„Es gibt keine Wunderdiät!“

Ernährung-- Ernährung ist für die meisten Patientinnen und Patienten ein „Hot Topic“, aber leider auch ein Thema, zu dem unglaublich viele Fake News und Missverständnisse existieren. Damit räumt Prof. Stefan Lorkowski, Uni Jena, auf – mit besonderem Blick auf die richtige Kost bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Ein Interview von Prof. Amir Mahabadi und Veronika Schlimpert Veröffentlicht:
Vielfältig sollte eine gesundheitsfördernde Ernährung sein.

Vielfältig sollte eine gesundheitsfördernde Ernährung sein.

© Roy Scott / Ikon Images / mauritius images

Herr Prof. Lorkowski, Ernährung ist ja in der Bevölkerung ein viel beachtetes Thema. Immer tauchen neue „Trends“ auf: Low Carb, Low Fat, Intervallfasten, Glutenfrei usw. Was halten Sie von solchen Diäten?

Prof. Stefan Lorkowski: Es gibt Ernährungsweisen oder auch -trends, welche eine gesundheitsfördernde Ernährung im Alltag ermöglichen. So ist beispielsweise Intervallfasten für viele im Alltag gut umsetzbar, um weniger zu essen und somit leichter das Körpergewicht zu normalisieren oder zu stabilisieren.

Für eine glutenfreie Kost hingegen spricht bei Gesunden gar nichts. Im Gegenteil! Einige Studien zeigen, dass der unnötige Verzicht glutenhaltiger Getreideprodukte den Verzehr löslicher Ballaststoffe verringern kann, was wiederum das Risiko für kardiometabolische Erkrankungen und auch Dickdarmkrebs erhöht. Außerdem zeigen aktuelle Studien, dass ein zunehmender Verzehr von Vollkorn das Risiko für Mortalität, Diabetes mellitus Typ 2, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Dickdarmkrebs senkt.

Die vielfach diskutierte Frage, ob Low Carb besser ist als Low Fat ist inzwischen beantwortet. Keine der beiden Ernährungsformen ist der anderen per se überlegen; mit beiden Varianten ist eine ausgewogene Ernährung möglich.

Unabhängig davon, was für oder gegen die eine oder andere Ernährungsweise spricht; wir müssen uns klar vor Augen führen, dass es nicht die eine Wunderdiät gibt. Die Gesamtheit der Studiendaten zeigt, dass eine gesundheitsfördernde Ernährung auf verschiedene Arten und Weisen umgesetzt werden kann.

Prof. Stefan Lorkowski--Leiter des Lehrstuhles für Biochemie und Physiologie der Ernährung an der Universität Jena.

Prof. Stefan Lorkowski-- Leiter des Lehrstuhles für Biochemie und Physiologie der Ernährung an der Universität Jena.

© Universität Jena

Was bedeutet für Sie denn eine „gesunde Ernährung“?

Ich spreche lieber von einer gesundheitsfördernden Ernährung, die bestimmten Kriterien genügen muss (siehe Kasten). Es gibt dabei wesentliche Faktoren, die immer erfüllt sein sollten, die uns aber große Schwierigkeiten bereiten. Die Ernährung sollte vielseitig sein, um alle kritischen Nährstoffe in ausreichendem Maße zu uns zu nehmen. Unsere Patientinnen und Patienten essen aber meist viel zu einseitig; sie glauben jedoch oftmals, dass sie sich ausgewogen ernähren. Darüber hinaus kommt einer dem tatsächlichen Bedarf angepassten Energiezufuhr eine besondere Bedeutung zu. Essen wir dauerhaft zu viel, resultiert daraus nicht nur Übergewicht, sondern auch ein deutlich erhöhtes Risiko für kardiometabolische Erkrankungen, wie Diabetes mellitus Typ 2, und in der Konsequenz auch schwere Manifestationen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Angesichts der weiter ansteigenden Prävalenz der Adipositas, die zudem immer früher einsetzt, rennen wir offenen Auges in ein riesiges Problem.

Lassen sich Ernährungsempfehlungen inzwischen individuell anpassen? Konkreter gefragt, würden Sie einen Patienten mit einer koronaren Herzerkrankung anders beraten als einen Patienten mit einer Niereninsuffizienz oder einem Diabetes?

Wir sind derzeit noch nicht wirklich in der Lage, an individuelle Unterschiede im Stoffwechsel angepasste Ernährungsempfehlungen zu geben. Wir können aber gut begründet an bestimmte Erkrankungen angepasste Ernährungsempfehlungen aussprechen. Im Falle der Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist das sehr gut im Leitfaden „Ernährung in Klinik und Praxis“ (LEKuP; https://www.dge.de/ernaehrungspraxis/ diaetetik/leitfaden-ernaehrungstherapie/?L=0) dargelegt. Laut diesem Leitfaden bildet eine sogenannte Vollkost die Basis der Ernährungstherapie bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Patienten und Ärzte sollten sich nicht auf einer medikamentösen Therapie ausruhen.

Unter einer Vollkost versteht der LEKuP die vollwertige, pflanzenbasierte Ernährung nach den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V., eine vegetarische Ernährungsweise ergänzt mit tierischen Lebensmitteln und eine mediterrane Kost. Diese Vollkostformen ermöglichen eine abwechslungsreiche, an individuelle Gegebenheiten anpassbare Ernährungsweise. Auch wenn sich alle drei Vollkostformen grundsätzlich zur diätetischen Prävention und Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen eignen, ist für die mediterrane Kost die kardiopräventive Wirkung am besten durch Studiendaten belegt.

Im nächsten Schritt wird die Vollkost an vorliegende, diätetisch modifizierbare kardiovaskuläre Risikofaktoren, wie Hypercholesterinämie, Hypertriglyzeridämie, Hypertonie, Übergewicht/Adipositas und Diabetes mellitus Typ 2 angepasst. Liegen mehrere oder alle dieser Risikofaktoren vor, werden die Einzelmaßnahmen entsprechend miteinander kombiniert. Das klingt nach einer echten Herausforderung, aber es lässt sich schon sehr viel erreichen, wenn der Patient erfolgreich auf eine Vollkost umgestellt wird.

Mit richtigen Ernährungsempfehlungen lassen sich die Cholesterinspiegel senken.

Mit richtigen Ernährungsempfehlungen lassen sich die Cholesterinspiegel senken.

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Welchen Einfluss hat das Alter, gelten für einen 40-Jährigen andere Prinzipien als für einen 80-Jährigen? Und falls ja, können Sie Beispiele nennen?

Grundsätzlich gelten erst einmal für ältere Patienten die gleichen Grundempfehlungen wie für jüngere Menschen. Oftmals sind aber Adaptionen notwendig. Eine besondere Herausforderung ist der gleichbleibende Nährstoffbedarf bei gleichzeitig geringerem Energiebedarf. Je nach Patient ist es sinnvoll, auch einzelne Nährstoffe anzupassen, beispielsweise generell älteren Menschen eine etwas höhere Proteinzufuhr oder älteren Frauen mehr Kalzium zu empfehlen.

Was lässt sich durch die Umstellung auf eine „herzgesunde“ Ernährung denn bewirken? Bei hohen LDL-Cholesterin-Spiegeln beispielsweise heißt es ja oft, dass Ernährung nur eine untergeordnete Rolle spielt…

Das ist leider eine weit verbreitete und auch falsche Einschätzung. In der Prä-Statin-Ära ist in Interventionsstudien ganz klar gezeigt worden, dass die Ernährung das LDL-Cholesterin sehr effektiv senken kann – dabei sind Senkungen von mehr als 25 Prozent möglich. In eigenen Interventionsstudien haben wir in Einzelfällen sogar Senkungen von mehr als 40 Prozent beobachtet. Ob eine Senkung des LDL-Cholesterins durch eine Ernährungsumstellung erfolgt und wie groß diese ausfällt, hängt unter anderem von folgenden Faktoren ab:

Die entsprechenden Ernährungsempfehlungen müssen konsequent und dauerhaft umgesetzt werden. Natürlich darf und sollte man sich ab und an etwas Genuss gönnen. Aber das LDL-Cholesterin reagiert sehr dynamisch auf Ernährungsumstellungen. Das heißt, es fällt nach einer Ernährungsumstellung bereits nach wenigen Tagen ab, steigt aber auch wieder schnell an, wenn man in ungünstige Ernährungsmuster verfällt.

Des Weiteren ist die Senkung des LDL-Cholesterins durch eine Ernährungsumstellung in der Regel umso stärker, je höher das LDL-Cholesterin vor der Intervention war.

Ferner lässt sich das LDL-Cholesterin nur insoweit senken, wie es auch durch eine unausgewogene Ernährung erhöht ist. Das ist ein Unterschied zu den modernen cholesterinsenkenden Medikamenten. Aber eine Ernährungsumstellung hat neben der LDL-Cholesterin-Senkung zusätzliche gesundheitsfördernde Effekte wie Gewichtsnormalisierung, Triglyzeridsenkung, Verbesserung des Blutdrucks u. a. Patienten und Ärzte sollten sich also nicht auf einer medikamentösen Therapie ausruhen. Gerade Patientinnen und Patienten mit hohem kardiovaskulären Risiko profitieren umso mehr von einem gesunden Lebensstil.

Kriterien für gesunde Ernährung

Energiezufuhr entspricht dem Bedarf, alle unentbehrlichen Nährstoffe und Ballaststoffe werden ausreichend zugeführt,

Getreide hat einen wesentlichen Anteil an der Ballaststoffzufuhr,

es werden vornehmlich ungesättigte Fettsäuren verzehrt und die Zufuhr von gesättigten Fettsäuren und Transfettsäuren sowie Cholesterin ist niedrig,

die Proteinzufuhr deckt den Bedarf. Darüber hinausgehend verzehrtes Protein stammt überwiegend aus pflanzlichen Quellen, Kohlenhydrate werden möglichst als ballaststoffreiche Lebensmittel (Gemüse, Obst und Vollkorn) und nicht in Form von raffinierter Stärke oder zugesetztem Zucker verzehrt,

es werden möglichst nur ungesüßte Getränke konsumiert, und

auf hoch verarbeitete Lebensmittel wird verzichtet; Mahlzeiten sollten möglichst frisch zubereitet werden.

Im Grunde erfüllt jede Ernährungsweise, die diesem Ernährungsmuster entspricht, die Anforderungen an eine ausgewogene Ernährung. Dies belegen Beobachtungsstudien. Es fehlen entsprechende Langzeitinterventionsstudien.

Wichtig ist, dass Ernährungsempfehlungen keinen Absolutismus darstellen, sondern biologischen Gegebenheiten folgen. Unter bestimmten Bedingungen sind daher Abweichungen von den Empfehlungen vertretbar.

Es gibt Bestrebungen, Ernährungspläne mithilfe von Gentests auf den individuellen Stoffwechsel anzupassen. Glauben Sie, dass sich ein solches Vorgehen in Zukunft durchsetzen wird?

Bis auf ganz wenige Ausnahmen ist das aus meiner Sicht reine Geldmacherei und in keiner Weise durch wissenschaftliche Studien gestützt. Ein kürzlich veröffentlichter Übersichtsartikel von Holzapfel et al. (2022) zum Thema personalisierte Ernährung und Genetik hat das sehr schön herausgearbeitet.

In letzter Zeit gibt es Tendenzen, die Einschätzung „ein Glas Rotwein am Tag ist günstig“ zu korrigieren im Sinne von, „jedes Glas ist zu viel“. Was sagen Sie?

Das Thema Alkohol ist schwierig. Alkoholische Getränke sind Genussmittel und sollten nicht regelmäßig in größeren Mengen konsumiert werden. Grundsätzlich hat sich die Datenlage zu den gesundheitlichen Effekten des Alkoholkonsums in den letzten Jahren nicht wesentlich geändert, sie ist nur valider geworden. In der Tat ist ein moderater Konsum mit einem verminderten Auftreten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen assoziiert. Aber, mit jedem Tropfen Alkohol steigt das Risiko für Krebs- und Lebererkrankungen. Auch bei bestimmten Erkrankungen, wie zum Beispiel Hypertriglyzeridämien und Herzrhythmusstörungen, sollte auf Alkohol verzichtet werden. Einschränkend muss gesagt werden, dass die Daten ausschließlich aus Beobachtungsstudien stammen, die keine Rückschlüsse erlauben, welche Menge an Alkohol individuell einen gesundheitlichen Nutzen haben könnte.

Gentests sind aus meiner Sicht reine Geldmache.

Auch die Hypothese, dass einige Inhaltsstoffe aus dem Rotwein, wie die Polyphenole, besonders günstig wirken, ist heute nicht mehr haltbar. Um gesundheitlich relevante Mengen aufzunehmen, müssten alkoholische Getränke in Mengen konsumiert werden, die weit über einer moderaten Zufuhr liegen. Wie bei vielen Sachen in puncto Ernährung gilt, alkoholische Getränke zu genießen und lieber etwas weniger zu trinken, aber dabei auf eine gute Qualität zu achten.

Blicken wir am Ende noch in die Zukunft, wie könnten individuelle Ernährungsempfehlungen in 15 bis 20 Jahren aussehen?

Ich stehe dem Hype um eine personalisierte Ernährung sehr skeptisch gegenüber. Die allgemeinen Ernährungsempfehlungen in 15 bis 20 Jahren werden gar nicht so anders aussehen, als die heute existierenden, beispielsweise die der Planetary Health Diet und die pflanzenbasierte Ernährung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. In den meisten Fällen ist schon viel erreicht, wenn wir Patientinnen und Patienten dazu bringen, die allgemeinen Empfehlungen dauerhaft umzusetzen!

Vielen Dank für das Gespräch!

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