Verbesserungspotenzial für die Herzmedizin 2030

Fortschritte-- Die Kardiologie entwickelt sich mit großer Geschwindigkeit weiter. In den letzten 20 Jahren haben sich die diagnostischen Möglichkeiten und die Therapieoptionen sehr stark verbessert. Aber auch heutzutage besteht in vielen Bereichen noch großer Optimierungsbedarf.

Von Prof. Stephan von Haehling Veröffentlicht:
Kardiologie ist ein spannendes und zukunftsträchtiges medizinisches Feld, das weiter große Fortschritte machen wird.

Kardiologie ist ein spannendes und zukunftsträchtiges medizinisches Feld, das weiter große Fortschritte machen wird.

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Vor etwa 20 Jahren waren viele heutige Therapiestandards nicht verfügbar, wie DOAK, TAVI-Implantationen oder die moderne Herzinsuffizienztherapie. Fast jeder Patient und jede Patientin mit reduzierter Pumpfunktion wurde koronarangiografiert, was heute durch neue Bildgebungsverfahren oft überflüssig geworden ist. Auch an eine Therapie, die in die Pathophysiologie der kardialen Amyloidose eingreifen kann, war nicht zu denken; durch Tafamidis und weitere Entwicklungen sind hier neue Möglichkeiten entstanden.

Effektivere Therapien breiteranwenden

Trotzdem bleibt viel zu tun: Der routinemäßige Einsatz der vier Grundpfeiler der Therapie der Herzinsuffizienz mit reduzierter Pumpfunktion (HFrEF) ist noch lange kein Standard. Der dem ACE-Hemmer deutlich überlegene ARNI wird noch viel zu selten eingesetzt. Gerade publizierte Studiendaten zeigen, dass SGLT2-Inhibitoren auch bei Herzinsuffizienz mit erhaltener Pumpfunktion (HFpEF) Morbidität und Mortalität reduzieren können. Damit ist nun das erste Medikament für die HFpEF verfügbar, das sich nicht auf die Therapie der Komorbiditäten oder die Diurese beschränkt. Weitere müssen folgen.

Studien mit Potenzial für neue Standards

Derzeit laufen große Studien, die das Potenzial haben, die Therapie der Herzinsuffizienz zu revolutionieren. Die Studie VICTOR will den Aktivator der löslichen Guanylatzyklase auch in der chronischen Herzinsuffizienz etablieren, und damit die aktuelle Indikation über den Einsatz nach Dekompensationsereignissen hinaus erweitern. Auch die Publikation der IRONMAN-HF-Studie wird mit Spannung erwartet, da sie zeigen wird, ob eine Therapie des Eisenmangels auch mit anderen als der bisher empfohlenen Eisencarboxymaltose bei Herzinsuffizienz sinnvoll ist.

Patientenbedürfnisse bei Studienendpunkten besser berücksichtigen

Darüber hinaus hat die Kardiologie zu spät verstanden, dass die klassischen Endpunkte in Herzinsuffizienzstudien – Morbidität und Mortalität – die Bedürfnisse der Teilnehmenden nur ungenügend reflektieren. Denn die Patienten wollen nicht nur „überleben“, sondern auch „leben“. Die Möglichkeiten Lebensqualität, Mobilität und Belastbarkeit bei Herzinsuffizienz zu verbessern oder zumindest zu erhalten, sind immer noch sehr unbefriedigend. Es ist sehr zu begrüßen, dass neue Therapiestudien diese Aspekte stärker berücksichtigen.

Auch hier ist immer der klinische Blick gefragt, zum Beispiel auf Dapagliflozin in der Preserved-HF-Studie. Der signifikante Zuwachs der 6-Minuten-Gehstrecke um durchschnittlich 20 Meter reißt nicht die Schwelle der klinischen Relevanz. Insofern wundert es nicht, dass ähnliche Studien mit Empagliflozin die Schwelle der statistischen Signifikanz nicht schafften – und immer noch von einem Klasseneffekt der SGLT2-Inhibitoren auszugehen ist. Die nächsten Jahre und der Fokus auf Lebensqualität und Belastbarkeit werden zeigen, wie wir unseren Patientinnen mit Herzinsuffizienz „leben“ ermöglichen können.

Onkokardiologie – Erfolg durchInterdisziplinarität

Die Interdisziplinarität muss auch immer wieder gefordert und gefördert werden. Aktuelle Entwicklungen betreffen Interaktionen der Kardiologie mit der Nephrologie, der Neurologie und der Onkologie. Die Onkokardiologie ist ein gutes Beispiel, da Patienten mit kardiotoxischen Nebenwirkungen langfristig kardiologisch mitbetreut werden sollten. Hier ist der von der AHA vorgeschlagene Begriff der HFimpEF interessant: Die Herzinsuffizienz mit verbesserter Pumpfunktion war bereits hochgradig reduziert, hat sich jedoch wieder erholt. Studien werden zeigen, ob wir die Therapie wieder zurückfahren dürfen – im Moment sieht es so aus, als sollte eine einmal begonnene Herzinsuffizienztherapie langfristig weitergeführt werden. Die nun etablierten Studiengruppen zur Onkokardiologie sowohl in der ESC als auch in der DGK haben mit ersten Positionspapieren auf die Thematik aufmerksam gemacht, sodass wir die Bedeutung von Bildgebung, Biomarkern und der Beurteilung des kardialen Basisrisikos vor Beginn der Chemotherapie besser verstehen.

Derzeit befinden sich Therapiestudien im Aufbau, die zeigen werden, wer wie früh von welcher kardiologischen Therapie profitieren wird und sogar, ob wir im palliativmedizinischen Setting Patienten durch medikamentöse Therapie mit klassischen kardiologischen Medikamenten eine bessere Belastbarkeit ermöglichen können – hier werden Studienendpunkte vorgeschlagen wie „ability to walk 4 meters“ oder „ability to wash oneself“, da diese für die Patienten und Patientinnen im Alltag Bedeutung haben.

Ausblick

Die Liste der Entwicklungen ließe sich beliebig fortsetzen. Wir warten auf neue Erkenntnisse zu den in Entwicklung befindlichen Faktor-XIa-Hemmern und auf neue Therapien zur Senkung von Lipoprotein(a). Eine große internationale Therapiestudie bei Patienten mit kardialer Kachexie steht kurz vor Beginn des Patienteneinschlusses.

Ich kann an dieser Stelle wirklich guten Gewissens „und so weiter“ schreiben und habe dabei noch gar nicht die rasanten Entwicklungen bei den seltenen Erkrankungen berührt, z. B. die hypertrophe Kardiomyopathie. Es bleibt spannend – und es gibt viel zu tun.

Kontakt-- Prof. Dr. Dr. med. Stephan von Haehling, Universitätsmedizin und Deutsches Zentrum für Herz- und Kreislaufforschung (DZHK) Göttingen,

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