Interview zu BOX-Studie
„Die Zeiten, in denen jeder Infarkt zuerst Sauerstoff bekommt, sollten vorbei sein“
Herzstillstand-- Blutdruck und Sauerstoff gehören nach Herzstillstand leitliniengerecht eingestellt. Insofern ist das Ergebnis der BOX-Studie nicht überraschend. Interessant sind die in Deutschland möglichen Verbesserungspotenziale bei Reanimationen, die Professor Holger Thiele im Interview schildert.
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Nach Herzstillstand war laut BOX-Studie die Höhe des Sauerstoff- und Blutdruckziels nicht relevant für das Outcome hinsichtlich neurologischer Defizite.
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Beim ESC-Kongress wurde die randomisierte BOX-Studie zur intensivierten Therapie nach Herzstillstand vorgestellt. Verglichen wurden unterschiedliche Blutdruck- und Oxygenierungsstrategien. Kurz gesagt: Die untersuchten Strategien hatten keinen Einfluss auf die Prognose der Patienten. Haben Sie diese Ergebnisse überrascht?
Thiele: Um ganz ehrlich zu sein: Nein. Auch im septischen Schock hat ein höherer versus ein niedrigerer Blutdruck keinen Einfluss auf das Überleben gehabt. Insofern sehen wir hier bei Herzstillstand mit einer noch viel höheren Mortalität ein ähnliches Bild. Auch wenn die Ansätze mit mehr Sauerstoff – es gibt auch Daten, dass viel Sauerstoff schädlich sein kann – und höherem Blutdruck theoretisch Sinn machen, um den hypoxischen Hirnschaden zu vermeiden bzw. abzumildern, so ist die neurologische und die Gesamtprognose vermutlich eher von anderen Faktoren wie der Gesamtischämiezeit geprägt, als von supportiven Maßnahmen nach der Reanimation. Insofern hat mich die 2×2 faktorielle Box-Studie nicht allzu sehr überrascht.

Prof. Dr. med. Holger Thiele, Herzzentrum Leipzig - Universität Leipzig.
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Was sind Ihrer Ansicht nach die Kernaussagen aus dieser Studie, die jeder Kollege/jede Kollegin kennen sollte?
In Bezug auf die Mortalität oder schwere neurologische Defizite macht es keinen Unterschied, ob man ein restriktives (PaO2 68–75 mmHg) oder liberales (PaO2 98–105 mmHg) Sauerstoffziel anstrebt. Das Gleiche gilt für einen Ziel-Blutdruck von im Mittel 77 mmHg versus 63 mmHg. Trotzdem ist natürlich die insgesamt geringe Sterblichkeit in dieser Studie bemerkenswert, was sicherlich dadurch beeinflusst wurde, dass rund 90 % der Patientinnen und Patienten mit Herzstillstand eine initiale Laienreanimation erhalten haben.
Werden die aktuellen Ergebnisse das Vorgehen an Ihrer Klinik verändern bzw. inwiefern wird sich an der bisher üblichen Behandlungsstrategie etwas ändern?
In unserem Hause bestätigen die Ergebnisse eher das, was wir schon immer so umgesetzt haben. Man braucht keinen Luxusblutdruck und kann damit Katecholamine sparen. Ebenso sollte man mit Sauerstoff sparsam umgehen. Die Zeiten, in denen jeder Infarkt zuerst einmal Sauerstoff bekommt, auch ohne Dyspnoe oder reduzierte Sauerstoffsättigung < 90 %, sollten einfach langsam vorbei sein. Die Leitlinien empfehlen das schon länger so.
Gibt es dennoch Patientengruppen, die nach Herzstillstand von einer intensivierten O2- bzw. Blutdrucktherapie profitieren könnten? Falls ja, welche?
Wenn man sich die Subgruppen der Box-Studie anschaut, kann ich keine Subgruppe identifizieren, die einen Vorteil haben könnte. Auch wenn man den Endpunkt neuronenspezifische Enolase betrachtet, der eventuelle Differenzen sehr sensibel messen sollte, ergeben sich keine Unterschiede zwischen intensivierter oder restriktiver O2- bzw. Blutdrucktherapie.
Was sind die Schwachstellen der Studie?
Sicherlich sind die Ergebnisse vor dem Hintergrund zu diskutieren, dass die Studie nur an zwei exzellenten Zentren in Dänemark mit sehr hoher Laienreanimationsquote, kurzer Ischämiezeit und niedriger Sterblichkeit durchgeführt wurde. Insofern „kein Effekt“ unter optimalen Bedingungen. Aber auch bei den Subgruppen mit nicht so optimaler Behandlung zeigte sich kein Vorteil für die eine oder andere Therapie.
Es wurden ja zuletzt mehrere Ansätze zur Prognoseverbesserung nach Herzstillstand untersucht (Körperkühlung in TTM 2, sofortige Koronarangiografie in TOMAHAWK). Sind damit nun alle Fragen zum Management des Herzstillstandes außerhalb der Klinik geklärt, oder gibt es Ihrer Meinung nach noch „offene Baustellen“?
Es gibt noch sehr viele offene Baustellen. Auch wenn die randomisierten Studien in den letzten Jahren keinen Überlebensvorteil für die unterschiedlichsten Interventionen gezeigt haben, so ist insbesondere in Deutschland noch viel zu tun. Der wichtigste Ansatzpunkt, den wir in Deutschland haben, ist die Schulung von Laienhelfern, um eine viel höhere Bereitschaft zur schnellen Laienreanimation erreichen zu können. Da gehört auch die verpflichtende Reanimationsschulung in den Schulklassen dazu. Manche Bundesländer haben das schon verbindlich umgesetzt. Aber wir sind trotz vieler guter Ansätze in Deutschland noch sehr weit entfernt von skandinavischen Verhältnissen, wo Laienreanimation bei 80–90 % der Patientinnen und Patienten mit Herz-Kreislauf-Stillstand durchgeführt wird. Auch bei den anderen etablierten Systemen zur schnelleren Reanimation haben wir noch Nachholbedarf. Ich erinnere hier nur an die „Telefonreanimation“ oder „App-basiertes Aktivieren von geschulten Laienhelfern“. Das funktioniert alles, wird aber nicht flächendeckend umgesetzt. In Leipzig versuchen wir seit mehr als 5 Jahren eine solche App einzuführen, was immer wieder durch Datenschutzaspekte, Beschaffungsmaßnahmen und die Bürokratie im Rettungsdienst verzögert wird. Außerdem ist die Umsetzung und Zertifizierung von Cardiac Arrest Centers (CAC) ein guter Ansatz, um Menschen mit OHCA (out of hospital cardiac arrest) in optimal ausgestatteten Kliniken behandeln zu können. Hier sind wir auf einem guten Weg, mit mehr als 100 CAC in Deutschland. Aber: Selbst hier gibt es noch weiße Flecken auf der Landkarte.
Vielen Dank für das Gespräch!