Interview

Was denken die Fachgesellschaften über die anstehenden Reformen?

Chancen und Risiken-- Einig sind sich die beiden herzmedizinischen Fachgesellschaften DGK und DGTHG über den Reformbedarf im deutschen Gesundheitswesen. Doch was kann die zunehmende Ambulantisierung kardialer Eingriffe hierzu beitragen? Prof. Norbert Frey und Prof. Christian Hagl beziehen Stellung.

Ein Interview von Prof. Bernhard Schieffer und Veronika Schlimpert Veröffentlicht:
Chancen und Risiken einer Ambulantisierung gilt es abzuwägen, um eine optimale Versorgung zu gewährleisten.

Chancen und Risiken einer Ambulantisierung gilt es abzuwägen, um eine optimale Versorgung zu gewährleisten.

© Pitopia/kebox/mauritius images

Immer mehr herzmedizinische Eingriffe werden ambulant durchgeführt. In Zukunft soll die Ambulantisierung weiter vorangetrieben werden. Begrüßen die Fachgesellschaften (DGK und DGTHG) diese Entwicklungen?

Prof. Norbert Frey: Die DGK begrüßt die Ambulantisierung kardiologischer Eingriffe ausdrücklich, da dieses für die betroffenen Patienten und Patientinnen Vorteile durch Vermeidung von Krankenhausaufenthalten bieten kann. Man muss dabei betonen, dass diese Entwicklung erst durch immer schonendere Verfahren möglich geworden ist: Stichworte: Koronarangiografie/PCI via A. Radialis; Lokalanästhesie vs. Sedierung/Narkose usw. Moderne Techniken, z. B. Stentimplantation und Gefäßverschlusssysteme, haben die Komplikationsraten deutlich verringert.

Prof. Christian Hagl-- Herzchirurg am LMU-Klinikum München, ehemaliger Beisitzer im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG). Hagl

Prof. Christian Hagl-- Herzchirurg am LMU-Klinikum München, ehemaliger Beisitzer im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG). Hagl

© Hagl

Prof. Norbert Frey-- Kardiologe am Universitätsklinikum Heidelberg, Vorsitzender der Akademie der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK). Frey

Prof. Norbert Frey-- Kardiologe am Universitätsklinikum Heidelberg, Vorsitzender der Akademie der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK). Frey

© Frey

Prof. Christian Hagl: Die DGTHG begrüßt grundsätzlich die kritische Reflektion der gegenwärtigen Versorgungsstrukturen im deutschen Gesundheitswesen. Denn es lässt sich ein grundsätzlicher Verbesserungsbedarf im Hinblick auf die Patientenversorgung, der gesetzlich sektoral getrennten Bereiche „stationäre Krankenhausbehandlung“ und „ambulante Versorgung“ erkennen. Bei genauer Betrachtung sind neben der Qualität der Therapie, die komplexe Organisation und nicht zuletzt die wirtschaftlichen Implikationen zu berücksichtigen.

Die erste Voraussetzung für die Erbringung ambulanter Eingriffe ist die exakte Patientenidentifikation, unter Berücksichtigung der familiären und häuslichen Umstände. Obwohl herzchirurgische Eingriffe zunehmend öfter mit minimalinvasiven Verfahren, somit schonender, durchgeführt werden, sind es meist komplexe Therapien. Diese implizieren aus Sicherheitsaspekten in der frühen postoperativen Phase eine kontinuierliche Patientenüberwachung, die unter aktuellen Gegebenheiten in einem ambulanten Setting nicht gewährleistet werden kann. Dennoch gibt es Operationen, wie Herzschrittmacher-, ICD-, CRT- und Wundeingriffe, die sicher ambulant durchgeführt werden können. Bislang haben ungeeignete Rahmenbedingungen sowie unzureichende infrastrukturelle Gegebenheiten eine konsequente Umsetzung limitiert oder gänzlich verhindert. Betrachtet man die Situation in den USA und Kanada, wäre unter Umständen eine Ambulantisierung für TAVI-Eingriffe künftig möglich.

Welche Risiken sehen Sie in der Ambulantisierung?

Hagl: Grundsätzlich ist der gesetzlich vorgesehene Zeitplan für die verbindliche Umsetzung zu ambitioniert bzw. kaum realisierbar. Neben der häufig fehlenden Infrastruktur an vielen Standorten sind viele Fragen bisher nicht beantwortet. Diese beinhalten die aufwendige Prüfung der Kontextfaktoren, die Vergütung (der Sachkosten), aber auch die Frage nach einer möglichen Pauschalisierung, unabhängig von einem neuen AOP-Katalog, einer Hybrid-DRG oder von Tagesbehandlungen. Letztlich besteht die nicht unberechtigte Sorge, dass gerade die aufwendigen und unwirtschaftlichen Eingriffe in der Zukunft gezielt in die Kliniken gesteuert werden und damit weder eine stationäre Entlastung noch eine wirtschaftliche Abbildung zu erzielen ist. Unabhängig davon bleibt außerdem anzumerken, dass der herzchirurgische Facharzt nicht für eine ambulante Niederlassung vorgesehen ist.

Frey: Aus meiner Sicht besteht bei zunehmender Ambulantisierung auch die Gefahr, dass Patienten aus wirtschaftlichen Gründen zu früh entlassen werden und dann ggf. Komplikationen erleiden, wie Blutungen. Außerdem fehlen aktuell noch flexible Ausnahmeregelungen, beispielsweise für ältere Patienten bzw. Patienten mit erhöhten Blutungsrisiken oder einem allgemein erhöhten Komplikationsrisiko.

Inwieweit sind Fachgesellschaften in diesen Prozessen involviert bzw. eingebunden, also z. B. bei den Verhandlungen mit den Krankenkassen, bei politischen Entscheidungen usw.?

Frey: Fachgesellschaften durften Stellung beziehen, sie konnten allerdings nicht direkt an Entscheidungen mitwirken, was wünschenswert gewesen wäre.

Hagl: Grundsätzlich ist eine Anhörung/Involvierung der beteiligten Fachgesellschaften notwendig und wünschenswert. Leider haben jedoch die Fachgesellschaften keine wirkliche Prokura, da sie ausschließlich beratend involviert sind und die Verhandlungen der Krankenkassen mit den Leistungserbringern bzw. auf politischer Ebene mit deren Vertretern (DKG, KBV usw.) stattfindet. Unabhängig davon sollte im Vorfeld auf jeden Fall eine fachgebietsübergreifende Abstimmung erfolgen. Gemeinsame Konzepte zwischen den herzmedizinischen Fachgesellschaften stärken den Einfluss auf gesundheitspolitische Entscheidungen. Ziel muss es sein, nicht umsetzbare Auflagen vor der Implementierung durch Entscheidungsträger ohne Detailkenntnis abzuwenden.

Würden Sie sich hier mehr Einflussnahme durch die Fachgesellschaften wünschen?

Hagl: Die Mitglieder wissenschaftlicher Fachgesellschaften führen die Patientenbehandlungen durch. Durch deren interne Vernetzung werden wichtige Informationen generiert. Sie verfügen über Fachkenntnisse, um unabhängig auf Basis der Wissenschaft Stellung zu beziehen. Zudem können so Aspekte zur Umsetzbarkeit, zur notwendigen Infrastruktur und zur Beantwortung offener Fragen diskutiert werden. Auch im Sinne unserer Patienten ist daher eine Einflussnahme ausdrücklich zu befürworten, speziell um zu verhindern, dass Entscheidungen alleine durch die Kostenträger getriggert werden.

Frey: Dem stimme ich zu, „Wir sind Anwälte der Patienten“, daher sollte die Entscheidung stationär/ambulant in der Hand der Ärzte und Ärztinnen bleiben und nicht von wirtschaftlichen Überlegungen dominiert sein.

Welche Voraussetzungen müssen aus Sicht der Fachgesellschaften gegeben sein, um die sichere Versorgung der Patientinnen und Patienten gewährleisten zu können?

Hagl: Eine adäquate und flächendeckende Versorgung unserer Patienten muss das oberste Ziel jeder Entscheidung sein. Dabei muss die Bevölkerungsdemografie mit ihrer Altersentwicklung und patientenindividuelle Komorbiditäten bedacht werden. Mobilität, digitale Vernetzung und Infrastrukturgegebenheiten sind aktuell bei Weitem nicht ausreichend, um eine optimale Versorgung zu gewährleisten. Eine Ambulantisierung muss patientenorientiert und insbesondere sicher gestaltet sein und für die Leistungserbringer vor allem angemessen realisierbar und letztlich mindestens kostendeckend sein!

Frey: Wie bereits oben erwähnt, muss die letzte Entscheidung immer beim behandelten Arzt/der behandelten Ärztin liegen. Ärzte dürfen dabei keine wirtschaftlichen Nachteile befürchten müssen.

Was denken Sie, wie wird sich die zunehmende Ambulantisierung auf die Arbeit von klinisch tätigen Herzmedizinern auswirken?

Frey: Klinisch tätige Kardiologinnen und Kardiologen müssen noch mehr Verantwortung übernehmen, was die Einschätzung ihrer Patienten betrifft, denn es wird weniger Zeit für die Nachbeobachtung zur Verfügung stehen. Die Qualitätsanforderungen werden weiter steigen, da sich mögliche Komplikationen im ambulanten Bereich schwerer auswirken könnten. Die Aus- und Weiterbildung wird möglicherweise komplexer zu organisieren sein.

Hagl: Für klinisch stationär tätige Herzchirurgen und Herzchirurginnen werden sich kurzfristig keine wesentlichen Veränderungen ergeben. Die bereits erwähnten potenziell ambulant zu erbringenden Eingriffe werden im Schwerpunkt die sog. „Herzrhythmus- bzw. Device-Eingriffe“ umfassen. Ob der ambulante Sektor in der Herzchirurgie in Zukunft neue Spezialisierungen oder Karrierechancen eröffnet, bleibt fraglich.

Welche Chancen bringt die Ambulantisierung?

Hagl: Eine Entlastung der stationären Krankenhausbehandlung – speziell vor dem Hintergrund des infrastrukturell vorhandenen Investitionsstaus und des eklatanten Pflegedienstmangels – erfordert eine Ambulantisierung, wo immer möglich. Voraussetzung ist der Aufbau entsprechenden Strukturen im ambulanten Sektor, damit die bisher noch sehr theoretischen Überlegungen konsequent umgesetzt werden können. Man darf nicht vergessen, dass auch hier die ausreichende personelle Ausstattung sowie die notwendige Digitalisierung für viele Institutionen oder Praxen eine logistische Herausforderung darstellt. Zu berücksichtigen bleibt, dass eine einmalige Behandlung von Patienten oder die Versorgung chronisch Erkrankter mit der Notwendigkeit multipler Konsultationen unterschiedlicher Konzepte bedürfen. Somit sollte letztlich nicht nur die „Ambulantisierung“ alleine betrachtet werden, sondern vielmehr über die Umsetzung einer patientenorientierten medizinischen und finanzierbaren Versorgung im ambulanten und ambulant/stationären Schnittstellenbereich nachgedacht werden. In diesem Zusammenhang gäbe es auch die Möglichkeit, die stationäre Verweildauer für bestimmte Eingriffe (z. B. MIC-MKR) zu senken, um eine zügige Entlassung zu forcieren und damit Fehlanreizen durch längere bezahlte Liegezeiten entgegenzuwirken.

Frey: Von einer zunehmenden Ambulantisierung erwarte ich mir eine effizientere Nutzung von Ressourcen im Krankenhaus. Der vorhandenen Pflegemangel stellt uns vor große Herausforderungen. Wenn also Eingriffe zukünftig mehr ambulant erfolgen, braucht es weniger Personal im stationären Bereich. Außerdem ist mit einer höheren Patientenzufriedenheit zu rechnen, weil die Menschen schneller ins häusliche Umfeld entlassen werden können.

Vielen Dank für das Gespräch!

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