Gerinnungshemmung

Ein Comeback für Bivalirudin?

STEMI-Interventionen-- Die BRIGHT-4-Studie rückt Bivalirudin zurück in den Fokus. Bei STEMI-Interventionen über einen radialen Zugang wurden Endpunktereignisse im Vergleich zu Heparin um ein Viertel reduziert.

Von Philipp Grätzel Veröffentlicht:

Die BRIGHT-4-Studie war eine offene, randomisierte Multicenterstudie, an der 6.016 Patientinnen und Patienten an 63 Zentren in China teilnahmen. Die Ergebnisse wurden von Prof. Gregg Stone von der Kardiologie am Mount Sinai Heart Health System in New York bei der AHA-Tagung vorgestellt und zeitgleich im Lancet publiziert. Es handelte sich um Patienten mit ST-Hebungsinfarkt (STEMI), die sich einer perkutanen Intervention unterzogen, zu 93 % über einen radialen Zugang.

Die Patienten – keiner von ihnen hatte zuvor Fibrinolytika oder GP-IIb/IIIa-Inhibitoren erhalten oder war antikoaguliert – wurden entweder mit einer Bolus-Gabe des Thrombin-Blockers Bivalirudin plus anschließende Infusion in hoher Dosis behandelt oder mit einer Standardtherapie, also mit unfraktioniertem Heparin. Im Verlauf der Intervention waren GP-IIb/IIIa-Inhibitoren in beiden Gruppen nach Bedarf erlaubt.

Statistisch signifikante Vorteile für Bivalirudin vs. Heparin

Primärer Endpunkt der Studie war ein Komposit aus Gesamtmortalität oder schwerer Blutung, definiert als BARC-Blutungen Typ 3 bis 5 innerhalb von 30 Tagen. Ein so definiertes Endpunktereignis trat bei Bivalirudin-Behandlung bei 3,06 % der Patienten auf, gegenüber 4,93 % in der Heparin-Gruppe. Die Gesamtmortalität innerhalb von 30 Tagen betrug 2,96 % bei Bivalirudin-Therapie und 3,92 % bei Heparin-Behandlung. Diese Unterschiede waren jeweils statistisch signifikant. Auch bei den Blutungen gab es mit 0,17 % versus 0,80 % einen statistisch hoch signifikanten Vorteil für Bivalirudin.

Bivalirudin sollte festen Platz im Katheterlabor erhalten

Stone betonte in Chicago, dass Bivalirudin spätestens nach dieser Studie aus seiner Sicht einen festen Platz im kardiologischen Katheterlabor haben sollte. Die nach zahlreichen, teils widersprüchlichen Studien in der Vergangenheit etwas umstrittene Datenlage sei damit geklärt. Bivalirudin war in zumindest zwei Studien mit einem erhöhten Stentthrombose-Risiko assoziiert gewesen, und die Europäische Gesellschaft für Kardiologie hatte ihm daraufhin im Jahr 2017 in ihrer STEMI-Leitlinie nur noch eine IIa-Empfehlung gegeben, Heparin dagegen hat eine Klasse-I-Empfehlung. Es blieb allerdings unklar, wie viele von den Problemen des Bivalirudin auf die Applikationsprozeduren zurückgingen.

Das in der chinesischen BRIGHT-4-Studie genutzte Applikationsschema mit Bolus-Gabe und hoch dosierter Infusion im Anschluss sei praktikabel und funktioniere, betonte Stone in Chicago. Aus seiner Sicht sei eine Mortalitätssenkung um absolut 0,9 Prozent nicht trivial, betonte der Kardiologe. Bezogen auf den primären Kombinationsendpunkt errechnet sich in der BRIGHT-4-Studie für die Infarktpopulation mit radialem Zugang eine „Number Needed to Treat“ gegenüber einer Heparin-Monotherapie von 76 Patienten.

Studie allein reicht für Leitlinienänderung nicht aus

Skeptischer, aber im Kern ebenfalls positiv, äußern sich Kardiologen um Prof. Adnan Kastrati vom Deutschen Herzzentrum in München in einem die Lancet-Publikation begleitenden Editorial. Sie halten die Ergebnisse der BRIGHT-4-Studie allein noch nicht für ausreichend, um die Leitlinien wieder zu ändern. Sie sehen aber den dringenden Bedarf für bestätigende Studien mit hoch dosiertem Bivalirudin, die das Medikament dann vielleicht doch irgendwann zum Antikoagulans der ersten Wahl beim STEMI machen könnten.

Fazit

Eine Behandlung mit Bivalirudin hat bei STEMI-Interventionen mit radialem Zugang gegenüber einer HeparinTherapie Vorteile gebracht.

Laut dem Studienautor sollte Bivalirudin deshalb einen festen Platz im Katheterlabor haben.

Andere Experten äußern sich hinsichtlich der Leitlinienempfehlungen etwas vorsichtiger.

Quelle-- Late Breaking Science VI, AHA-Kongress 2022, 5.–7. November 2022 in Chicago

Literatur-- Li Y et al. Lancet. 2022; https://doi.org/10.1016/S0140-6736(22)01999-7
Coughlan JJ, Kastrati A. Lancet. 2022; https://doi.org/10.1016/S0140-6736(22)02162-6

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