Pro und Kontra

Sollte das DRG-System abgeschafft werden?

Pro und Kontra-- Sollte das Fallpauschalensystem abgeschafft werden und was wären die Alternativen? Darüber diskutieren Prof. Holger Reinecke und Prof. Lutz Frankenstein in einem Pro/Kontra-Beitrag.

Ein Kommentar von Prof. Holger Reinecke und Prof. Lutz Frankenstein Veröffentlicht:
Die Abrechnung medizinischer Leistungen erfolgt in Deutschland nach dem DRG-System.

Die Abrechnung medizinischer Leistungen erfolgt in Deutschland nach dem DRG-System.

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Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach forderte vor Kurzem den Abschied vom System der diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRG) in der bisherigen Form. Wenn es klappe, das DRG-System insgesamt zu überwinden, sei das die größte Krankenhausreform der vergangenen 20 Jahre, so Lauterbach. Doch liegen die mit dem DGR-System assoziierten Probleme tatsächlich am Fallpauschalensystem selbst begründet oder sind vielmehr die Anwender dafür verantwortlich? Was wären die Alternativen, wenn das Fallpauschalensystem abgeschafft würde? Darüber diskutieren Prof. Holger Reinecke und Prof. Lutz Frankenstein in einem Pro/Kontra-Beitrag.

Pro: Finanzierung komplett ändern

Prof. Dr. med. Holger Reinecke Universitätsklinikum Münster

Prof. Dr. med. Holger Reinecke Universitätsklinikum Münster

© Reinecke

Bei der Diskussion um die Abschaffung des DRG-Systems werden Begrifflichkeiten oft uneinheitlich verwendet: Manche sagen „DRG-System“ und meinen den gesamten ordnungspolitischen Rahmen der Krankenhausfinanzierung. Andere meinen nur das Fallpauschalensystem im engeren Sinne. Aus meiner Sicht ist der politische Rahmen mangelhaft – nicht die Fallpauschalen. So wurde das Fallpauschalensystem stetig und konstruktiv vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) mit den Fachgesellschaften weiterentwickelt. InEk und Fallpauschalenkatalog haben es (nahezu) immer ermöglicht, dass die – unverantwortlich zerstrittenen – Selbstverwaltungspartner eine funktionsfähige Abrechnungs-Systematik vereinbaren konnten. Dennoch sehen nun (endlich!) alle, dass das vormals beste Gesundheitswesen der Welt vor dem Kollaps steht. Wie konnte es so weit kommen?

In allen anderen Ländern mit DRG-System (z. B. Australien, wo unser System herkommt) diente es nur als Orientierung für Budgets, aber nie zur Komplettvergütung – weil das Fallpauschalen nicht leisten können!

Es konnte nicht funktionieren, Häuser in öffentlicher Trägerschaft mit privaten Trägern bzw. börsennotierten Großkonzernen einheitlich zu vergüten, ohne auch den Erhalt von Investitionen und den Zugang zum Kapitalmarkt zu regeln.

In 20 (!) Jahren ist es nicht gelungen, die Kosten für Aus- und Weiterbildung sowie für die Vorhaltung von Notfallstrukturen zu refinanzieren.

DRGs erfordern extrem viel Zeit für Dokumentation – die allen Berufsgruppen am Patienten fehlt.

Unzählige Milliarden aus den Sozialkassen, aufgewendet von der Solidargemeinschaft zum Wohl von Kranken, wurden als „Überschüsse“ von privaten Trägern dem System entzogen. Mitinitiator war Prof. Karl Lauterbach, der über zehn Jahre lang im Aufsichtsrat des Rhön-Konzerns saß und dafür hohe Aufwandsentschädigungen erhalten hat. Wie sah es da mit Interessenskonflikten aus, wie man sie immer von uns Ärztinnen und Ärzten (zu Recht!) darzulegen verlangt? Und Prof. Lauterbach sagt heute schlicht: „…wir haben es übertrieben“ – Nein: Es ist ein Fiasko mit Ansage!

Die größte Unwahrheit – um nicht zu sagen: Lüge – war, vorzugeben, es gäbe „gleiches Geld für gleiche Leistung“. Dies war nie, nicht mal ansatzweise so. Maximalversorger mit der Grund- und Regelversorgung gleich zu vergüten, ist absurd: Die Vorhaltung hoch spezialisierter Strukturen und von Personal mit besonderen Qualifikationen unterscheidet sich zwangsläufig gemäß den Aufträgen der unterschiedlichen Versorgungsstufen ganz erheblich. Aber auch die individuellen Behandlungen differieren zwischen den Häusern zu stark, weil es zu wenige Standards für den Umfang von Diagnostik und Therapie gibt. Auch für die Verwendung von Medizinprodukten (Billigangebote mit einem CE-Mark vs. in mehreren Multicenter-Studien evaluierte High-Tech) gibt es keine Standards. Umso abwegiger, diese unvergleichbaren Leistungen gleich zu vergüten.

Mag es noch nachvollziehbar sein, anfänglich zu versuchen, bei Sachkosten Einsparungen zu erzielen, wurden zunehmend vor allem über Personaleinsparungen erhebliche Gewinnmargen abgegriffen. So wurde die Pflege systematisch überlastet und kaputtgespart. Und nachdem bei Sach- und Pflegekosten nichts mehr geht, sind nun die Ärztinnen und Ärzte dran.

Die Gesundheitspolitik der letzten Jahrzehnte hat in einem nie bekannten Maße zu einer Ökonomisierung in der Krankenversorgung geführt. Memento: Es sind nie immer nur die Anderen – wir Ärzte haben das mitgetragen bzw. das Hamsterrad mitangetrieben. Also nun:

Krankenhausfinanzierung komplett ändern: mit verschlankten Fallpauschalen nur zur Budgetabschätzung und nach Versorgungsstufen getrennt.

Kostenerstattung für Aus- und Weiterbildung regeln.

Verbindliche Vorgaben für Investitionen in öffentlichen Häusern.

Einsparungen bei Personal durch Vorgaben ausschließen.

„Gewinne“ müssen im Krankenhaus bleiben zum Wohl von Patienten und Personal.

Medizinische Leistungen detailliert definieren inkl. der dafür nötigen Ressourcen. Und das machen wir besser selber!.

Literatur beim Verfasser

Kontra: Das Problem liegt nicht beim DRG

Prof. Dr. med. Lutz Frankenstein, Universitätsklinikum Heidelberg

Prof. Dr. med. Lutz Frankenstein, Universitätsklinikum Heidelberg

© Frankenstein

Es gibt kein Abrechnungssystem ohne Missbrauchspotenzial und keine Abrechnungsregeln ohne Fehlanreiz! Aber CAVE: Im Wortsinne dient das DRG nicht der Abrechnung, sondern lediglich einer retrospektiven Mittelverteilung. Die Solidargemeinschaft schultert das aggregierte individuelle ökonomische Morbiditätsrisiko ihrer Mitglieder durch Pooling der Mittel (Beiträge) und Ausschüttung im Bedarfsfall (Erstattung – aktuell per Fallpauschale). Da Beitragserhöhungen seit Jahren aufgrund von Umfrageergebnissen abgelehnt werden, man aber einen Euro nur einmal ausgeben kann, benötigen wir Erstattungsregeln.

Werfen wir einen Blick auf typische Wünsche/Charakteristika eines „idealen“ Erstattungssystems: a) Leistung wird durch eine ex-poste Sicht nicht eingeschränkt (bezahlt wird, was ge-/verbraucht wurde); b) es soll mindestens den spezifischen Therapieanlass berücksichtigen (nicht: pro Kopf/„one price fits all“); c) regionale Eigenheiten der Bevölkerung müssen berücksichtigt sein (Morbiditätslast) – individuelle ebenso; d) regionale Praxisunterschiede der Leistungserbringung müssen abgebildet sein.

Die aufgeführten Anforderungen aber leistet das DRG-System – es ermittelt (in selber Reihenfolge): a) eine Fallpauschale nach Behandlungsabschluss; b) per Krankenhaushauptdiagnose; c) PCCL und Landesbasisfallwert; d) inkl. DRG-Splitmöglichkeit über individuell erfasste OPS.

Das Problem ist also – wie so oft (und nicht nur im Gesundheitswesen) – nicht das (DRG)-System, sondern sein Anwender, und zwar an allen Stellen:

Das Konzept Solidargemeinschaft ist unvereinbar mit Profit – dass private Träger offen Renditeerwartungen formulieren, kann für uns nur unerträglich sein – aber die Schuld für dieses Hamsterrad liegt nicht beim DRG!

Dass die öffentliche Hand sich aus der Verantwortung für den Investitionsstau stiehlt, und damit auch alle anderen Häuser in die Gewinnerwartung zwingt, ist nicht minder unerträglich – aber auch dieses Hamsterrad verantwortet nicht das DRG!

Die völlige Kommunikationsblockade des InEK selbst bei offenkundigen Fehlern (z. B. 2012 fehlte das ZE peripherer DEB trotz NUB 2) ist für Anwender nicht vertrauensbildend!

Die Konsensverweigerungen der Kassen zum DRG-Katalog bis hin zur Ersatzvornahme des BMG, wenn die InEK-Rechnung nicht zur erwarteten Realität passt, sind es ebenso wenig!

Das gilt auch für die zunehmend offener vorgenommenen Eingriffe seitens des Gesetzgebers in die Rechnungen des InEK – zum Beispiel für den Katalog 2023 bezüglich der „frei abgeleiteten“ auszugliedernden Summe an Pflegekosten!

Dass der Rechnungsprüfer (der MD) regional äußerst unterschiedlich mit der gleichen Fragestellung umgeht, erschüttert den DRG-Pfeiler der regelkonformen Reproduzierbarkeit!

All das ist nicht der bestimmungsgemäße Gebrauch des DRG-Systems! Würde dieser Missbrauch von allen Seiten beendet, bliebe ein an klaren Regeln orientiertes Rückverteilungssystem mit relevanter Verteilungsgerechtigkeit. Wer jetzt noch über die Komplexität der Regeln wettert, dem sei gesagt, dass wir selbst durch kontinuierliche Beteiligung am Vorschlagsverfahren des InEK und BfArM diese Regeln erst so komplex werden ließen.

Literatur beim Verfasser

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