Wissenschaftliche Nutzung von nicht transplantiertem Humangewebe

Organspende-- Was passiert eigentlich mit Spenderorganen und -geweben, die nicht transplantiert werden? Dürfen sie für Forschungszwecke verwendet werden? Bedarf bestünde, denn viele wissenschaftliche Fragestellungen ließen sich am besten mithilfe dieses einzigartigen Materials beantworten.

Von Dr. Hannah E. Kappler und Prof. Dr. Peter Kohl Veröffentlicht:
Für die Sekundärnutzung gespendeter Organe fehlt in Deutschland die rechtliche Grundlage.

Für die Sekundärnutzung gespendeter Organe fehlt in Deutschland die rechtliche Grundlage.

© Soeren Stache/dpa-tmn/picture alliance

Die Transplantation von Spenderorganen und -geweben wird, aufbauend auf Artikel 74 des Grundgesetzes, durch das Transplantationsgesetz geregelt [1]. Die Nutzung von humanen Geweben für andere Zwecke ist hierin nicht abgebildet, und es ist derzeit seitens der „Bundesregierung nicht beabsichtigt, gesetzliche Rahmenbedingungen für eine Nutzung nicht medizinisch genutzter postmortaler Spenderorgane zu schaffen“ [2]. Somit fehlt eine kohärente rechtliche Grundlage für die medizinische und die wissenschaftliche Nutzung von humanen Geweben – mit dem Effekt, dass für eine Transplantation gespendete Organe, die aus technischen, organisatorischen oder medizinischen Gründen nicht klinisch genutzt werden können, verworfen werden müssen.

In Ländern wie den USA, Großbritannien oder Ungarn besteht dieser Ausschluss einer Sekundärnutzung nicht. So umfasst die Organspendereinwilligung in England neben der angestrebten medizinischen Nutzung als Primärzweck auch eine (zustimmungsabhängige) mögliche Verwendung in Forschung, Lehre und Qualitätssicherung [3].

Die wissenschaftliche Nutzung von gesundem Referenzgewebe ist in vielen Funktionsstudien eine Grundvoraussetzung für die Erforschung von Pathomechanismen, sowie präventiven und therapeutischen Optionen. Für Gewebe, wie z. B. gesundes humanes Myokard, welches nicht im Rahmen einer Lebendspende gewonnen werden kann, ist die Verfügbarkeit in Deutschland häufig nicht gegeben. Beobachtungen aus Tiermodellen, die einen direkten Vergleich zwischen pathologisch verändertem und gesundem Gewebe ermöglichen, sind oft nur eingeschränkt auf die menschliche (Patho-)Physiologie übertragbar [4].

Von der Meldung an ET bis zur Transplantation – Gespendete Organe--  Ein Anteil aller für eine Transplantation vorgesehenen Organe wird medizinisch genutzt (ET: Eurotransplant).

Von der Meldung an ET bis zur Transplantation – Gespendete Organe-- Ein Anteil aller für eine Transplantation vorgesehenen Organe wird medizinisch genutzt (ET: Eurotransplant).

© DSO/Stabstelle Statistik, Januar 2023

Aus wissenschaftlicher Sicht ist somit die einzige valide Vergleichsgruppe für pathologisch verändertes Herzgewebe – das im Rahmen von operativen Eingriffen prozedurbedingt reseziert oder aus explantierten Herzen gewonnen werden kann – humanes Material von herzgesunden Post-mortem-Organspendern.

Jährlich werden in Deutschland zwischen 17 % (Niere) und 77 % (Pankreas) der für eine Transplantation vorgesehenen Organe nicht medizinisch genutzt [5]. Jedes dieser Organe könnte Material für eine Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen liefern, jedoch gibt es hier einige Fragen zu beachten: Ist es ethisch zumutbar, Patienten und Patientinnen bzw. deren Angehörige im Zusammenhang mit einer Organspende um Zustimmung für eine nicht medizinische Sekundärnutzung zu bitten? Das „Eigentum“ an einem Spenderorgan geht mit der Allokation durch Eurotransplant auf den Empfänger über: Ist die Einwilligung eines Organspende-Empfängers für eine Organ-Sekundärnutzung als unabhängig und unbeeinflusst einzuschätzen? Ist es ethisch vertretbar, eine solche Einwilligung auf das gespendete Organ anzuwenden? Könnte die Sekundärnutzung von Spenderorganen einen negativen Einfluss auf die Organspendebereitschaft haben?

Abschließend stellt sich jedoch auch die Frage, ob es aus Sicht der Gesellschaft vertretbar ist, den medizinischen wissenschaftlichen Fortschritt, den dieses einzigartige Material ermöglicht, nicht auszuschöpfen.

Fazit

Die Nutzung von gesundem Referenzgewebe ist vielfach für die Erforschung von Pathomechanismen, präventiven und therapeutischen Ansätzen notwendig, aber im deutschen Transplantationsgesetz nicht abgebildet.

Um die für eine Transplantation vorgesehenen dann aber nicht genutzten Organe anders einzusetzen, müssen ethische und rechtliche Fragen geklärt werden. Die Bundesregierung beabsichtigt derzeit nicht, die hierfür notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen.

Kontakt-- Dr. Hannah E. Kappler, Institut für Experimentelle Kardiovaskuläre Medizin und Klinik für Angeborene Herzfehler und Pädiatrische Kardiologie, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, hannah.kappler@uniklinik-freiburg.de

Literatur--

1. Transplantationsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. September 2007 (BGBl. I S. 2206), zuletzt durch Artikel 15d des Gesetzes vom 11.6.2021 (BGBl. I S. 2754) geändert

2. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU „Nutzung postmortaler Spender-Organe zu Forschungszwecken“, Deutscher Bundestag, 20. Wahlperiode, Drucksache 20/7480

3. NHS Blood and Transplant, SOP5818/5 „Organ and Tissue Donation Consent Manual“, effective date 23.11.2022, https://www.odt.nhs.uk/deceased-donation/best-practice-guidance/procedural-documents/

4. Martin TP et al. Preclinical models of myocardial infarction: from mechanism to translation. Br J Pharmacol. 2022;179:770-91

5. Deutsche Stiftung Organtransplantation, „Jahresbericht Organspende und Transplantation in Deutschland“ der Jahre 2020, 2021 und 2022, https://dso.de/organspende/statistiken-berichte/jahresbericht

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