Die neuen ESC-Endokarditisleitlinien

Interview-- PD Dr. de Waha und Prof. Borger erläutern bedeutende Änderungen in den ESC-Leitlinien zur infektiösen Endokarditis bei z. B. der Prävention von Infektionen, dem Paradigmenwechsel hin zur oralen Antibiotikatherapie, dem Timing und den Indikationen für chirurgische Eingriffe sowie der Bedeutung von Infektionen bei kardialen implantierbaren elektronischen Devices.

Von Prof. Simon Greulich Veröffentlicht:
Bei Endokarditis komplettieren Imaging-Experten und Infektiologen/Mikrobiologen das Heart Team. Sirichai Puangsuwan/stock.adobe.com

Bei Endokarditis komplettieren Imaging-Experten und Infektiologen/Mikrobiologen das Heart Team.

© Sirichai Puangsuwan/stock.adobe.com

Neue ESC-Leitlinien infektiöse Endokarditis 2023 – Was ist denn jetzt neu?

Insgesamt wurden über 60 Empfehlungen überarbeitet bzw. neu aufgenommen. Änderungen im Vergleich zu den ESC-Leitlinien zur Endokarditis aus dem Jahr 2015 finden sich u. a. in den Bereichen Prävention, Rolle des Endokarditis-Teams, Diagnose-Kriterien, Bedeutung der oralen antibiotischen Therapie, Timing und Indikation der chirurgischen Therapie sowie CIED-Infektionen.

Was sind denn genau die Hochrisikopatienten für eine infektiöse Endokarditis (IE)?

PD Dr. Suzanne de Waha-- Herzzentrum Leipzig, ist Task-forceKoordinatorin bei den ESC-Endokarditisleitlinien de Waha

PD Dr. Suzanne de Waha-- Herzzentrum Leipzig, ist Task-forceKoordinatorin bei den ESC-Endokarditisleitlinien

© de Waha

Hochrisikopatienten sind definiert als Patienten mit vorangegangener Endokarditis, chirurgischen oder transkatheterbasierten Klappenprothesen, transkatheterbasiertem Verschluss eines Septumdefekts bzw. Vorhofohrverschluss innerhalb der ersten 6 Monate, kongenitalen Herzerkrankungen mit unbehandelten zyanotischen Defekten oder chirurgischer Behandlung mit prothetischem Material sowie Patienten mit ventrikulären Unterstützungssystemen. Aufgrund der steigenden Inzidenz der Endokarditis sowie unverändert hoher Morbidität und Mortalität wurden die Indikationen zur antibiotischen Prophylaxe bei dieser Patientengruppe ausgeweitet.

Ein wesentlicher Aspekt liegt auf „Patientenaufklärung“, was sollen wir denn unseren Patientinnen und Patienten raten?

Zunächst sollten Hochrisikopatienten über das Krankheitsbild Endokarditis aufgeklärt werden. Hierdurch kann der Patient selbst auch Maßnahmen ergreifen, um das individuelle Risiko zu reduzieren. Von großer Bedeutung sind adäquate Zahn- und Hauthygiene, über Infektionszeichen aufzuklären und darüber zu informieren, dass bei Fieber mit unklarem Fokus immer ein Arzt aufgesucht werden sollte. Auch über Risiken einer Selbstmedikation mit Antibiotika sollte informiert werden.

Die orale bzw. häusliche Antibiotikatherapie bei IE ist in Deutschland eine Rarität, wird aber in den Leitlinien ausführlich behandelt. Welche Personen sind denn hierfür geeignet bzw. was gilt es zu beachten?

Die häusliche intravenöse Therapie erscheint in der deutschen Versorgungsrealität tatsächlich nur schwer umsetzbar. Wir erwarten allerdings, dass die Umstellung auf eine orale antibiotische Therapie durch die neue Leitlinienempfehlung auch in Deutschland zunehmend Anwendung finden wird. Das Konzept der oralen antibiotischen Therapie wurde durch die POET-Studie untersucht. Die Ergebnisse sprechen klar für eine Nichtunterlegenheit der oralen Therapie im Vergleich zur intravenösen Therapie bei dem durch die Ein- und Ausschlusskriterien charakterisierten Patientenkollektiv. Gemäß der daraufhin neu aufgenommenen Klasse-IIa-Empfehlung kommen Patienten mit Nachweis von S. aureus, Streptokokken, Koagulase-negative Staphylokokken oder E. faecalis für eine orale Antibiose infrage. Patienten müssen zunächst ≥ 10 Tage intravenös behandelt werden bzw. ≥ 7 Tage nach Operation oder Deviceextraktion. Patienten ohne komplizierten Verlauf oder schwere Komorbiditäten, mit gutem Ansprechen auf die Therapie und stabiler ambulanter Versorgungssituation können nach transösophagealer Echokardiografie mit Ausschluss einer Komplikation wie Abszess, schwerer Klappendysfunktion, Vegetation > 10 mm bzw. Progression der Endokarditis auf eine orale Antibiose umgestellt werden. Vergleicht man die Belastung eines langwierigen Krankenhausaufenthaltes und mehrwöchiger intravenöser Antibiose mit der Option einer ambulanten oralen antibiotischen Therapie, kommt dieses Konzept insbesondere aus Patientenperspektive einem Paradigmenwechsel gleich.

Prof. Dr. Michael A. Borger-- Herzzentrum Leipzig, ist Chairperson bei den ESC-Endokarditisleitlinien Borger

Prof. Dr. Michael A. Borger-- Herzzentrum Leipzig, ist Chairperson bei den ESC-Endokarditisleitlinien

© Borger

Herr Prof. Borger, was sind denn chirurgische Indikationen bei IE und worin ist die vielerorts verbreitete Zurückhaltung gegenüber operativen Eingriffen bei IE eventuell begründet?

Bei der linksseitigen Endokarditis gibt es 3 Indikationen zur Operation: Herzinsuffizienz, unkontrollierte Infektion und Prävention eines embolischen Ereignisses. Diese Empfehlungen sind im Wesentlichen unverändert im Vergleich zu 2015. Neu ist die Klasse-IIb-Empfehlung zur Operation bei Patienten mit linksseitiger Endokarditis mit einer Vegetation ≥ 10 mm und niedrigem Operationsrisiko. Auch die Empfehlungen zur Operation bei früher Prothesenendokarditis oder rechtsventrikulärer Endokarditis wurden gestärkt. Neben der Indikation spielt auch das Timing eine große Rolle. Die aktuellen Leitlinien haben die Zeitfenster klar definiert und insgesamt wird ein frühzeitiger Eingriff bei bestehender Operationsindikation empfohlen. Über die Gründe für die Zurückhaltung hinsichtlich eines operativen Eingriffs lässt sich nur spekulieren. Am ehesten scheinen hier wohl Faktoren wie die Invasivität der Prozedur, das Alter der Patienten, Komorbiditäten und vorhergehende Prozeduren verantwortlich zu sein. Wichtig ist es allerdings in diesem Kontext zu betonen, dass eine chirurgische Intervention in zahlreichen großen retrospektiven Studien als starker unabhängiger protektiver Faktor identifiziert wurde. Demgegenüber ist das Absehen von einem operativen Eingriff bei bestehender Indikation der stärkste Prädiktor für einen letalen Ausgang. Dies gilt im Übrigen auch für ältere Patienten. Hier gilt es noch Aufklärungsarbeit zu leisten.

Was empfiehlt die aktuelle Leitlinie bezüglich einer OP bei Patienten, welche einen Schlaganfall im Rahmen ihrer Endokarditis entwickeln? Gilt es hier weiter zu differenzieren?

Schlaganfälle sind keine Seltenheit bei Patienten mit Endokarditis und stellen häufig die Erstmanifestation dar. Wichtig ist hier zwischen ischämischem und hämorrhagischem Schlaganfall zu unterscheiden. Bei Patienten mit ischämischem Schlaganfall ohne zerebrale Einblutung und erhaltener neurologischer Prognose sollte bei entsprechender Indikation der kardiochirurgische Eingriff nicht verzögert und dringlich durchgeführt werden. Dies wurde von einer Klasse-IIa-Empfehlung zu einer Klasse-I-Empfehlung angehoben. Demgegenüber sollte bei Patienten mit hämorrhagischem Schlaganfall und Operationsindikation der Eingriff falls möglich > 1 Monat verzögert werden. Der Patient sollte natürlich regelmäßig neu evaluiert und die Dringlichkeit der Operation mit der neurologischen Prognose abgewogen werden.

Frau PD Dr. de Waha, Endokarditis bei Devicetherapie ist ein schwieriges Thema. Ab wann sprechen wir von einer definitiven Endokarditis bei CIED und welche Konsequenz leitet sich daraus ab?

Ja, die Diagnose und Therapie einer CIED-Infektion sind häufig nicht einfach. CIED-Infektionen sind daher auch ein sehr gutes Beispiel, wie die „Advanced cardiac imaging“-Techniken mit 18FDG-PET/CT und SPECT/CT eine wesentliche Rolle in Bezug auf die überarbeiteten Definitionen der diagnostischen Kriterien der ESC Leitlinien 2023 spielen. Zur Therapie einer gesicherten CIED-Infektion ist die unverzügliche komplette Systemextraktion inklusive Sonden unabdingbar. Aktuelle Daten weisen darauf hin, dass dies allerdings nur bei weniger als zwei Dritteln aller Patienten durchgeführt wird, obwohl eine frühzeitige Systemextraktion mit einer deutlichen Mortalitätsreduktion assoziiert ist. Die aktuellen Leitlinien betonen auch, dass eine CIED-Infektion per definitionem immer eine komplizierte Endokarditis ist und somit deren Behandlung in Heart Valve Centres erfolgen soll.

Die Leitlinie betont die Wichtigkeit eines Endokarditis-Teams. Was bedeutet das genau und wie wird dieses Modell in Leipzig gelebt?

Kardiovaskuläre Medizin mit hoher Qualität kann nur mit einem interdisziplinären Ansatz gelingen. Insofern unterscheidet sich das Konzept des Endokarditis-Teams nicht wesentlich im Vergleich zu anderen Erkrankungen der Herzklappen. Auch hier steht die Evaluierung und Therapie in einem Heart Valve Centre mit Heart Team im Vordergrund. Das Herzzentrum Leipzig hat seit vielen Jahren etablierte Strukturen zur engen Zusammenarbeit zwischen Kardiologie und Herzchirurgie. Dies geschieht einerseits auf dem kurzen Dienstweg durch schnelle Kommunikationswege und andererseits durch fest geplante Treffen des Heart Teams. Im Bereich der Endokarditis kommt dann den Imaging-Experten und der Infektiologie/Mikrobiologie noch eine besondere Bedeutung zu.

Bei der Endokarditisleitlinie fällt auf, dass viele Empfehlungen lediglich einen Evidenzlevel „C“ aufweisen. Woran liegt das, und erwarten Sie hier zukünftig Änderungen?

Ja, die Forschung im Bereich der Endokarditis wurde vernachlässigt. Hierfür ist eine Vielzahl an Faktoren verantwortlich. Zu nennen wäre z. B. ein eher geringes Interesse seitens der Industrie an diesem Thema, die multidisziplinäre und komplizierte Diagnose und Therapie sowie die Heterogenität der Erkrankung und der Patienten. Die POET-Studie hat allerdings gezeigt, dass sogar als investigator-initiierte Studie Innovation im Bereich der evidenzbasierten Therapie der Endokarditis möglich ist. Über dieses Netzwerk läuft bereits die randomisierte ASTERIx-Studie, die einen chirurgischen Ansatz zusätzlich zu einer antibiotischen Therapie im Vergleich zur alleinigen antibiotischen Therapie untersucht. Auch wir in Leipzig erarbeiten gerade eine randomisierte Studie. Neben randomisierten Studien kommen allerdings auch Kompetenznetzwerken und multizentrischen Registern eine große Bedeutung zu.

Vielen Dank für das Gespräch!

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