Schichtdienst mit Familie: Ein logistisches Meisterwerk
24/7-- Aus Krankenhäusern ist Schichtarbeit nicht wegzudenken. Schichtmodelle sind jedoch häufig mit erheblichen Herausforderungen verbunden, besonders hinsichtlich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Gespräche mit vier Kollegen und Kolleginnen aus Berlin zeigen die verschiedenen Seiten des Schichtdienstes.
Veröffentlicht:Dr. Gina Barzen ist ein Planungsprofi. Diese Qualifikation ist essenziell, denn sie und ihr Partner haben eine kleine Tochter und arbeiten beide im Schichtdienst. Frau Dr. Barzen ist Ärztin in der Kardiologie/Angiologie am Deutschen Herzzentrum der Charité (DHZC) in Berlin, aktuell beschäftigt in der internistischen Notaufnahme. „Man muss andauernd alles haarklein planen, damit es funktioniert. Kommen dann noch unvorhergesehene Probleme wie Kita-Schließungen oder -verkürzungen, Krankheit oder spontanes Einspringen dazu, wird es teilweise sehr, sehr eng. Ich denke, ohne eine zusätzliche Betreuungsperson (Großeltern, Nanny, Au-pair) lässt es sich insgesamt nicht umsetzen.“
Schichtarbeit nicht ohne Ambivalenz
Rund 15 Prozent der 15- bis 64-jährigen Arbeitnehmenden in Deutschland arbeiten im Schichtbetrieb. Neben Teilen der Industrie, der Polizei und der Feuerwehr ist die Schichtarbeit auch in der Medizin unerlässlich, um eine dauerhafte Betreuung der Patientinnen und Patienten zu gewährleisten. Studien zufolge birgt die (langjährige) Arbeit im Schichtmodell jedoch zahlreiche potenzielle Risiken für die Gesundheit der Mitarbeitenden – von Schlafproblemen über ein erhöhtes Risiko für Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 2 oder Adipositas bis hin zu häufigerem Auftreten von Krebserkrankungen. Doch welche Chancen und positiven Aspekte ergeben sich besonders für Arbeitnehmende mit Familie aus der Schichtarbeit?
„Ich genieße es sehr, an Spätdiensttagen mit meinem Sohn auszuschlafen, entspannt zu frühstücken und ihn etwas später in die Kita zu bringen. Ein kleiner Ausgleich für die Abende und Nächte, in denen man nicht zu Hause ist“, sagt Dr. David Frumkin, Vater und Facharzt für Kardiologie auf einer großen, interdisziplinären Intensivstation. „Gute Planbarkeit der Dienste und quasi keine Überstunden“, sieht auch Dr. Anna-Lena Munk als Vorteil im Schichtdienst mit Familie. Sie ist Fachärztin für Innere Medizin, zweifache Mutter und auf derselben Intensivstation tätig. Kai Spaniol, ebenfalls Facharzt für Innere Medizin und Teil des Teams der Intensivstation sieht auch Vorzüge in den oft antizyklischen Arbeitszeiten: „Man hat auch mal zu den üblichen ‚Bürozeiten‘ frei. Ich erledige an freien Vormittagen sehr viele ‚Kleinigkeiten‘ (Behördengänge, Einkäufe, Aufräumen). Zudem kann man durch Freizeitausgleich für Bereitschaftsdienste auch mal mehrere (freie) Tage am Stück oder verlängerte Wochenenden generieren.“
Ein logistisches Meisterwerk
Neben einigen Vorteilen müssen Schichtarbeitende jedoch auch wesentliche Einschränkungen in Kauf nehmen. Insbesondere Arbeitnehmende mit Familie sehen sich hier regelmäßig vor besondere logistische Herausforderungen gestellt. Die Organisation der Kinderbetreuung, insbesondere nachts, an Wochenenden, Feiertagen oder zur Ferienzeit erfordert viel Voraussicht und gute Kommunikation. Trotzdem ist sie meist nur mit persönlichem Verzicht und Abstrichen bei Erwachsenen und Kindern zu gewährleisten. „Man fehlt regelmäßig am Wochenende. Die ‚Care-Arbeit‘ liegt dann vollständig an einem/r Partner/Partnerin, was eine erhebliche Mehrbelastung bedeutet, insbesondere wenn der/die Partner/Partnerin ebenfalls berufstätig ist“, unterstreicht Kai Spaniol. Es ergeben sich so Herausforderungen, die nicht nur die Schichtarbeitenden selbst, sondern auch deren Partner und Partnerinnen betreffen. „Fußballtraining samstags ist zum Beispiel ausgeschlossen. Außerdem verbringe ich als Ausgleich quasi jede (arbeits-)freie Minute mit meinen Kindern und habe dadurch extrem wenig Zeit für ‚Me-Time‘, wie man so schön sagt“, beschreibt Dr. Anna Lena Munk den Spagat, der immer wieder aufs Neue geschafft werden muss.
Leidiges Thema: Schlechter Schlaf
Ein wiederkehrendes Problem ist zu wenig Zeit zur Selbstregeneration, ein intermittierender Schlafmangel sowie eine häufig reduzierte Schlafqualität. Mehrere Studien zu den Auswirkungen der Schichtarbeit auf den Schlaf belegen ein erhöhtes Risiko für chronische Schlafstörungen bei Schichtarbeitenden. Die internationale Klassifikation der Schlafstörungen differenziert hier sogar eine eigenständige Schlafstörung im Bereich der Schichtarbeit – die „Shift Work Sleep Disorder“ (SWD), welche je nach Studie bis zu 40 % aller Arbeitnehmenden im Schichtbetrieb betrifft und häufig undiagnostiziert bleibt. Die SWD ist charakterisiert durch Schlaflosigkeit und exzessive Müdigkeit.
Auch ohne manifeste Schlafstörung bleiben die wiederholten Wechsel zwischen Tag- und Nachtdienst eine Herausforderung für jeden Biorhythmus. „Ich merke mit jedem Jahr des Älterwerdens, wie mir durchgemachte Nächte mehr und mehr zusetzen“, berichtet Dr. Anna Lena Munk. „Mit Kindern verkürzt sich die Erholungszeit nach Nachtdiensten automatisch noch weiter“, unterstreicht Kai Spaniol die weitere Verschärfung für Arbeitende im Schichtdienst mit Familie.
Anreize gegen die Abwanderung?
Die aufgezählten Herausforderungen führen sukzessive dazu, dass sich immer weniger Arbeitnehmende, insbesondere mit Familienkontext, dauerhaft eine Arbeit im Schichtdienst vorstellen können und die entsprechenden Arbeitsbereiche verlassen. In Zeiten des anhaltenden Personalmangels und der Abwanderung von ärztlichem Personal aus den Kliniken stellt dies eine besondere und zunehmende Belastung für das System dar. Doch wie lässt sich dies verhindern? Gibt es Möglichkeiten, Schichtdienst familienfreundlich(er) zu gestalten?
Verbesserungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Schichtdienst könnte ein Ansatz in der Wochenendarbeit bringen. Aktuell ist es in den meisten Bereichen für alle Arbeitnehmenden üblich, zwei komplette Wochenenden pro Monat, Samstag und Sonntag, abzubilden. Diese fehlende Zeit ist herausfordernd sowohl für die Kinder, Partner/Partnerinnen und die Schichtarbeitenden selbst. Abhilfe und Erleichterung könnten hier einerseits flexiblere, erweiterbare Kita-Zeiten schaffen oder aber eine attraktivere Vergütung der Wochenendarbeitszeit. Finanzielle Zuschläge könnten, wie in anderen Ländern wie beispielsweise in Österreich bereits üblich, Wochenendarbeit für Personen ohne familiäre Verpflichtungen deutlich beliebter machen und so zunehmende Abwanderungen aus entsprechenden Bereichen aufgrund der fehlenden Vereinbarkeit mit der Familie reduzieren.
Danksagung-- Die Autorinnen danken herzlich für die Unterstützung: Dr. Gina Barzen, Dr. David Frumkin, Dr. Anna Lena Munk und Kai Spaniol.
Literatur--
Keckl und G et al. BMJ. 2016;355:i5210
Moreno CRC et al. Ind Health. 2019;57(2):139-57
Boivin DB et al. J Biol Rhythms. 2022;37(1):3-28
American Academy of Sleep Medicine (2023). International Classification of Sleep Disorders, third edition, text revision (ICSD-3-TR). ISBN 978-0-9657220-9-4