Pro und Kontra

Sollte die Thrombusaspiration im Alltag häufiger zum Einsatz kommen?

Pro & Kontra-- In den Leitlinien wird von einer routinemäßigen Thrombusaspiration im Rahmen von perkutanen Koronarinterventionen abgeraten. Doch wie sind die Erfahrungen im Alltag? Zwei Kardiologen berichten, warum sie auf die Thrombusaspiration verzichten bzw. nicht verzichten möchten.

Ein Kommentar von Dr. Tobias Tichelbäcker und Dr. Philipp Breitbart Veröffentlicht:
Sollte die Thrombusaspiration im Alltag häufiger zum Einsatz kommen?

© bluedesign/stock.adobe.com

PRO: Die klinischen Erfahrungen sind äußert positiv

Dr. Philipp Breitbart, Universitäts-Herzzentrum Freiburg-Bad Krozingen

Dr. Philipp Breitbart, Universitäts-Herzzentrum Freiburg-Bad Krozingen

© Thomas Hauss

atienten mit einem akuten Koronarsyndrom und angiografischem Nachweis einer großen Thrombuslast stellen eine der großen Herausforderungen der interventionellen Kardiologie dar. Die periphere Embolisation von Thrombusanteilen gilt als Hauptursache des „No-Reflow“-Phänomens im akuten Infarkt – einhergehend mit einer signifikanten Mortalitätserhöhung und gehäuftem Auftreten einer Herzinsuffizienz mit reduzierter Pumpfunktion. Insbesondere große Thrombusmassen und gehäufte Dilatationen sind Hauptprädiktoren für ein „No-Reflow“.

Zu dessen Vermeidung wurde lange Zeit fast routinemäßig die Thrombusaspiration im Rahmen der akuten Intervention (vor allem bei ST-Hebungsinfarkten) durchgeführt, ehe Mitte der 2010er-Jahre randomisierte Studien nicht nur keinen Nutzen nachweisen konnten, sondern zeitgleich auch ein erhöhtes Schlaganfallrisiko durch diese Methode aufzeigten. Die europäischen und amerikanischen Leitlinienempfehlungen reagierten entsprechend.

Die klinischen Erfahrungen von mir und die meiner Kolleginnen und Kollegen bezüglich der klassischen Thrombusaspiration sind hingegen äußerst positiv und bislang ohne resultierenden Schlaganfall, sodass ich die Methode hin und wieder einsetze. Voraussetzung dafür, dass der Patient nachhaltig profitiert, sind jedoch die passende Indikationsstellung und die richtige Durchführung der Extraktion. Beide Punkte können in dieser Form in randomisierten multizentrischen Studien nicht vollumfänglich abgebildet und nachvollzogen werden. Niemand wird erwarten, dass ein ungezielter Einsatz der Aspiration bei allen Infarktpatienten einen Benefit garantiert. Auf der anderen Seite gibt es Situation, in denen man ohne diese Technik nicht erfolgversprechend weiterkommen wird.

Diese Patienten profitieren am ehesten

Doch welche Patienten sind besonders für das Extraktionsverfahren geeignet und profitieren aus der klinischen Erfahrung heraus am ehesten? Eine Aspiration ist insbesondere bei Patientinnen und Patienten mit großen, umschriebenen, frischen (!) Thrombusmassen anzuwenden, bei denen man zudem aufgrund verschiedener Beweggründe (z. B. unübersichtliche Läsionsgröße) keine direkte Stentimplantation durchführen möchte. Zu beachten ist dabei jedoch, dass die meisten Aspirationskatheter nicht parallel zu einem zweiten Koronardraht durch einen 6-French-Führungskatheter angewendet werden können.

Der Führungskatheter (ohne „side holes“) sollte so ausgewählt werden, dass er während des gesamten Extraktionsvorgangs auch vorübergehend tiefer im proximalen Koronargefäßanteil positioniert werden kann, ohne dabei Dissektionen zu riskieren. Ein Rückzug des Aspirationskatheters muss unbedingt unter dauerhaftem Sog erfolgen – nicht nur bis in den Führungskatheter zurück, sondern auch bis zur kompletten Entfernung aus diesem. Vor dem Beginn des Rückzuges sollten Sie daher immer komplett die Luer-Lock-Spritze leeren und einen neuen Sog aufsetzen. Nach der Entfernung des Aspirationskatheters ist es wichtig, genug Blut aus dem Führungskatheter zu aspirieren und das Y-Stück mehrfach nach extrakorporal hin zu spülen, da sich hier auch gelegentlich Thromben verfangen können. So reduziert man die Gefahr, dass beim Rückzug im System verbliebene Thrombusanteile im Verlauf embolisieren können.

Neben den klassischen Aspirationskathetern wurden in den letzten Jahren neue mechanische Aspirationssysteme entwickelt, in ersten kleineren Studien erprobt und inzwischen mit ihnen sogar randomisierte prospektive Studien initiiert. Erste positive Erfahrungen und Ergebnisse lassen eine kleine Renaissance der Extraktionssysteme in den kommenden Jahren erwarten.

Kontakt-- Dr. Philipp Breitbart, Universitäts-Herzzentrum Freiburg-Bad Krozingen

Literatur beim Verfasser

KONTRA: Patienten nicht schaden!

Dr. Tobias Tichelbäcker, Universitätsklinik Köln

Dr. Tobias Tichelbäcker, Universitätsklinik Köln

© Tichelbäcker

Die ESC-Leitlinien zum STEMI von 2017 und auch die etwas aktuellere ESC-Leitlinie zur Myokardrevaskularisation von 2018 führen die routinemäßige Thrombusaspiration bei STEMI als Klasse-III-Empfehlung auf – befürworten diese Strategie also aufgrund von Ineffektivität und auch möglicher Gefährdung des Patienten nicht [1, 2]. Ausdrücklich muss hier betont werden, dass die routinemäßige Thrombusaspiration aufgeführt wird, d. h. Einzelfälle hiervon nicht berührt werden und nicht grundsätzlich von einer Aspiration abgeraten wird. Hierfür gibt es gute Gründe: In der TASTE-Studie wurden insgesamt 7.244 STEMI-Patientinnen und -Patienten in zwei Gruppen (manuelle Thrombusaspiration + PCI vs. alleinige PCI) randomisiert. In dieser großen Studie konnten keine Unterschiede hinsichtlich des primären Endpunktes (30-Tage-Mortalität) beobachtet werden. Dieses Ergebnis war darüber hinaus konsistent in allen präspezifizierten Subgruppen (Zeitspanne von Beschwerdebeginn bis PCI, der initialen Thrombusmasse oder dem initialen TIMI-Fluss) [3].

In der noch größeren ebenfalls randomisierten TOTAL-Studie (n = 10.732) konnten diese Ergebnisse dann zwei Jahre später weitestgehend bestätigt werden. Auch hier wurde die PCI mit der manuellen Aspirationsthrombektomie + PCI bei STEMI-Patienten verglichen und hinsichtlich eines kombinierten primären Endpunktes (u. a. kardiovaskulärer Tod, erneutem Myokardinfarkt innerhalb von 180 Tagen) verglichen. Außerdem konnte eine erhöhte Schlaganfallrate nach 30 Tagen in der Gruppe der Thrombektomie-Patienten gesehen werden [4]. Somit konnte nicht nur kein Nutzen der Thrombusaspiration in diesem Patientenkollektiv gesehen werden, sondern auch noch eine mögliche Gefahr für die so behandelten Patienten identifiziert werden.

Profitieren denn vielleicht Patienten mit einer erhöhten Thrombuslast? Dieser Frage ging eine Subgruppenanalyse der TOTAL-Studie nach. Hier wurden knapp 9.000 Patientinnen und Patienten mit hoher Thrombuslast analysiert und auch hier konnte kein Unterschied zwischen beiden Behandlungsgruppen gesehen werden [5].

Weitere Aspekte wie die Prozedurverlängerung bei potenziell instabilen Patienten, ohne dass das Prozedurergebnis verbessert werden kann, sollten ebenso wie die nicht unerhebliche Kostensteigerung für die Prozedur berücksichtigt werden. Da wir als Ärzte unseren Patienten „erstens nicht schaden“ sollen („primum non nocere“, die Älteren werden sich erinnern), kann daher ein über die Leitlinie hinausgehender, routinemäßiger Einsatz der koronaren Aspirationsthrombektomie aufgrund der fehlenden Effektivität sowie der höheren Schlaganfallrate aus evidenzbasierter Sicht nicht empfohlen werden.

Kontakt-- Dr. Tobias Tichelbäcker, Universitätsklinik Köln

Literatur beim Verfasser

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