Es warten spannende Entwicklungen auf uns
Vorschau auf 2023-- Das Jahr ist jung, und viele Herausforderungen stehen vor uns: die geplante Weiterentwicklung der Fallpauschalen, die zunehmende Ambulantisierung kardiologischer Leistungen, und natürlich die klinische Arbeit, die uns immer wieder fordert und deshalb auch eine psychische stabile Verfassung erfordert.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele von uns nehmen sich fürs Neue Jahr immer wieder gute Vorsätze vor: z. B. Abnehmen. Oft bleibt es bei den guten Vorsätzen, im Alltag bleibt der Erfolg meist aus.

Prof. Dr. med. Meinrad Gawaz-- Universitätsklinikum Tübingen
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Prof. Dr. med. Tienush Rassaf-- Universitätsklinikum Essen
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In den letzten Jahren entstand eine ganze Forschungslandschaft, die das Übergewicht in den Vordergrund stellt. Neue pharmakologische Substanzen wurden erfolgreich entwickelt. Jüngste klinische Studien belegen, dass man mit Medikamenten leichter abnehmen kann als durch ein verändertes Ernährungs- und Bewegungsverhalten. Seit Jahren nimmt das Körpergewicht in fast allen Bevölkerungsschichten zu. Besonders besorgniserregend ist die Übergewichtigkeit bei Kindern und Jugendlichen.
Dass Übergewicht und das oft epikardiale Fettgewebe nicht gesund sind, wird bei Patienten mit Vorhofflimmern eindrücklich. Übergewichtige leiden öfter an einer Form der diastolischen Herzinsuffizienz und haben ein erhöhtes Risiko für Vorhofflimmern. Neuere Registerdaten belegen (was schon bekannt war), dass eine erfolgreiche interventionelle Behandlung des Vorhofflimmerns ganz wesentlich vom Gewicht bzw. der Gewichtsreduktion abhängt. Sollte bei einem Vorhofflimmern-Rezidiv, bevor eine Zweitablation erfolgt, vom Patienten eine merkbare Gewichtsreduktion eingefordert werden, um zu beweisen, dass er es ernst nimmt mit seiner Erkrankung? Denkbar ist, dass vor der Entscheidung zur Re-Ablation der Patient eine Ernährungsberatung im Rahmen einer Adipositassprechstunde (wie vor bariatrischen OPs) erhält. Oder sollte er begleitend mit gewichtssenkenden Medikamenten versorgt werden? Dies wäre eine spannende Frage, mit der sich künftige klinische Studien beschäftigen könnten. Andererseits kann man dieses Thema ausweiten: Gewichtsreduktion, Sport, gute Ernährung, Nikotinkarenz – all das könnte man als Voraussetzung festlegen, ehe teure Medikamente verschrieben oder komplexe Eingriffe durchgeführt werden. Kann oder muss? Zumindest sollte man darüber nachdenken und diskutieren.
Mangelhafte Therapieumsetzung
Trotz überzeugender Datenlage und klaren fachkardiologischen Leitlinien werden Therapiekonzepte im Alltag nicht konsequent umgesetzt – ein bekanntes Phänomen mit mannigfaltigen Ursachen. Gerade für eine moderne Herzinsuffizienzversorgung wäre es wünschenswert, wenn die Therapieoptionen voll und nachhaltig ausgeschöpft werden. Dies kommt nicht nur dem Betroffenem zugute, sondern auch dem Gesundheitssystem, da ungeplante Klinikaufnahmen zurückgehen. Oft besteht auch Unsicherheit im niedergelassenen Bereich bzgl. der Weiterbehandlung. Zudem brauchen die Patienten eine intensivere und auch zeitaufwendigere Behandlung, was im Alltag nicht immer gegeben ist. Der weitere Aufbau von Herzinsuffizienznetzwerken ist daher absolut notwendig. Hierzu müssen jedoch strukturelle, ökonomische und personaltechnische Entwicklungen stattfinden.
Was oft gemacht wird, wird in der Regel besser gemacht. Das gilt besonders für interventionelle Klappeneingriffe wie die TAVI. Dabei geht es nicht nur um die Mortalität, sondern auch um die Erfahrung des Zentrums in puncto Patientenauswahl, Vorbereitung und postinterventioneller Betreuung. Die Diskussion auf den einzelnen Implanteur zu reduzieren, greift zu kurz. Natürlich muss ein Behandler erfahren und kontinuierlich tätig sein. Aber die Logistik um den Eingriff herum ist fast genauso wichtig, um den Therapieerfolg sicherzustellen. Dies ist umso wichtiger, wenn Ältere mit erheblichen Komorbiditäten betroffen sind. Die DGK hat mit der TAVI-Zertifizierung einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Mindestmengen sind bei allen invasiven Eingriffen sinnvoll.
Bisher haben wir eine komplexe metabolische Störung wie die Dyslipoproteinämie auf einen behandelbaren Wert wie das LDL-C reduziert. Wir waren zufrieden, wenn die Zielwerte erreicht wurden. Die Triglyzeride frei oder gebunden in den VLDL oder Chylomikronen standen nicht im Fokus. Jetzt zeigt sich, dass auch das sog. „remnant“-Cholesterin eine nicht unerhebliche Bedeutung hat. Erhöhte Werte scheinen das kardiovaskuläre Risiko unabhängig vom LDL-C deutlich zu steigern. Auch wenn es derzeit keine pharmakologische Therapieoption gibt, sollte intensive Forschung in diese Richtung erfolgen. Generell bestätigen diese Befunde jedoch, dass die Dyslipoproteinämie der entscheidende KHK-Risikofaktor ist.
Psyche mehr im Blick haben
Sind wir Kardiologinnen und Kardiologen zunehmend durch unsere Tätigkeit gefährdet? Weltweit jede/jeder vierte kardiologisch tätige Ärztin/Arzt hat psychische Schwierigkeiten, mit dem Beruf fertig zu werden. Vor allem jüngere Menschen scheinen betroffen zu sein. Was ist die Ursache? Sicher sind die Bedingungen am Arbeitsplatz entscheidend für das Wohlbefinden. Dies gilt für jeden Beruf. Aber warum nehmen trotz verbesserter Arbeitsbedingungen (z. B. reduzierte, flexiblere Arbeitszeiten, bessere Betreuungskonzepte, berufsbegleitende Unterstützung, Einarbeitung) besonders bei Kardiologen psychische Probleme zu? Ist dies nicht ein generelles gesellschaftliches Problem? Stress, Zukunftsangst, die vielen globalen Katastrophen? Die Signale aus der weltweiten Umfrage müssen uns zu denken geben und offen angesprochen werden. Nur eine gesunde psychisch stabile Verfassung kann dem verantwortungsvollen und anspruchsvollen Beruf als Herzmediziner gerecht werden. Die CardioNews wird dieses wichtige Thema in Zukunft vermehrt aufgreifen.
Diskussionen um Fallpauschalen
Soll das Fallpauschalen-System beibehalten werden? Eine zeitgemäße Frage. Seit 2004 haben wir uns daran gewöhnt, anhand von Fallpauschalen die Klinikfinanzierung zu steuern. Dies hat ohne Zweifel zu einem Leistungsanreiz geführt, der nicht nur medizinisch sinnvoll war. Ein Zurück auf die Bettenpauschale, wie sie vor 2004 galt, ist sicher unvernünftig. Das Beibehalten des derzeitigen DRG-Systems ebenso. Wie könnte die Weiterentwicklung aussehen? Ein schlüssiges Konzept hat die Politik bisher nicht entwickelt. Dies ist aber notwendig. Das Gesundheitsministerium muss hier mehr Arbeit reinstecken, ähnlich wie zu Coronazeiten. Das Engagement der Politik in Richtung legalem Cannabiskonsum ist nebensächlich. Was machen wir aber mit dem immer größer gewordenen Verwaltungsapparat in den Kliniken und im Medizinisch Technischen Dienst (MDK). Man kann bei der Entwicklung den Eindruck gewinnen, dass immer mehr Ärztinnen und Ärzte die Kollegen am Krankenbett kontrollieren. Und das bei unserem Fachkräftemangel. Etablierte Verwaltungsstrukturen sind jedoch nur schwer zu verändern – zumindest schwerer als ärztliche Versorgungsstrukturen am Patienten. Was machen die Mitarbeiter in der Verwaltung, wenn die „Sturmwarnungen“ im stationären und niedergelassenen Bereich sich in „Sturmschäden“ umwandeln (Überlastung, Personalmangel)? Krankenhausträger sind gefordert, mehr für die Mitarbeitenden zu tun und für Entlastung besonders bei Dokumentation und nicht direkt bei patientenrelevanten Tätigkeiten zu sorgen.
Die CPU ist ein Erfolgsmodell. Eigentlich wurde das Konzept entwickelt, um Patienten mit Brustschmerzsymptomatik schneller zu diagnostizieren und zu behandeln. Bald hat sich jedoch die CPU als zentrale „Schaltstelle“ an Kliniken entwickelt, die Ansprechpartner für alle kardiologisch kritischen Patienten darstellt. Die CPU ist deshalb nicht nur im Rahmen einer Notaufnahme, sondern generell in der Versorgung stationärer Patienten zunehmend gefordert, um einen optimalen Klinikbetrieb zu gewährleisten. Die Entscheidung und Würdigung des GBA, die CPU als nicht mehr wegzudenkende Krankenhauseinheit zu würdigen, ist sinnvoll.
Ambulantisierung schreitet fort
Sollen immer mehr kardiologische Patienten ambulant behandelt werden? Eine spannende Frage. Neben den Schrittmacherpatienten ist dies bestimmt auch für Patienten mit KHK nach PCI und Radialiszugang machbar, auch für bestimmte Patienten nach Ablation. Was von der Politik nicht ausreichend berücksichtigt wird, ist der Umgang mit älteren, oft alleinstehenden Patienten. Selbst nach einem „kleinen“ Klinikaufenthalt ist die unmittelbare ambulante Versorgung meist nicht gesichert. Weder gibt es oft die nötigen Strukturen in den Kliniken noch für die Nachsorge. Der Gesetzgeber überlässt die Entscheidung dem Arzt oder dem Patienten, ob er ambulant versorgt werden möchte.
Zahlreiche wertvolle klinische Studien wurden im Jahr 2022 abgeschlossen: zu TAVI-Protektionssystemen, zu Therapien von ventrikulären Tachykardien oder zur kathetergestützten Therapie der Trikuspidalinsuffizienz. Überaus spannende Entwicklungen erwarten uns in der Herzmedizin und natürlich in der CardioNews. Das Jahr ist jung, Kardiologie ist dynamisch ... lassen Sie uns loslegen und aus dem Vollen schöpfen
Herzliche Grüße
Tienush Rassaf und Meinrad Gawaz