SGLT-2-Inhibitoren für alle Herzpatienten?
Diabetes, Herz- und Niereninsuffizienz-- SGLT-2-Inhibitoren haben starke Leitlinien-Empfehlungen bei Volkskrankheiten. Sollten alle kardiologischen Patienten damit behandelt werden? Eine rhetorische Pro-und-Kontra-Debatte bei den DGK-Herztagen beleuchtete Therapiedefizite und Grenzen des Einsatzes.
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Sollen alle kardiologischen Patienten ohne Kontraindikationen einen SGLT-2-Hemmer bekommen? Firn/picture alliance/imageBROKER
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„Alle“ ist ein großes Wort und stimmt meist nicht, leitete Prof. Michael Böhm, Uniklinik in Homburg, ein, der dennoch den Pro-Part übernahm. Diabetes, reduzierte Nierenfunktion, Herzinsuffizienz: Wie viele Patienten sehen wir Kardiologen in der Praxis, ohne dass eine dieser Krankheiten vorliegt? fragte Böhm.
Diabetes mellitus
SGLT-2-Inhibitoren sind in der antidiabetischen Therapie oft eine gute Option. Bei kardiovaskulären Grunderkrankungen oder Risikofaktoren haben sie eine IA-Leitlinienempfehlung. Wenn Diabetiker eine Nierenschwäche aufweisen, werden sie zur Prävention der Herzinsuffizienz empfohlen – ebenfalls mit Klasse IA.
Herzinsuffizienz
Bei Herzinsuffizienz sind sie in allen Formen unabhängig von der Ejektionsfraktion ebenfalls mit einer Klasse-IA-Empfehlung Standardtherapie. Bei Luftnot und kardialem Phänotyp, auch bei erhaltener Ejektionsfraktion, sollte immer ein SGLT-2-Inhibitor verordnet werden, so Böhm.
Chronische Nierenerkrankung
Bei einem breiten Spektrum von chronischen Nierenerkrankungen verbessern SGLT-2-Inhibitoren renale und kardiovaskuläre Komplikationen so deutlich, dass sie auch hier eine Klasse-IA-Leitlinienempfehlung erhalten haben. Dies gilt bereits ab einer eGFR < 60 ml/min/1,73 m2 oder einer moderaten Albuminurie. Bei vielen Patienten liegen Herz- und Nierenschwäche simultan vor, sodass gleich zwei Gründe für den Einsatz von SGLT-2-Inhibitoren vorliegen.
SGLT2i nicht für alle, aber bei gegebener Indikation konsequent!
Der Pharmakologe Prof. Martin Schulz vom Institut für Pharmazie der FU Berlin übernahm die Rolle, sich gegen SGLT-2-Inhibitoren im Trinkwasser kardiologischer Patienten auszusprechen. Bei Diabetes liegen nur bei gut der Hälfte der Patienten und Patientinnen kardiovaskuläre Erkrankungen oder Risikofaktoren vor. Für diese wird nicht nur ein SGLT-2-Inhibitor, sondern alternativ auch ein GLP-1-Rezeptor-Agonist empfohlen. Bei Herzinsuffizienz gilt die IA-Empfehlung für symptomatische chronische Fälle ab dem Stadium NYHA II. Zudem gebe es Hinweise, dass die Wirksamkeit bei niedrigen NT-proBNP-Werten sowie bei einer hohen Auswurffraktion über 60 % schwächer ausgeprägt sei.
Keine Indikation und Kontraindikationen
Keine Indikation besteht laut Schulz bei Vorhofflimmern, Kardiomyopathien, Herzklappenerkrankungen, Myokarditis, Amyloidose, pulmonaler Hypertonie, akutem/chronischem Koronarsyndrom, Hypertonie, Schlaganfall oder PAVK. Zu beachten sei das 2- bis 3-fach erhöhte Risiko für Genitalinfektionen sowie das um das – v. a. bei Diabetes – zweifach erhöhte Risiko für Ketoazidosen, welches ein „sick-day-management“ erforderlich mache. Bei Kindern unter 18, in Schwangerschaft und Stillzeit, bei Hypotonie, in Kombination mit Insulin sowie bei terminaler Niereninsuffizienz sind SGLT-2-Inhibitoren nicht indiziert.
Deutliche Untertherapie
Schulz plädierte dafür, SGLT-2-Inhibitoren bei gegebener Indikation und IA-Leitlinienempfehlung konsequent einzusetzen. Dies sind Millionen von Patienten mit chronischer Herz- oder Niereninsuffizienz oder Diabetes in Deutschland. Von diesen werden bisher nur ca. 20 % behandelt. Es sei noch große Anstrengung notwendig, damit diese Medikamente hier leitliniengerecht eingesetzt werden, so Schulz. Man geht davon aus, dass in gut 10 % der Fälle das erste Rezept gar nicht eingelöst wird. Knapp jeder vierte beendet die Therapie im ersten Jahr wieder, obwohl das Einnahmeschema (1×/d ohne Aufdosierung) einfach ist. Die Sicherung einer hohen Therapietreue ist eine kontinuierliche ärztliche Aufgabe.
Fazit
Nicht alle Herz-Patienten profitieren von SGLT-2-Inhibitoren.
Bei Indikationen mit IA-Leitlinienempfehlungen werden sie derzeit nur zu ca. 20 % eingesetzt.
Neben der Erstverschreibung muss auch an die Therapietreue gedacht werden.
Quelle-- DGK Herztage, 5. bis 7. Oktober 2023 in Bonn; Sitzung „Great Debate II“