile des bundesweiten, den Unterschieden der Länder in keiner Weise gerecht werdenden Leistungsvolumens fehlt in der aktuellen Version. Man darf gespannt sein, wann sie wieder auftaucht. Bundeswehr- und BG-Krankenhäusern kommt eine Sonderrolle zu.

Vorhaltefinanzierung

Durch die Einrichtung einer Vorhaltefinanzierung soll die Bereitstellung von Strukturen in Krankenhäusern weitgehend unabhängig von der Leistungserbringung zu einem relevanten Anteil gesichert werden. Sie führt aber nicht zu einer Erhöhung des Erlösvolumens, die Mittel sollen aus einer Absenkung der aDRG gewonnen werden, d. h. die Unterfinanzierung besteht fort. Es sei denn, man schließt so viele Kliniken, bis das Geld wieder reicht. In welchem Umfang es dann umverteilt wird, wird nicht beschrieben, den Unikliniken und Maximalversorgern aber viel versprochen. Die Kalkulation der Vorhaltekosten erfolgt auf Basis der Mindestmerkmale der Leistungsgruppen, vorübergehend aber normativ. Auf Dauer plant man mit Vorhaltebewertungsrelationen. Die Ermittlung des Vorhaltebudgets erfolgt zunächst budgetneutral aus Fallzahlen, später auf Basis der Leistungsgruppen unabhängig von der Fallzahl. Voraussetzung ist eine Verknüpfung aller Fälle zu Leistungsgruppen. Eine mehrjährige Konvergenzphase ist geplant.

Verschiedene Leistungsgruppen

64 Leistungsgruppen, entsprechend dem NRW-Modell, sollen als Instrument einer leistungsdifferenzierten Krankenhausplanung dienen. Bundeseinheitliche Qualitätskriterien, die nicht näher spezifiziert sind und wohl Mindeststrukturvorgaben meinen, charakterisieren die Behandlungsbereiche. Leistungen müssen ihnen eindeutig zugeordnet werden. Davon unberührt besteht die Möglichkeit der Länder, in der Fläche eine bedarfsnotwendige stationäre Versorgung sicherzustellen. Metropolregionen sind nicht beschrieben. Eine Weiterentwicklung soll über InEK, BfArM und AWMF erfolgen. Die Länder weisen die vorgegebenen Leistungsgruppen den Kliniken zu, der MD prüft.

Level werden bundeseinheitlich definiert. Maßgeblich sind zum einen die derzeit geltenden Regelungen des G-BA zu einem gestuften System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern gemäß § 136c Absatz 4 SGB V (Notfallstufenkonzept) und zum anderen das Maß, in dem Kliniken Leistungsgruppen zugewiesen sind, deren Qualitätskriterien sie erfüllen. Die letzten zwei Halbsätze haben es in sich. Damit hat das Ministerium wohl die ursprüngliche Absicht aufgegeben, dass Level bestimmen, welche Leistungsgruppen erbracht werden dürfen. Grundvoraussetzung bleibt aber die Erreichung mindestens von Level I. Es scheinen also jetzt die Leistungsgruppen die Level zu definieren und nicht mehr die Level die Leistungsgruppen. Diese Änderung wurde schon in der Ankündigung zur ersten Folgenabschätzung im Basispapier des BMG Anfang Mai angekündigt. Dies hat in der aktuellen Auswertung der Oberender AG und des Unternehmens Bindoc zu folgendem Ergebnis geführt: Von 1.719 Standorten fallen 136 Kliniken in Level III (höchste Versorgungsstufe), 472 Kliniken in Level II, 422 Kliniken in Level In, 689 Kliniken in die Gruppe Level Ii und Fachkliniken, die derzeit noch nicht zu trennen sind. Neu ist, dass Level der Transparenz der Leistungsfähigkeit der jeweiligen Klinik dienen sollen, obwohl die viel zitierten Qualitätskriterien Mindestmerkmale sind und nichts mit Ergebnisqualität zu tun haben.

Level Ii: Dieser schon zuvor in seiner Bedeutung und Funktionalität umstrittene Level Ii wird jetzt neu als Lösung eines sektorenübergreifenden Konzeptes angepriesen. Er soll der wesentliche Bestandteil der interdisziplinären Grundversorgung werden, jetzt aber doch unter ärztlicher Leitung! Wohnortnah wäre er dann zuständig für ambulant fachärztliche und medizinisch pflegerische Leistung sowie wesentlicher Bestandteil der ärztlichen und pflegerischen Aus- und Weiterbildung. Wichtiger Schwerpunkt sollen auch AOP-Leistungen nach § 115b SGB V und § 115f SGB V sowie belegärztliche Leistungen sein. Sollen jetzt alle Qualitätsvorgaben vor allem für komplexere Leistungen nach § 115f SGB V über Bord geworfen werden? Die sind in diesen Standorten kaum zu erfüllen, es wird maximal schwierig werden, hierfür ärztliches Personal in welcher Funktion auch immer zu gewinnen. Eine nennenswerte ärztliche Weiterbildung in solchen Häusern ist kaum realisierbar. Vieles klingt nach Wunschdenken, damit weiter Krankenhaus draufstehen kann.

Reaktionen und Analysen

Krankenhausgesellschaften kritisieren mit Recht, dass es zwar ein klares Bekenntnis zur Planungshoheit der Länder gibt. Die Ausführungen räumen ihnen z. B. bei den Leveln und Leistungsgruppen aber nur ein Mitspracherecht ein, da diese in Zukunft von InEK, BfArM und AWMF vorgegeben werden sollen. Die Länder können also nur vorgegebene Leistungsgruppen umsetzen. Das gefährdet gewachsene Versorgungsstrukturen. Aber die Fundamentalisten in der Regierungskommission berührt das wenig: Kompromissbereitschaft eher Fehlanzeige. Die Verknüpfung von Level und Leistungsgruppen ist für sie ein wichtiger Hebel zur Konzentration der Krankenhauskapazitäten. Weiterbildungsaspekte und ein dringend erforderlicher Bürokratieabbau tauchen nur als Worthülsen auf.

Ist dann NRW, wo die Umsetzung der dortigen Reform bereits begonnen hat, die geeignete Blaupause? Die Empfehlung zu Mindestmerkmalen und Leistungsgruppen ist dort mit allen Playern gut abgestimmt worden, Level gibt es nicht. Aber in der Umsetzung knirscht es. Die Kassen sitzen in einer Schlüsselposition im Kampf um zukünftige Leistungsmengen und Standorte und nutzen das zum Teil aus. Ungefähr 50/50 steht die Quote über Einigung oder Dissens zwischen Kliniken und Krankenkassen. Ob die Bezirksregierungen die ihnen in diesem Prozess vorgesehene Rolle der Moderation leisten können, ist zweifelhaft. NRW war nicht der Lösungsansatz von Bayern, Brandenburg und Niedersachsen. Es entsteht der Eindruck, dass Minister Karl-Josef Laumann gerne allem zustimmt, wenn NRW draufsteht.

Entökonomisierung taucht im Eckpunktepapier plötzlich nicht mehr auf, die Vorhaltefinanzierung sollte aber dazu im Wesentlichen beitragen. Qualitätsverbesserung und Abbau des Personalmangels durch Zentralisierung sind weitere Argumente. Die Reform soll jetzt ein unkontrolliertes Krankenhaussterben verhindern. Dazu ist sie aber nicht geeignet. Sie führt nur zu Einsparungen, wenn eine nennenswerte Zahl an Kliniken geschlossen wird. Die akute Finanznot vieler Kliniken behebt sie nicht. Die Verunsicherung ist bereits jetzt überall zu spüren. Strategische Entscheidungen werden vertagt, Vertragsverhandlungen abgebrochen, Banken fordern horrende Zinsen. Kliniken stehen finanziell mit dem Rücken zur Wand, die aktuell skizzierte Reform bietet da keine Lösung. Auch die erhoffte Personalumverteilung, insbesondere im Pflegebereich, wird nach bisheriger Erfahrung unzureichend stattfinden.

Den Ländern erschien im Kamingespräch am 23. Mai 2023 wohl vieles noch zu vage und die Gefahr, dass ihnen von Berlin eine bundeseinheitliche Schablone übergestülpt wird, weiterhin zu groß. Jetzt verkündet Lauterbach, man habe sich bei Leistungsgruppen verständigt, bei den Leveln bleibt der Dissens. Ein Schulterschluss mit vielen Ländern scheint möglich, für Euphorie ist aber kein Anlass. Wichtige Details sind immer noch unklar. Eine grundlegende Überarbeitung bleibt eine zwingende Voraussetzung für eine Einigung und dazu müssen auch die Fundamentalisten in der Regierungskommission bereit sein. Der Zeitplan ist ehrgeizig, der Referentenentwurf des BMG soll jetzt bis Mitte September vorliegen.

Kontakt-- PD Dr. Michael Weber, Präsident Verband leitender Krankenhausärztinnen und -ärzte (VLK)

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