Telemedizin wird bald Standard sein

Interview-- Die telemedizinische Versorgung ist seit Jahren ein Arbeitsschwerpunkt von Prof. Friedrich Köhler. Sie spielt, so der Experte, eine wichtige Rolle in kardiologischen Netzwerken. Bei der praktischen Umsetzung der Netzwerkbildung können die Beteiligten von den Bremer Stadtmusikanten lernen.

Ein Interview von Dr. Norbert Smetak und Veronika Schlimpert Veröffentlicht:
Gemeinsam mehr schaffen-- Wenn sich unterschiedliche Akteure – wie z. B. die Bremer Stadtmusikanten – zusammentun und in einem Netzwerk agieren, lassen sich viele Ziele erreichen.

Gemeinsam mehr schaffen-- Wenn sich unterschiedliche Akteure – wie z.  B. die Bremer Stadtmusikanten – zusammentun und in einem Netzwerk agieren, lassen sich viele Ziele erreichen.

© Mohssen Assanimoghaddam / dpa / picture alliance

Herr Prof. Köhler, in Deutschland bilden sich zunehmend Netzwerke aus, um die Versorgung von Herzpatienten zu koordinieren. Welche Vorteile sehen Sie in solchen Strukturen?

Die moderne Therapie von herzkranken Patienten ist durch die neuen Möglichkeiten der interventionellen Kardiologie, durch innovative Medikamente und durch multidisziplinäre Versorgungsformen komplexer geworden. Die einzelnen Herzspezialisten oder selbst eine einzige Einrichtung können deshalb nicht mehr alle Aspekte der Behandlung allein leisten. Daraus leitet sich die Notwendigkeit einer sinnvollen Arbeitsteilung und Vernetzung aller Beteiligten zwingend ab. Insbesondere in der Behandlung von Patienten mit einer chronischen Herzinsuffizienz sind Netzwerke entstanden, die die medizinische Versorgung der Patienten koordinieren.

Von solchen vernetzten Strukturen profitieren die Patienten durch eine bessere individuelle Versorgung, woraus in der Folge zum Beispiel weniger Hospitalisierungen wegen einer Verschlimmerung der Herzinsuffizienz resultieren.

So sinnvoll die Netzwerkbildung inhaltlich ohne jeden Zweifel ist, so schwierig ist dann doch deren praktische Umsetzung, nicht zuletzt wegen vieler subjektiver Vorbehalte. Erlauben Sie mit dazu eine Analogie zu dem Märchen von den Bremer Stadtmusikanten.

Alle vier (Netzwerk-)Teilnehmer (Esel, Hund, Katze, Hahn) mussten zunächst ihr altes Selbstbild überwinden und zulassen, dass z. B. eine Katze auf einem Hund stehen darf. Weil sie dann auch dann auch noch im Gleichklang und in dieselbe Richtung gelaufen sind, konnten sie große und gefährliche Räuber vertreiben und anschließend ein besseres Leben als vor Ihrer Netzwerkbildung führen.

Sie beschäftigen sich seit Jahren mit der telemedizinischen Versorgung von Herzpatienten. Was denken Sie, ist die Telemedizin für eine erfolgreiche Netzwerkbildung unentbehrlich?

Die telemedizinische Mitbetreuung ist eine neue digitale Arbeitsweise, bei der der Patient Vitaldaten – also im wahrsten Sinne des Wortes Lebenszeichen – täglich an die Leistungserbringer übermittelt. Hier müssen in Ergänzung zur Präsenzmedizin in Praxis und Klinik zeitnah daraus therapeutische Entscheidungen getroffen werden, die dann im Netzwerk umgesetzt werden, zum Beispiel eine Dosisanpassung der Herzmedikamente nach einem Krankenhausaufenthalt. Die Telemedizin ist für die Versorgung herzkranker Patienten ein wichtiger Bestandteil einer erfolgreichen Netzwerkbildung.

Prof. Friedrich Köhler ist Leiter des Arbeitsbereichs Kardiovaskuläre Telemedizin Deutsches Herzzentrum der Charité (DHZC).

Prof. Friedrich Köhler ist Leiter des Arbeitsbereichs Kardiovaskuläre Telemedizin Deutsches Herzzentrum der Charité (DHZC).

© Köhler

Seit 2022 ermöglicht der G-BA ja die regelhafte telemedizinische Betreuung von Herzinsuffizienzpatienten. Was hat sich seither getan, hat sich eine solche Art der Versorgung in Deutschland nun etabliert?

Die telemedizinischen Mitbetreuung von Herzinsuffizienzpatienten ist für alle Beteiligten – von den Ärztinnen und Ärzten über das Assistenzpersonal bis hin zu den Abrechnungsstellen Neuland. Erstmals wird ein digitales Betreuungsverfahren Teil der Regelversorgung. Anders als bei einem neuen Medikament kann das Studiensetting aus positiven Telemedizinstudien nicht 1:1 in die Regelversorgung übertragen werden. Wenn beispielsweise die telemedizinische Betreuung wie in der Studiensituation durchgeführt werden würde, bräuchte es ca. 100 rund um die Uhr arbeitende Telemedizinzentren in Deutschland, was allein angesichts des Fachkräftemangels völlig unrealistisch wäre. Deshalb wurde in einer Qualitätssicherungsvereinbarung festgelegt, dass ein tägliches Telemonitoring von Vitaldaten der Patienten erfolgt und bei Auffälligkeiten medizinische Maßnahmen ergriffen werden. Hier befinden wir uns aktuell gerade in der Umsetzungsphase.

Wie ist die Resonanz der beteiligten Ärztinnen und Ärzte darauf?

Meine Erfahrung ist eine Dreiteilung; ein Drittel der Kollegen und Kolleginnen ist sehr aufgeschlossen bzw. hat mit der Telemedizin selbst bereits begonnen. Ein weiteres Drittel ist positiv gestimmt, aber noch abwartend. Ein Drittel lehnt eine telemedizinische Mitbetreuung als nicht nötig ab.

Wird die telemedizinische Versorgung in der gesamten Kardiologie irgendwann Standard werden?

Ja, das wird in ein bis zwei Jahren spätestens Standard sein. Denn bei der telemedizinischen Mitbetreuung handelt es sich um eine Betreuungsform, die hilft, die Lebenszeit der Herzpatienten zu verlängern und unnötige Krankenhausaufenthalte zu vermeiden.

Esel, Hund, Katze und Hahn mussten zunächst ihre Vorbehalte überwinden.

Welche Voraussetzungen müssten dafür gegeben sein und welche Hürden müssten noch überwunden werden?

Einerseits muss mehr Weiterbildung im ärztlichen Bereich, aber auch bei Assistenzpersonal zum Thema digitale Kardiologie und hier insbesondere zur Telemedizin erfolgen.

Gleichzeitig sollten auch Details der G-BA Beschlusslage anhand der aktuellen Evidenzlage und den ersten Felderfahrungen in der Umsetzung angepasst werden. Als Beispiel kann das Einschlusskriterium der linksventrikulären Ejektionsfraktion (LVEF) < 40 % dienen. Für diese Beschränkung gibt es zum einen keine Evidenz aus den positiven Telemedizinstudien. Zum anderen steht in den Qualitätssicherungsvereinbarung aktuell nicht expressis verbis was geschehen soll, wenn die LVEF während der telemedizinischen Mitbetreuung über 40 % ansteigt.

Welche Rolle kommt dabei dem Assistenzpersonal zu?

Das Assistenzpersonal nimmt eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung der Telemedizin ein. Es besteht hier eine große Aufgeschlossenheit, weil sich das Berufsbild der Pflegenden durch die erhöhte Eigenverantwortung positiv verändert. Diese Entwicklung lässt sich auch daran erkennen, dass es aktuell in der Telemedizin einen deutlich geringeren Pflegefachkräftemangel gibt.

Vielen Dank für das Gespräch!

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