Interview
„Es geht nicht darum, irgendwie einen Stent zu implantieren“
Interventionelle Kardiologie-- Heute scheint bei der Intervention von Koronarläsionen fast alles möglich. Doch die Fahnenstange ist nach Ansicht von Prof. David Leistner damit noch nicht erreicht. Im Interview berichtet der Kardiologie über aussichtsreiche Entwicklungen und erörtert, warum die interventionelle Kardiologie künftig nicht nur reine „Schadensbehebung“ betreiben sollte.
Veröffentlicht:Herr Prof. Leistner, Sie sind 2022 neuer Direktor der Klinik für Kardiologie und Angiologie am Universitätsklinikum Frankfurt geworden. Eines Ihrer „Steckenpferde“ ist die Kathetertechnologie. Was haben Sie sich in Ihrer neuen Funktion vorgenommen, in diesem Bereich zu bewirken/verändern?
Prof. David Leistner: In der Tat habe ich seit über 20 Jahren und dem Beginn meiner Dissertation einen klinischen und wissenschaftlichen Fokus auf der interventionellen Kardiologie, für die ich weiter brenne. An der Uniklinik Frankfurt wurde Ende der 70er-Jahre ja nicht nur die erste Koronarintervention in Deutschland durchgeführt, sondern erfolgte auch die erste Hauptstamm-Intervention weltweit durch Prof. Martin Kaltenbach. Daher liegt eine stimulierende Verantwortung in meiner neuen Aufgabe in Frankfurt. Mein Team und ich arbeiten derzeit daran, das Konzept der „Precision-PCI“ weiterzuentwickeln. Darunter versteht man die algorithmisch strukturierte Koronarintervention, die sowohl in der PCI-Planung als auch in der Erfolgskontrolle nach PCI auf hochauflösender intrakoronarer Bildgebung (OCT, HD-IVUS) basiert.
Wir werden in Kürze – beim ESC 2023 – die Daten der ersten randomisierten Outcome-Studien dazu sehen und wenn diese positiv sind, wird das „Precisions-PCI“-Konzept zum interventionellen Standard werden. Daher gilt es hier noch viele Aspekte, vor allem mit dem Fokus auf die Läsionsvorbereitung und der Frage, welche Koronarläsionen „vulnerabel“ sind, weiter zu untersuchen.
Wo sehen Sie die interventionelle Kardiologie aktuell und in zehn Jahren?
Aktuell denke ich, dass wir mittlerweile ja nahezu alle Koronarläsionen zuverlässig und mit gutem Risikoprofil interventionell behandeln können – da haben wir sowohl technisch als auch im Bereich der Materialentwicklung wahnsinnige Fortschritte gemacht, vor allem zur Kalziummodifikation und was die Rekanalisation chronischer Koronarverschlüsse anbelangt. Was aber gilt: Es geht nicht mehr darum, „irgendwie“ einen Stent zu implantieren, sondern es geht darum – auch und gerade bei komplexen Läsionen – ein optimales interventionelles Ergebnis und eine Therapiestrategie zu entwickeln.
Der Anteil von komplexen und hochkomplexen Patientinnen und Patienten wird in den nächsten zehn Jahren weiter dramatisch ansteigen und viele dieser Patienten werden nicht herzchirurgisch operabel sein – daher wird die interventionelle Zukunft vor allem das „komplexe Interventionsfeld“ abdecken müssen.
Ihr Fokus liegt ja u. a. in der personalisierten Medizin. Wie könnte Ihrer Ansicht nach in Zukunft eine personalisierte koronare Intervention aussehen?
Die beginnt bei der Frage, was wir intervenieren wollen und müssen – hier spielt aus meiner Sicht die Vulnerabilität eines Koronarplaques und damit die Gefahr zu einer ACS-auslösenden „Culprit Lesion“ zu werden, viel mehr eine Rolle als die hämodynamische Relevanz einer Koronarläsion. Aus diesem individuellen Status der Koronarsklerose, den wir ja mit intrakoronarer Bildgebung bereits erfassen können, werden wir sowohl Art und Ausmaß der Intervention festlegen als auch die medikamentöse Begleittherapie darauf zuschneiden. Hier können wir aktuell die Plättchenfunktion adressieren, aber auch das lipidassoziierte und das inflammatorische Risiko spielen eine wichtige Rolle. Dabei wird es aber nicht bleiben: Je mehr wir die Plaquebiologie individuell erfassen können, umso mehr werden wir gezielte Therapien nutzen können. Bei der Atherosklerose gilt nicht „one fits all“, sondern hier sind – ähnlich wie in der Onkologie – Therapien entsprechend der molekularen Grundlagen sicher effektiver.
Was sind aktuell „unsolved issues“ bei der KHK und deren Therapie?
Wie schon angedeutet, will ich ein Fragezeichen setzen, ob es wirklich sinnvoll ist, dass wir interventionelle Kardiologie immer nur in die Ecke der „Schadensbehebung“ drängen. Wir wissen zwar, wie wir den Schaden gut und schnell behandeln, aber ob und in welchen Fällen hier eine Stenttherapie eine Lösung ist, ist unklar. Selbst beim ACS gibt es einen signifikanten Anteil an Läsionen (Plaqueerosionen), bei denen die Stent-Therapie aktuell wohl mehr eine „Verlegenheitslösung“ ist. Wir müssen im ersten Schritt einmal die verschiedenen Phänotypen der KHK charakterisieren und dann bin ich mir sicher, dass wir dann effektiver intervenieren und medikamentös therapieren können.
Was denken Sie, wird die Koronar-CT und die medikamentöse Therapie ein Großteil der bisher vorgenommenen Koronarangiografien ersetzen können?
Ja – da bin ich tausendprozentig überzeugt. Wir werden künftig als interventionelle Kardiologinnen und Kardiologen nicht mehr den Auftrag haben, zu entscheiden, wer ein stenosierende KHK hat und wer nicht, sondern wir werden – unter Nutzung der CT-Vorinformation – vor allem mit komplexen Interventionen betraut sein. Durch den demografischen Wandel wird dies nicht zwingend eine Reduktion der Nachfrage nach interventionellen Prozeduren bedingen. Es wird darum gehen, hochkomplexe Interventionen in dafür qualifizierten Zentren optimal durchzuführen – „einfache“ und prognostisch irrelevante Koronarläsionen werden vermutlich zu einem Großteil primär medikamentös-konservativ behandelt werden basierend auf einer CT-Evaluation.
Vielen Dank für das Gespräch!