Wie pathogene Genmutationen zur Herzinsuffizienz führen

Molekulare Mechanismen-- Die nicht ischämische dilatative (NIDCM) und arrhythmogene Kardiomyopathie (ACM) ist keine einheitliche Erkrankung des Herzmuskels – vielmehr führen Genvarianten auf unterschiedliche Weise zur Herzinsuffizienz. Diese neuen Erkenntnisse wurden jetzt in dem Fachjournal „Science“ veröffentlicht.

Von Dr. Daniel Reichart Veröffentlicht:
Die Single-Cell-Methode hilft bei der molekularen Charakterisierung von Krankheitsbildern.

Die Single-Cell-Methode hilft bei der molekularen Charakterisierung von Krankheitsbildern.

© Eric Lindberg, MDC

Herzstück der Arbeit ist die Messung der Genexpressionen von 880.081 Zellkernen mithilfe der „Single Nucleus RNA Sequencing“-Methode. Dabei wurden aus 61 NIDCM und ACM sowie 18 gesunden Herzen Zellkerne isoliert und die RNA-Signaturen von Herzzelltypen wie beispielsweise Kardiomyozyten, Fibroblasten oder Makrophagen charakterisiert. Das erkrankte Herz wurde somit auf Einzelzellebene neu „kartografiert“. Im Fokus standen dabei erkrankte Gewebe von Patientinnen und Patienten mit pathogenen oder wahrscheinlich pathogenen Varianten in Genen wie TTN, LMNA, RBM20 oder PKP2, die überproportional häufig zu einer NIDCM oder ACM führen. Zudem wurden Herzen hinzugenommen, in denen keine genetische Ursache des NIDCM-Phänotyps gefunden wurde.

Interdisziplinäre Teamarbeit

Insgesamt war dieses Vorgehen ein komplexes Unterfangen, das ein interdisziplinäres Team erforderte. Die Herzproben wurden im Zuge von Herztransplantationen oder Einbau von Herzunterstützungssysteme am Brigham and Women’s Hospital in Boston, USA (Prof. C. Seidman), der University of Alberta in Edmonton, Kanada (Prof. G. Oudit), dem Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen in Bad Oeynhausen (Prof. H. Milting) und den Royal Brompton/Harefield Hospitals in London, Großbritannien, entnommen.

Dr. Daniel Reichart, Ludwig-Maximilians-Universität München

Dr. Daniel Reichart, Ludwig-Maximilians- Universität München

© Reichart

Die weitere Gewebeaufarbeitung, Sequenzierung und bioinformatische Analyse erfolgten in den Laboren des Max-Delbrück Centers Berlin (Prof. N. Hübner), der Harvard Medical School (Profs. C. und J. Seidman), des Helmholtz-Zentrums München (Dr. M. Heinig) und des Imperial College London Großbritannien (Prof. M. Noseda). Erste Analysen der zellulären Organisation erkrankter Herzen zeigten – unabhängig vom Genotyp – einen Verlust von Kardiomyozyten und einen gleichzeitigen Anstieg der Immun- und Endothelzellpopulationen. Trotz des vorliegenden Umbaus der erkrankten Herzen durch Fibrosierung war kein signifikanter Anstieg der Fibroblasten zu verzeichnen.

Erhöhte Aktivität bestimmter Fibroblastentypen

Stattdessen wurde eine Aktivitätssteigerung einer Fibroblastenuntergruppe detektiert, die auf die Produktion von extrazellulärer Matrix spezialisiert ist. Besonders ausgeprägt war dieser Effekt in RBM20-mutierten Herzen, und neben den Fibroblasten zeigten auch andere Zelltypen eine ganze Reihe spezifischer Unterschiede. „Nur aufgrund der hohen Sensitivität und molekularen Auflösung der Einzelzellsequenzierung können wir erkennen, dass Kardiomyopathien nicht einheitlich die gleichen pathologischen Signalwege auslösen, sondern genotypspezifische Unterschiede hervorrufen“, sagt Prof. Christine Seidman. Dies konnte durch die Untersuchung von Interaktionen der Herzzelltypen und Signalwege weiter bestätigt werden. Neben Kommunikationswegen, die in allen erkrankten Herzen im gleichen Maße verändert waren, zeigten sich deutliche genotypspezifische Abweichungen.

Genotypspezifisch unterschiedliche pathogene Signalwege führen zu Kardiomyopathien.

Bestätigung mithilfe künstlicher Intelligenz

Schließlich nutzten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler künstliche Intelligenz, um – auf den spezifischen Mustern molekularer Veränderungen basierend – mit hoher Zuverlässigkeit vorherzusagen, welche Genvariante vorliegt. Eine zusätzliche Bestätigung dafür, dass die gefundenen Unterschiede mit verschiedenen pathogenen Varianten von bestimmten Genen assoziiert sind. „Dies ist die erste derartige Analyse, die in Herzgewebe durchgeführt wurde. Wir hoffen, dass dieser Ansatz zur Untersuchung von weiteren genetischen und nicht genetischen Herzerkrankungen verwendet wird“, fügt Prof. Norbert Hübner hinzu. Als nächster Schritt wurde die Analyse von früheren Krankheitsstadien, beispielsweise mithilfe von Endomyokardbiopsien definiert.

Fazit

NIDCM und ACM zeigen vor allem auf Transkriptionsebene als auch bei Zell-Zell-Interaktionen genotypspezifische Unterschiede.

Ziel ist die Identifikation von Biomarkern und Signalwegen, die bei der Entschlüsselung der Pathogenese der Herzmuskelerkrankung helfen und so eine personalisierte Behandlung ermöglichen sollen.

Kontakt-- Dr. med. Daniel Reichart, Ludwig-Maximilians-Universität München, Daniel.Reichart@med.uni-muenchen.de

Literatur-- Reichart D, Lindberg E, Maatz H et al. Science. 2022; https:\\doi.org.10.1126/science.abo1984

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