Wie lebt es sich als Ärztin in Kopenhagen?
Blick ins Ausland-- Dr. Laura Kverneland ist nach ihrem Medizinstudium nach Dänemark gegangen und arbeitet seither in Kopenhagen. Dort erlebt sie, wie der Arztberuf ohne Hierarchie und fast ohne Überstunden möglich ist.
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Das dänische Gesundheitssystem unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht vom deutschen.adragan/stock.adobe.com
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Laura, stell Dich doch einmal kurz vor.
Ich bin Laura Kverneland, 35 Jahre alt, Mutter zweier Kinder, Ärztin in der inneren Medizin. Dr. med. in der Kardiologie. Nach Kopenhagen ausgewandert, mit einem Dänen verheiratet und dort inmitten von Zimtschnecken und frischer Meeresluft sehr glücklich.

Dr. Laura Kverneland-- Internistin in Kopenhagen.
© Kverneland
Weshalb hast Du Dich 2014 entschieden, nach Kopenhagen zu ziehen und wie war Dein Start?
Ich habe meinen Mann 2011 im Medizinstudium an der Charité in Berlin kennengelernt. Er war damals Erasmusstudent und wir haben danach 3,5 Jahre eine Fernbeziehung geführt, bis ich nach meinem Studium 2014 den Sprung nach Kopenhagen gewagt habe. Ich habe damals innerhalb weniger Wochen alle Zelte in Deutschland abgebrochen und konnte nur sehr rudimentär Dänisch.
Ein bezeichnendes Erlebnis aus meiner Anfangszeit war mein Bewerbungsgespräch. Ich habe mich damals ganz selbstverständlich mit meinem Nachnamen vorgestellt, woraufhin mein (späterer) Chef in Gelächter ausgebrochen ist. Die Hierarchie ist in Dänemark quasi nicht existent – es ist selbstverständlich, dass er als Chef einer großen Klinik „der Finn“ ist und ich eben „die Laura“.
Wie sieht Dein Arbeitsalltag in Kopenhagen aus?
Ich arbeite Vollzeit, das bedeutet hier 37 Stunden die Woche, in einem der größten kopenhagener Krankenhäuser. Ich bin Internistin mit dem Schwerpunkt Geriatrie und beende meine Facharztausbildung in zwei Monaten. In Dänemark wird mit einem Zweischicht-System gearbeitet, das bedeutet der normale Arbeitstag geht von 8 bis 15:30 Uhr. Und wir gehen dann auch wirklich nach Hause, Überstunden sind hier eine absolute Ausnahme. Im Anschluss an den Tagdienst beginnt der Nachtdienst, der am nächsten Tag wieder um 8 Uhr endet. Ganz junge und ältere Assistenzärzte sind immer gemeinsam im Dienst. Zusätzlich gibt es einen weiteren Arzt kurz vor dem Facharzt, der im Hintergrund ist und zu Hause schläft. In meinen Hintergrunddiensten musste ich bisher aber noch nie den zuständigen Oberarzt oder Oberärztin anrufen.
Wie läuft die Facharztausbildung in Dänemark ab?
Man bewirbt sich zentral in seiner Region für eine Ausbildungsstelle und bekommt dann einen festen Verlauf zugeteilt mit verschiedenen Funktionsabteilungen und Krankenhäusern. Der Abschluss erfolgt nach – in meinem Fall – einem Jahr Intro und fünf Jahren Facharztausbildung – mit Erwerb aller notwendigen Kompetenzen.
Zahlen und Fakten aus Dänemark
ca. 26 % der Frauen und 9 % der Männer arbeiten in Teilzeit.
Ärzte und Ärztinnen arbeiten insgesamt seltener in Teilzeit (ca. 11 %).
Frauen haben in 2022 durchschnittlich 34 Stunden/Woche gearbeitet, Männer 38.
Beschäftigungsrate von Personen mit Kindern ist mit 86 % höher als die allgemeine Beschäftigungsrate (77 %).
Dänische Kinder kommen im Durchschnitt mit elf Monaten in die Kita.
Was unterscheidet das dänische und das deutsche Ausbildungs- und Krankenhaussystem am meisten?
Ganz viel. Der im Voraus festgelegte Verlauf, das digitale System, in dem die Kompetenzen dokumentiert werden, die Zuteilung klinischer „Supervisoren“, die uns im Lernprozess und der Karriere unterstützen, der informelle Ton, die guten Arbeitsbedingungen, die mangelnde Hierarchie. Wenn Assistenten mich im Hintergrund anrufen, dann wissen sie, wann wir zu Abend gegessen haben, neben wem ich schlafe und wie viele Kinder ich habe. Wenn wir abends mit Kollegen zusammensitzen, dann kommen Oberärzte und Chef ganz selbstverständlich dazu und alle können absolut offen reden oder Kritik äußern. Wir duzen uns übrigens nicht nur im Kollegenkreis, sondern auch unsere Patienten und Patientinnen.
Das dänische Sozialsystem unterscheidet sich aber auch grundlegend vom Deutschen. Altersvorsorge, Kranken- und Arbeitslosenversicherung werden in Dänemark hauptsächlich durch die Einkommenssteuer finanziert. Durch die hohen Sozialausgaben ist eine hohe Beschäftigungsrate hier besonders wichtig und deshalb schafft der Staat auch entsprechende Rahmenbedingungen.
Wie läuft Forschung für Mediziner und Medizinerinnen in Dänemark?
Wer Interesse an Forschung hat, macht in Dänemark meist einen PhD oder sucht sich ein (Teilzeit-)Stipendium. Die Forschung findet hier aber fast ausschließlich während der Arbeitszeit statt. Ich kenne nur wenige, die sich nach einem vollen Arbeitstag am Abend oder trotz Familie nochmal hinsetzen und forschen.
Du hast seit 2016 zwei Kinder bekommen. Wie funktioniert die Integration der Familie in den Arbeitsalltag bei Dir?
Viele Kolleginnen und Kollegen bekommen Kinder während ihrer Facharztausbildung. Der Mutterschutz beginnt dann acht Wochen vor dem Entbindungstermin und bis dahin wird man regulär in die Dienststrukturen eingebunden – wenn medizinisch nichts dagegenspricht.
Ich hatte bei beiden Kindern insgesamt ein Jahr Elternzeit, mein Mann bei meinem Sohn drei Monate und bei meiner Tochter Corona-bedingt ein halbes Jahr. Bis vor Kurzem war es so, dass Frauen den Großteil der Elternzeit genommen haben – acht bis neun Monate – und Männer durchschnittlich nur einen Monat. Allerdings gibt es jetzt eine neue Regelung, die besagt, dass drei Monate der Elternzeit nur vom Vater genommen werden können und sonst verfallen.
Im Anschluss an die Elternzeit bin ich jeweils in Vollzeit wieder arbeiten gegangen, was hier auch ganz normal und aufgrund der Arbeitszeiten auch machbar ist.
In Dänemark muss jedes Kind außerdem einen Kitaplatz zum gewünschten Zeitpunkt und in der Kommune der Eltern erhalten. Zwar ist diese Betreuung sehr gut, allerdings hat auch Dänemark hier mit Personalmangel zu kämpfen. Unsere Kinder sind mit 11 Monaten und 1,5 Jahren in die Kita gekommen.
Hast Du die Entscheidung, nach Dänemark zu gehen, jemals bereut? Was gefällt Dir vielleicht am deutschen Gesundheitswesen besser?
Nein. Und das vor allem wegen der besseren Arbeitsbedingungen. Wer die flache Hierarchie und die Work-Life-Balance hier einmal erlebt hat, kann nicht zurück. Und ich vermisse tatsächlich nichts am deutschen Gesundheitswesen..
Vielen Dank für das Gespräch!