Iran – wenn medizinische Hilfe zum Verhängnis wird
The revolution goes on-- Trotz massiver Einschüchterungsversuche durch das iranische Regime versuchen Ärztinnen und Ärzte, ihrem Beruf nachzugehen – sogar mit dem Wissen um eine mögliche Inhaftierung, Folter oder Ermordung als Folge.
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Straßenszene am Tag nach der Ankündigung von Raisi, die Kleiderordnung verschärft durchzusetzen – 1 Monat vor dem Jahrestag des Todes von Mahsa Amini.
© ABEDIN TAHERKENAREH/EPA/picture alliance
Ein Anruf erreicht die Familie der 36-jährigen Ärztin Aida Rostami, die seit einem Tag vermisst wird. Sie verschwand auf dem Nachhauseweg von der Klinik in Teheran. Bei dem Anruf werden die Eltern aufgefordert, die Leiche ihrer schwer misshandelten Tochter abzuholen.
Der 16.9.2022 markiert den Todestag der 22-jährigen Jina Mahsa Amini, die an einer Hirnblutung als Folge von Gewalteinwirkung durch die Sittenpolizei verstarb. Ihr wurde vorgeworfen, die Kopftuchpflicht verletzt zu haben. Der Vorfall löste eine nationale Revolutionsbewegung aus, die international Aufsehen erregte und weltweit Unterstützung durch die iranische Diaspora aber auch der restlichen Zivilbevölkerung erfuhr.
Seitdem sind über 500 Menschen durch das Regime getötet worden, mindestens 20.000 Personen befinden sich weiterhin in Gefangenschaft und mindestens vier Personen wurden hingerichtet. Aktuell sind mindestens 110 Personen durch die Todesstrafe bedroht. Alle 5–6 Stunden wird eine Person im Iran hingerichtet (in 2023 bisher 282 Hinrichtungen).

Proteste anlässlich der Vergiftungen der Schülerinnen.
© Allison Bailey/picture alliance/NurPhoto
Berichterstattung des letzten Jahres
Folgende Ereignisse sind durch westliche Medien im letzten Jahr aufgegriffen worden: Landesweite Giftgasangriffe auf Schulmädchen; zahlreiche Erblindungen durch gezielt auf Augen der Demonstrierenden gerichtete Geschosse; direkte Entführungen der Verletzten aus den Krankenhäusern; Massenvergewaltigungen in den Gefängnissen; unzählige Todesfälle durch systematische Folterung; Abhörung und Überwachung als Einschüchterungsmethode unter Nutzung von Videokameras (u. a. der Firma Bosch) mit modernsten Gesichtserkennungssystemen (die laut Bosch bei ihren Kameras nicht vorinstalliert gewesen sein sollen), anhand dieser Frauen ohne Kopftuch in der Öffentlichkeit identifiziert werden.
Medizinische Versorgung behindert
Die Handlanger des iranischen Regimes sind auch im Ausland vertreten, sie identifizieren und bedrohen die Aktivisten und Aktivistinnen sowie deren Familien. Auch Menschen aus Heilberufen werden im Iran unter Druck gesetzt, medizinische Befunde zu fälschen. Ihnen wird verwehrt, die verletzten Demonstrierenden und die vergifteten Schulmädchen medizinisch zu versorgen. Dem widersetzten sich einige unserer medizinischen Kolleginnen und Kollegen, wie z. B. Aida Rostami. Sie zahlte hierfür mit ihrem Leben, nachdem sie heimlich Patienten und Patientinnen zu Hause versorgte, daraufhin vom Regime entführt und getötet wurde. Der radiologische Kollege Dr. Ghare-Hassanlou, der im Rahmen der Demonstrationen verschleppt und gefoltert wurde, befindet sich weiterhin im Gefängnis und wurde zum Tode verurteilt. Unter anderem dank der medialen Aufmerksamkeit wurde seine Hinrichtung vertagt.

Zwei junge Iranerinnen Ende Juli 2023 in Isfahan.
© Morteza Nikoubazl/NurPhoto/picture alliance
Politische Beziehungen zum Iran
Trotz der massiven Menschenrechtsverletzungen wurden wesentliche wirtschaftliche und politische Beziehungen zwischen dem Iran und den westlichen Ländern nicht gekappt. Iran ist zudem weiterhin in etlichen UN-Gremien vertreten und die Revolutionsgarde IRGC ist immer noch nicht auf der EU-Terrorliste. Insbesondere Deutschland trägt als europaweit größter Handelspartner des iranischen Regimes eine besondere Verantwortung.
Im März reiste der Richter Hossein Ali-Naeiri, der in den 1980er-Jahren Massenhinrichtungen politischer Gefangener verantworte, über Italien problemlos nach Hannover, um sich dort in der Privatklinik INI (International Neuroscience Hannover) vermutlich vom bekannten Neurochirurgen Prof. Samii behandeln zu lassen. Der Fall wird von der Justiz und vom niedersächsischen Landtag geprüft. Während regimenahe Personen hierzulande behandelt werden, setzen Vereine wie ParsiMed – eine demokratische Vereinigung von Iranerinnen und Iranern in Heilberufen in Deutschland – auf humanitäre Hilfe und medizinische Beratung für die Zivilbevölkerung im Iran.
Der Weg ist noch lang
Die Berichterstattung hat weiterhin einen entscheidenden Stellenwert für den Verlauf der Revolutionsbewegung. Nur so können Hinrichtungen, wie die der deutsch-iranischen Menschen Jamshid Sharmahd und Nahid Taghavi, möglicherweise verhindert werden. Bereits frühere Revolutionsbewegungen zeigten, dass der Weg zur Demokratie steinig ist, jedoch früher oder später durch gemeinsame Bestrebungen erreicht wird.
Hinweis-- Die iranischstämmige Ko-Autorin ist Kardiologin in Süddeutschland und möchte aus Sicherheitsgründen und wegen der aktuellen Spionagefälle anonym bleiben.