Interview mit G-BA-Vorsitzenden

„Das Versorgungssystem ist recht gut aufgestellt“

Fragen an den Vorsitzenden des G-BA-- In Deutschland steht das Gesundheitssystem vor vielen Herausforderungen. Wie sieht der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Zukunft der hiesigen Versorgungslandschaft? Wir haben den unparteiischen Vorsitzenden des G-BA, Prof. Josef Hecken, dazu befragt.

Ein Interview von Prof. Bernd Nowak Veröffentlicht:
Das Gesundheitssystem in Deutschland steht vor großen Herausforderungen.

Das Gesundheitssystem in Deutschland steht vor großen Herausforderungen.

© Vitalii / Stock.adobe.com

Herr Prof. Hecken, wie sieht der G-BA die medizinische Zukunft in Deutschland?

Prof. Josef Hecken: Eine sehr große und spannende Frage! Bitte sehen Sie es mir aber nach, dass ich sie nicht für „den G-BA“ beantworten kann, sondern nur als dessen Vorsitzender. Denn als Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung bringen wir ganz unterschiedliche Positionen zusammen. Und die Frage nach der medizinischen Zukunft wird von der Ärzteschaft ganz sicher anders beantwortet als von den Krankenkassen oder der Patientenvertretung.

Aus meiner Sicht haben wir derzeit noch ein recht gut aufgestelltes Versorgungssystem, das während der Corona-Pandemie den sehr ernsthaften Stresstest bestanden hat – obwohl es in Teilen ruckelte und immer wieder nachgesteuert werden musste. Dennoch ist das kein Grund sich zurückzulehnen, denn die „Herausforderungen“, wie man Probleme ja gerne nennt, sind da und letztlich auch schon seit langem bekannt: Spätestens seit den Neunzigerjahren gibt es teils spektakuläre medizinische Neuentwicklungen, die oftmals aber auch enorm viel Geld kosten.

Wegen schlechter Rahmenbedingungen entscheiden sich immer weniger junge Menschen für einen Pflegeberuf oder verabschieden sich als ausgebildete Fachkraft daraus. Die Zahlen zum demografischen Wandel sind bekannt, ebenso, dass unsere Bevölkerung zunehmend aus hochaltrigen und damit leider auch oft multimorbiden Patientinnen und Patienten besteht.

Prof. Josef Hecken ist unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA).

Prof. Josef Hecken ist unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA).

© G-BA/Rosa Reibke

Um das medizinische Angebot auf einem hohen Niveau und gleichzeitig bezahlbar zu halten, müssen beispielsweise folgende Maßnahmen ausgebaut werden: Der G-BA muss weiterhin konsequent und nach wissenschaftlichen Grundsätzen den Nutzen neuer Arzneimittel und Behandlungsmethoden für die gesetzliche Krankenversicherung überprüfen.

Die Strukturierung der Krankenhauslandschaft, die bereits durch die Regelungen zu Notfallstufen, Sicherstellungszuschlägen und Zentren begonnen wurde, muss weiterentwickelt werden. Bei einer modernen Krankenhausversorgung spielt auch die Ambulantisierung eine sehr wichtige Rolle, daher sollten wir ambulante und stationäre Behandlungsangebote gemeinsam betrachten und planen.

Bei der Qualitätssicherung wäre es nötig, ein stärkeres Augenmerk auf Diagnose- und Indikationsqualität zu legen, so wie wir das bei TAVI bereits gemacht haben: Hier über den Weg, dass in die Indikationsstellung die kardiologische und herzchirurgische Fachkompetenz einfließen muss.

Und wir brauchen bei Therapieentscheidungen eine stärkere Berücksichtigung der individuellen Lebensqualität und des Patientennutzens – nicht alles, was theoretisch machbar ist, ist individuell auch wirklich gut.

Haben Sie Wünsche an die Gesundheitspolitik?

Von der Gesundheitspolitik würde ich mir wünschen, dass sie die Selbstverwaltung ihre ordnungspolitisch ja aus sehr guten Gründen zugewiesene Rolle auch wahrnehmen lässt – mit dem benötigten Gestaltungsspielraum, den es bei den Detailregelungen unbedingt braucht.

Herausforderungen, wie man Probleme ja gerne nennt, sind da.

Das immer wieder aufflammende generelle Misstrauen gegenüber der Idee einer Aufgabenteilung zwischen Politik und Selbstverwaltung ist aus meiner Sicht nicht gerechtfertigt. Wenn die Selbstverwaltung eine Aufgabe nicht so gut, wie es eigentlich notwendig ist, erfüllt, sollte man den Ursachen nachgehen und nicht vorschnell Schuld zuweisen. Wenn wir Fehlentwicklungen und Fehlanreize in der Gesundheitsversorgung beobachten – wie jetzt beim Fallpauschalensystem –, gehen sie leider oftmals auf Webfehler im Gesetz zurück. Das kann gerade bei neuen Wegen, die man geht, selbstverständlich passieren und das muss man geradezu einplanen, aber man sollte dann die Verantwortlichkeiten auch richtig benennen und nicht einfach einen Prügelknaben suchen.

Wie sehen Sie die Rolle der medizinischen Fachgesellschaften für die Arbeit des G-BA?

Medizinische Fachgesellschaften sind für die Arbeit des G-BA immens wichtig! Wir bekommen immer wieder berechtigte Einwände zu geplanten Beschlussdetails oder auch zu bestehenden Regelungen, denen wir folgen – und die im Ergebnis Regelungen verbessern. Und wir sind immer froh, wenn es beispielsweise zu einer neuen Behandlungsmethode bereits Empfehlungen in hochwertigen Leitlinien von Fachgesellschaften gibt, auf die wir in den Beratungen zurückgreifen können.

Vielen Dank für das Gespräch!

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