Herzinsuffizienz: 2.500 Jahre Forschung

Medizingeschichte-- Eine aktuelle Definition der Herzinsuffizienz lautet: Bei der Herzinsuffizienz handelt es sich um ein klinisches Syndrom, das durch Kardinalsymptome gezeichnet ist, die von klinischen Untersuchungsbefunden begleitet sein können. Diese sind laut ESC Pocket-Leitlinie 2021 auf „kardiale Strukturdefekte und/oder Funktionsstörungen zurückzuführen…“

Von Prof. Jochen Weil Veröffentlicht:
Abb. 1-- Patient mit kardialer Kachexie, J.I. Alibert, Paris 1817

Abb. 1-- Patient mit kardialer Kachexie, J.I. Alibert, Paris 1817

© aus M. Riedel, Kardiologie: Eine Medizin- und Kulturgeschichte

Bis zu dieser Definition war es ein langer Weg. Vor der Entdeckung des Herzkreislaufsystems durch William Harvey im 17. Jh. gab es keine Einsicht in die Pathogenese des Herzversagens, nur eine Beschreibung von Symptomen und Spekulationen über die Ursache der Erkrankung. So nahm der berühmte griechische Arzt Galen (129–199 n. Chr.) als Genese der Herzinsuffizienz ein „humorales Ungleichgewicht mit Überschuss an Schleim“ an.

Auch rankte sich ein Mythos ums Herz, der bis ins 19. Jh. eine wissenschaftliche Erforschung behinderte. So schrieb Hippokrates (460–376 v. Chr.): „Das Herz kann nicht erkranken“ und der Chirurg Theodor Billroth (1829–1884): „Ein Chirurg, der versuchte, eine Wunde des Herzens zu nähen, verlöre die Achtung seiner Kollegen.“

Erst die Entdeckung des Herzkreislaufsystems durch William Harvey (1578-1657) schuf die Voraussetzung, die Symptome einer Herzinsuffizienz durch die Pathologie des Herzens zu erklären. In seiner Veröffentlichung „Anatomica de motu cordis“ von 1628 beschrieb er das Herzkreislaufsystem mit einem pulmonalen und systemischen Anteil mit dem Herz als Pumpe, „auf das Blut sich bewege als sei es in einem Kreise“.

Die Symptome und Befunde einer Herzinsuffizienz wie Orthopnoe, Müdigkeit, Beinödeme oder Aszites waren seit langem bekannt (Abb. 1). Die ersten wissenschaftlichen Untersuchungen betrafen die Korrelation von Symptomen der Herzinsuffizienz mit Befunden der Autopsie.

Nicolas Corvisart (Paris, 1755– 1821), Leibarzt von Napoleon, entdeckte, dass die Symptome eines Herzversagens mit einer aktiven (Hypertrophie) und einer passiven (Dilatation) Bildung eines „Aneurysmas“ einhergehen (Abb. 2). William Osler (Baltimore, Oxford, 1849–1919) erkannte den kompensatorischen Charakter der Herzhypertrophie. Er unterschied drei Phasen der Hypertrophie: Die 1. Phase der Adaptation (Entwicklungsphase) gefolgt von der 2. Phase der vollen Kompensation um in der 3. Phase der Dekompensation mit Degeneration, Dilatation und Tod zu enden. Er erkannte, dass die Hypertrophie den „Keim der Insuffizienz“ in sich trägt. Heute wird diese Veränderung als „Remodelling des Herzens“ bezeichnet.

Abb. 2-- „Aneurysma“ (Dilatation) des linken Ventrikels; Wachsabdruck, Corvisart 1799

Abb. 2-- „Aneurysma“ (Dilatation) des linken Ventrikels; Wachsabdruck, Corvisart 1799

© aus M. Riedel, Kardiologie: Eine Medizin- und Kulturgeschichte

James Hope (Edinburgh, 1801– 1841) entwickelte ein erstes einheitliches Konzept zur Erklärung der Atemnot, das sogenannte „Kardiale Asthma“, durch Rückstau des Blutes in die Lunge durch Läsionen des linken Herzens. Der Begriff des Rückwärtsversagens wurde geprägt. Demgegenüber stellte James Mackenzie (UK, 1853–1925) seine Theorie des Vorwärtsversagen auf, in der die Herzinsuffizienz durch das Pumpversagen, die „Unfähigkeit des Herzens adäquat seinen Inhalt auszuwerfen“ hervorgerufen wird. Diese Theorie des Pumpversagens wurde durch die mikroskopischen Untersuchungen des Myokards durch Rudolf Virchow (Berlin, 1821–1902) unterstützt, der bei diesen Patienten eine „chronische Myokarditis“ fand. Der Ursprung dieser myokardialen Schädigung war wohl eine ischämische Kardiomyopathie.

Physiologische Studien zur Erforschung der Herzinsuffizienz führten z. B. zum Frank-Starling-Gesetz. Otto Frank (München, 1865–1944) und Ernest Henry Starling (London, 1866–1927) fanden unabhängig voneinander, dass eine sequenzielle Vergrößerung des enddiastolischen LV-Volumens über eine vermehrte Dehnung der Herzmuskel-Fasern zu einem steigendem Schlagvolumen führte. Ab einem bestimmten diastolischen Volumen kam es jedoch zur Überdehnung des Ventrikels mit Abfall des Schlagvolumens. Dieser Schlagvolumenabfall bei einem überdehnten Ventrikel wurde als wichtige Ursache des Herzversagens angesehen.

Trotz der vielen neuen Erkenntnisse zur Ursache der Herzinsuffizienz gab es bis zu Anfang des 20. Jahrhunderts keine Fortschritte in der Therapie. Die Therapie von Ödemen bestand seit dem Altertum in Schwitzen, verminderte Flüssigkeitszufuhr, Abführen und Punktionen. Großer Beliebtheit erfreuten sich seit dem Altertum Bädertherapien zur Behandlung des schwachen Herzens. Im 18. und 19. Jahrhundert wurden viele bekannte Bäder, wie z. B. Marienbad frequentiert. In Bad Nauheim wurden im Jahr 1908 mehr als 30.000 Menschen/ Jahr behandelt.

Medikamentös gab es seit Einführung des Digitalis durch William Withering im Jahr 1784 keinen weiteren Fortschritt. Es wurden „Herztabletten“ entwickelt, die aus einer Mischung aus Heroin, Kokain oder Morphin bestanden und so viel Unheil anrichteten, dass die USA im Jahr 1909 mit dem Pure Food and Drug Act diesem Missbrauch Einhalt gebot.

Der Durchbruch der medikamentösen Therapie kam erst viel später. Mitte des 20. Jahrhunderts wurde das neuroendokrine Systems mit Aktivierung des Sympathikus und des Renin-Angiotensin-Aldosteron Systems entdeckt. Erst diese Entdeckungen führten zur Entwicklung von spezifisch wirksamen Medikamenten der Herzinsuffizienz.

Kontakt-- Prof. Jochen Weil, Deutsches Herzzentrum München, weil@dhm.mhn.de

Literatur-- Martin Riedel, Kardiologie: Eine Medizin- und Kulturgeschichte, 2020, Bd. 1 und 2, ISBN: 978-3-7319-0890-6

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