Raus aus dem Arztberuf?

Ergebnisse des MB-Monitors-- Häufige und teilweise nicht vergütete Überstunden, ausufernde Bürokratie, schlechte IT-Ausstattung: Viele Ärztinnen und Ärzte beklagen bei einer Befragung des Marburger Bundes eine fatale Arbeitssituation. Wegen der hohen Belastung denkt jeder Vierte daran, den Beruf aufzugeben.

Von Benjamin Lassiwe Veröffentlicht:
Ein Drittel der befragten Mediziner gibt bis zu 4 Stunden tägliche Bürokratiearbeit an.

Ein Drittel der befragten Mediziner gibt bis zu 4 Stunden tägliche Bürokratiearbeit an.

© BSIP RF / Collanges / mauritius images

Demnach leiden die Mediziner vor allem unter steigender Arbeitsbelastung und unzureichender Personalausstattung. So liege die tatsächliche Wochenarbeitszeit der Mediziner inklusive aller Dienste und Überstunden im Mittel bei deutlich über 50 Stunden. „Das Arbeitszeitgesetz setzt eigentlich die Grenze bei 48 Stunden“, sagte die Marburger Bund(MB)-Bundesvorsitzende Dr. Susanne Johna.

An der Online-Befragung durch das Institut für Qualitätsmessung und Evaluation (IQME) beteiligten sich in der Zeit vom 20. Mai bis 19. Juni 2022 bundesweit 8.464 angestellte Ärztinnen und Ärzte aus allen Bereichen des Gesundheitswesens. Knapp 90 Prozent der Befragten arbeiten in Akutkrankenhäusern und Reha-Kliniken.

Ein Fünftel der Befragten hat sogar eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 60 Stunden und mehr. Gleichzeitig wünschten sich 92 Prozent der befragten Ärztinnen und Ärzte aber eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von maximal 48 Stunden. „Wir ermuntern unsere Mitglieder, Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz zu melden“, sagte MB-Hauptgeschäftsführer Armin Ehl. Dazu beschäftige die Gewerkschaft flächendeckend mehr als 50 Arbeitsrechtler.

Im Schnitt 6,2 Überstundenpro Woche

Ein Problem stellen auch die Überstunden dar: Angestellte Ärztinnen und Ärzteleisten im Schnitt rund 6,2 Überstunden pro Woche. 19 Prozent der Befragten leistenwöchentlich sogar 10 bis 19 Überstunden.

„Das ist pro Woche eine extreme Zahl“, sagte Johna. „Dass das auf Dauer schwer zu schaffen ist, leuchtet wohl ein.“

Ein Problem sei auch, dass bei einem Viertel der Ärzte die Überstunden weder vergütet noch als Freizeit ausgeglichen werden. „Pro Jahr werden in Deutschland 21 Millionen Überstunden ärztlich geleistet und in keiner Form ausgeglichen“, sagte Johna.

Bei einem Viertel der Befragten werden Überstunden überwiegend vergütet, knapp die Hälfte (49 Prozent) erhält überwiegend Freizeitausgleich und 26 Prozent gehen komplett leer aus. Die Krankenhäuser profitieren also zu einem nicht geringen Teil jeden Tag von unentgeltlicher Arbeit zigtausender Ärztinnen und Ärzte.

Hohe Arbeitsbelastung

Deutlich wurde in der Studie auch, dass es trotz der Pandemie und der hohen Arbeitsbelastung in einer Reihe von Kliniken sogar einen Abbau des ärztlichen Personals gab. 34 Prozent der Ärztinnen und Ärzte bestätigten das für ihren Arbeitsplatz. In den privaten Kliniken war das sogar aus Sicht von 51 Prozent der Ärztinnen und Ärzte der Fall.

Auf die Frage: „Erwägen Sie, ihre ärztliche Tätigkeit ganz aufzugeben?“, antworteten 25 Prozent der Befragten mit „ja“, 57 Prozent mit „Nein“ und 18 Prozent mit „weiß nicht“. „Ich empfinde diesen Prozentsatz als wirklich besorgniserregend“, sagte Johna.

Ärzte berichteten davon, dass die eigene Arbeit nicht geschätzt werde und sie irgendwann krank würden, weil man dem Druck nicht mehr standhalten könne. „Frustration treibt Migration“, sagte Dr. Andreas Botzlar, zweiter Vorsitzender des Marburger Bundes. „Letztlich können wir es uns nicht leisten, dass uns von den ohnehin zu wenigen Ärzten noch welche abhandenkommen.“

Aufgabe des Gesundheitssystems müsse eigentlich sein, jeden in größtmöglichem Umfang in der ärztlichen Berufsausübung zu halten.

Jeder Dritte: Bis zu vier StundenBürokratie pro Tag

Kritisiert wurde von den befragten Medizinern auch der hohe Anteil administrativer Tätigkeiten. Der Zeitaufwand dafür lag bei einem Drittel der befragten angestellten Ärztinnen und Ärzte bei rund vier Stunden pro Tag.

„Viele Verwaltungstätigkeiten könnten auch von Stationssekretariaten erledigt werden“, sagte Johna. Wichtiger noch sei aber die Frage, was eigentlich dokumentiert werden müsse. „Der Bürokratieabbau findet nicht nur nicht statt, es werden auch immer mehr Dokumentationsaufgaben auf die Ärztinnen und Ärzte verlagert.“

Es müsse überprüft werden, was künftig durch wen dokumentiert werden müsse. Darüber hinaus könnten viele Tätigkeiten, beispielsweise Dokumentationen, durch eine bessere IT-Ausstattung der Krankenhäuser erleichtert werden. „Das Potenzial der Digitalisierung wird völlig unzureichend genutzt“, sagte Johna. Zwei Drittel aller Befragten waren „unzufrieden“ beziehungsweise „eher unzufrieden“ mit der IT-Ausstattung an ihrem Arbeitsplatz. Ärztliche Anforderungen würden bei der Anschaffung neuer Software in der Regel nicht berücksichtigt.

Auch dieser Umstand sei ein Grund für die Probleme bei der Anwendung diverser Programme: Die Hälfte der Befragten gibt an, dass Mehrfacheingaben identischer Daten „gelegentlich“ vorkommen, bei rund einem Drittel (32 Prozent) ist das sogar „häufig“ der Fall, bei 18 Prozent „selten“.

Quelle-- Ärzte Zeitung 11.8.2022

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