Antikoagulation absetzen nach Ablation?
Pro & Kontra-- Kann bei Patienten mit einem CHA2DS2-VASc von < 3 (Männer) bzw. < 4 (Frauen) die Antikoagulation nach erfolgreicher Ablation abgesetzt werden? In ausgewählten Fällen ist das möglich, meint PD Dr. Julian Chun. PD Dr. Harilaos Bogossian sieht das anders.
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Eine orale Antikoagulation ist laut Leitlinien auch nach erfolgreicher Ablation bei einem CHA2DS2-VASc von ≥ 2 bzw. 3 indiziert.
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Ein 65-jähriger Mann mit paroxysmalem Vorhofflimmern und einem CHA2DS2-VASc-Score von 2 wurde erfolgreich abladiert. Bis auf eine Hypertonie hat er keine weiteren Erkrankungen in der Vorgeschichte. Der Mann ist ein ambitionierter Skifahrer. Braucht dieser Patient nach einer erfolgreichen Ablation wirklich eine lebenslange Antikoagulation? Mit dieser Frage beschäftige sich eine Pro & Kontra-Debatte bei den diesjährigen Herztagen in Bonn. PD Dr. Julian Chun vom Cardioangiologischen Centrum Bethanien in Frankfurt vertrat die Pro-Position, also ein Absetzen ist möglich. PD Dr. Harilaos Bogossian vom evangelischen Krankenhaus Hagen-Haspe übernahm den Kontra-Part.
Chun vertrat Pro-Argumente
Für Chun ist der erwähnte Patient ein Grenzfall, in dem man über das Absetzen einer Antikoagulation zumindest nachdenken kann. „Ich glaube tatsächlich, dass dieses Holzschnittartige, jeder mit einem CHA2DS2-VASc von 2 erhält eine lebenslängliche Antikoagulation, nicht unproblematisch ist“, gab der Kardiologe zu bedenken. Chun weiß natürlich, dass er sich mit dieser Einstellung abseits der Leitlinienempfehlungen bewegt. Diese sprechen sich bei einem CHA2DS2-VASc von ≥ 2 (Männer) bzw. ≥ 3 (Frauen) mit einer Klasse-IA-Indikation eindeutig für eine Fortsetzung der Antikoagulation aus, unabhängig von dem Erfolg der Katheterablation. Diese Empfehlung sei aber nur ein Konsensus (Level C), merkte Chun an. „Das heißt, eigentlich könnten wir alle hier darüber abstimmen“, verdeutlichte er. Außerdem betonte der Kardiologe, dass „Leitlinien keine Gesetze sind“. Sprich, man kann auch mal davon abweichen, wenn die Situation es hergibt. Er selbst sei bei gewissen Patienten offen, das anders zu entscheiden.
Chun geht es dabei nicht um die unmittelbare Zeit nach der Ablation. Studien zufolge ist die Ereignisrate hier besonders hoch. „Die erste Phase ist gefährlich“, bekräftigte er. In der Blanking-Periode von circa acht Wochen empfiehlt Chun deshalb auf alle Fälle eine Fortführung der oralen Antikoagulation (OAK). Chun geht es auch nicht um Patienten, die ein eindeutig erhöhtes Schlaganfallrisiko aufweisen, z. B. solche mit Vorhofflimmern-Rezidiven und einem bereits stattgehabten Schlaganfall in der Anamnese. Hier ist eine OAK eindeutig indiziert. Der Kardiologe spricht von Fällen im „Graubereich“, wie der zu Beginn erwähnte Beispielpatient.
CHA2DS2-VASc nicht ideal
In seiner Argumentationskette zog Chun zuerst die Aussagekraft des CHA2DS2-VASc-Scores in Zweifel. Dieser sei nicht der ideale Risikoschätzer, gab er zu bedenken. Eine präzisere Vorhersage erlaubt Chun zufolge womöglich der ABC-Score, der die Faktoren Alter, Biomarker (NT-proBNP, Troponin T, GDF15) und klinische Vorgeschichte berücksichtigt. Als weiteres Argument verwies Chun auf das Blutungsrisiko, das mit einer lebenslange OAK vergesellschaftet ist. In Real-Life-Studien beträgt die Rate für schwerwiegende Blutungsereignisse bei Patienten, die mit DOAKs behandelt werden, 4,6 % bis 6,7 % pro Jahr. Wie der Kardiologe ausführte, wirken sich solche Ereignisse auf die Prognose aus. „Blutungen auch unter DOAK sind gefährlich“, betonte er.
Zusammenhang zwischen Vorhofflimmern-Last und Schlaganfallrisiko
Chun hält ein Absetzen der Antikoagulation nach erfolgreicher Ablation auch deshalb für möglich, weil seiner Ansicht nach ein Zusammenhang zwischen Vorhofflimmern-Last und Schlaganfallrisiko existiert. Sinkt die Vorhofflimmern-Last, sinkt auch das Schlaganfallrisiko, lautet sein Credo. Wissenschaftlich begründet der Kardiologe dies u. a. mit einer 2022 in Circulation AEP publizierten Studie, in der eine Assoziation zwischen Vorhofflimmern-Last und kardiovaskulärem Outcome festgestellt wurde. Außerdem verweist er auf schwedische Registerdaten. Diese zeigen, dass die Schlaganfall- und Sterberaten durch eine Katheterablation reduziert werden. Bekanntlich hat sich ein entsprechender Effekt in der CABANA-Studie nicht nachweisen lassen. Das weiß auch Chun. In der Studie habe es aber ein Signal gegeben: Die Schlaganfallraten waren in der Ablationsgruppe numerisch deutlich geringer. Entscheidend ist Chun zufolge, dass die richtigen Patienten für die Ablation ausgewählt werden und dass ein Sinusrhythmus erreicht wird. So ging das Vorhandensein eines Sinusrhythmus in der EAST-AFNET-4-Studie mit einer Reduktion der Endpunkte einher, wie der Kardiologe berichtete.
Zu guter Letzt spricht sich Chun für die Implementierung einer „tailored medicine“ aus. Damit meint er, dass die Entscheidung für oder gegen eine Antikoagulation individuell in Abhängigkeit der vorhandenen Vorhofflimmern-Last getroffen wird. Die Idee: Patienten monitoren ihre Vorhofflimmern-Last über Handgelenks-Wearables selbst. Wird dabei eine Vorhofflimmern-Episode detektiert, wird der Patient vorübergehend mit einem DOAK behandelt. Findet sich nichts, braucht der Patient keine OAK. Ein Konzept, das jetzt auch in einer Studie untersucht wird (REACT-AF).
Bogossian übernahm Kontra-Part
Von einem Absetzen der Antikoagulation nach erfolgreicher Katheterablation hält Bogossian dagegen nichts, wenn das Schlaganfallrisiko hoch ist. „Bei hohem Risiko muss die Antikoagulation fortgeführt werden“, erinnerte er an die aktuellen Leitlinienempfehlungen. Egal, wie die Ablation ausgegangen sei.
Argumentativ stellte Bogossian zunächst den Terminus „erfolgreiche Ablation“ infrage. In Studien liegt die Vorhofflimmern-Rezidivrate bei 18 % bis 40 %. Vorhofflimmern durch eine Ablation für immer wegzubekommen, hält Bogossian für utopisch, weil es seiner Ansicht nach eine progressive Erkrankung ist. „Die Patienten bekommen das Vorhofflimmern wieder – das ist leider so“, gab der Kardiologe zu bedenken. „Wir können das Vorhofflimmern nicht heilen“, bekräftigte er weiter. Auch wenn die Behandlung besser geworden sei, handelt es sich um eine fortschreitende Erkrankung.
Selbst nach scheinbar „erfolgreicher“ Ablation ist seiner Ansicht nach das Risiko, einen Schlaganfall zu entwickeln, bei Patientinnen und Patienten mit einem CHA2DS2-VASc-Score von ≥ 2 (Männer) bzw. ≥ 3 (Frauen) zu hoch, um auf eine Antikoagulation verzichten zu können. Bei einem CHA2DS2-VASc-Score von 2 und einer Vorhofflimmern-Last von einem Tag hätten nicht antikoagulierte Patienten ein Schlaganfallrisiko von 1,5 %, begründete er seine Einstellung. Bogossian zitiert zur Bekräftigung seiner These aus einem 2021 veröffentlichtem Editorial: „Wir können uns nicht sicher sein, dass ein Absetzen der OAK bei Patienten mit einem CHA2DS2-VASc von ≥ 2 sicher ist“, heißt es darin.
Schlaganfälle unbedingt verhindern
Der Kardiologe erinnerte an die Gefahren, die von einem ischämischen Schlaganfall ausgehen. Die 5-Jahres-Mortalität liege bei 60 %, berichtete er. Ein solch dramatisches Ereignis sollte seiner Ansicht nach daher unbedingt vermieden werden. Das sei die Hauptsäule des Vorhofflimmern-Managements. Auf die von Chun hervorgebrachten Bedenken in Bezug auf Blutungsrisiken entgegnete Bogossian, dass mit neuen Medikamenten zur Gerinnungshemmung zu rechnen sei. Konkret verweist er auf die Faktor-XIa-Inhibitoren. In Phase-II-Studien verursachten diese im Vergleich zu den konventionellen DOAKs deutlich weniger Blutungskomplikationen. Sprich, in Zukunft wird sich das Problem – das jedenfalls hofft Bogossian – durch die Einführung dieser Medikamente mehr oder weniger beheben lassen.
Personalisierte Therapie
Einig ist sich Bogossian mit Chun, dass das Vorhofflimmern-Management in Zukunft personalisierter ausfallen sollte. Wie der Kardiologe ausführte, hat die Genetik Einfluss auf die Entstehung von Vorhofflimmern. „Auch beim Vorhofflimmern müssen wir davon ausgehen, dass es Patienten gibt, die genetisch anders sind“, sagte er. Derzeit werde dies aber noch ignoriert: „Wir machen eine stupide Phänotyp-Behandlung“, gab der Kardiologe zu bedenken. „Wir sehen Vorhofflimmern, wir behandeln Vorhofflimmern und hauen mit allem drauf.“ In Bogossians Vorstellung sollte sich das Vorgehen in der Zukunft ändern, hin zu einer personalisierten Genotyp-basierten Behandlung. Vorstellbar wäre, dass Vorhofflimmern-Patienten nach ihren Genen charakterisiert und entsprechend behandelt werden. Ein solches Vorgehen ist Bogossian zufolge auch für die Antikoagulation denkbar: „Vielleicht können wir dann auch sagen, wer die Antikoagulation braucht und wer nicht“.
Fazit
Chun plädierte dafür, bei ausgewählten Vorhofflimmern-Patienten und Patientinnen nach erfolgreicher Ablation über ein Absetzen der Antikoagulation nachzudenken.
Bogossian plädierte dafür, sich an die Leitlinien zu halten: Diese empfehlen bei hohem Risiko eine Fortsetzung der Antikoagulation.
Quelle-- DGK-Herztage 2022, 29. September – 1. Oktober 2022 in Bonn